Sean «Diddy» Combs: Neue Klagen! Fake-Songs! Diss-Tracks!
In dieser Woche kündigte der amerikanische Anwalt Tony Buzbee Klagen von 120 potentiellen Opfern an, die seine Kanzlei vertreten wird – darunter 25 Menschen, die zum Zeitpunkt der vermeintlichen Taten minderjährig waren. Unser Update in der Akte Sean «Diddy» Combs.
Trigger-Warnung: Im folgenden Beitrag werden sexualisierte Gewalthandlungen und deren Folgen für die Betroffenen geschildert, die belastend und retraumatisierend sein können.
Als Musikjournalist:in gehört es immer mehr zum Jobprofil, über vermeintliche Straftaten zu schreiben. #MeToo und andere gesellschaftliche Entwicklungen sorgen endlich dafür, dass die lange zum Mythos verklärten «Sex, Drugs & Rock’n’Roll»-Geschichten im neuen Licht betrachtet werden. Gut so.
Natürlich muss man vieles im Kontext der Zeit betrachten, aber das ändert ja nichts an der Tatsache, dass viele Kapitel der Musikgeschichte in diesem Bereich oft übergriffig, wenn nicht gar justiziabel waren.
Kein aktueller «Fall» zeigt das besser, als Sean «Diddy» Combs. Der Musikmogul, Songwriter, Produzent und Label-Boss sitzt gerade in Haft und erwartet im Staate New York einen Prozess, vor dem sicher auch all jene Menschen zittern, die gerne mit ihm und bei ihm gefeiert haben.
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KI-generierter Fake-Song, der NICHT von Justin Bieber stammt
In dieser Woche gab es wieder viel über Combs zu berichten, wobei weiterhin gilt: Man muss ganz genau schauen, was denn überhaupt stimmt und was nicht. Damit ist natürlich nicht gemeint, dass man nicht zuerst den Opfern glauben sollte.
Aber manches, was vor allem bei TikTok und Co. ausgespielt wird, ist halt einfach «to good to be true» und sollte gewissenhaft gecheckt werden. So sieht man zum Beispiel viele Clips mit einem vermeintlichen Song von Justin Bieber, der so klingt:
Viele versehen diesen Sound inzwischen mit #AI-Hashstags, aber eben nicht alle. Dieser Userr sieht darin eher #deeplyrics, obwohl es eigentlich nur einen Google-Check braucht, um zu lernen, dass der Track mit künstlicher Intelligenz entstanden ist, die Biebers Stimme imitiert.
Diss-Track «Fuel» von Eminem
Im Zuge der Diddy-Berichterstattung geht aber auch ein ziemlich brillanter, aktueller und Diss-Track gegen Diddy von Eminem viral. «Fuel» feat. JID ist der neunte Song auf dem aktuellen Eminem-Album «The Death of Slim Shady (Coup de Grâce)» und enthält zum Beispiel diese Zeilen:
Zum Kontext: «S-As» steht für «sexual assault» und wird auch vor Gericht oft so abgekürzt. Das von Eminem gerappte «did he?» hört sich natürlich wie «Diddy» an. Im weiteren Verlauf schickt Eminem noch ein «Rest in Peace» in Richtung Tupac Shakur und dessen Erzfeind The Notorious B.I.G. – mit dem Twist, dass Eminem über Diddy sagt: «I ain’t tryna beef with him / Cause he might put a hit on me like Keffe D did him.»
Duane «Keffe D» Davis wurde im vergangenen Jahr für den Mord an Shakur verurteilt. Der frühere Banden-Chef sagte vor Gericht, Diddy hätte ihm eine Million Dollar geboten, wenn er Shakur und den Rap-Moguls Suge Knight tötet. Eminem verbindet also beide Morde mit Diddy – auch die von Combs Buddy The Notorious B.I.G.
Neue Klagen angekündigt
Die grössten Wellen schlug aber die Ankündigung des prominenten US-Anwalts Tony Buzbee am vergangenen Dienstag. Er ist der Musikindustrie bereits gut bekannt, weil er z. B. die Geschädigten der Massenpanik auf Travis Scotts Festival Astroworld im Jahr 2021 vertrat.
In einer live gestreamten Pressekonferenz kündigte Buzbee weitere Klagen an. Seine Kanzlei vertrete 120 Personen, 60 männliche und 60 weibliche, die schwere Vorwürfe gegen Sean Combs erheben – darunter 25, die zum vermeintlichen Tatzeitpunkt minderjährig waren.
Buzbee sagt: «Wenn wir über das Alter der Opfer zum Zeitpunkt der Vorfälle sprechen, wird es schockierend. Unser jüngstes Opfer war zum Zeitpunkt des Vorfalls neun Jahre alt. Wir haben eine Person, die 14 Jahre alt war. Eine, die 15 war.»
Tony Buzbee kündigte an, dass all seine Mandant:innen bereit seien, in naher Zukunft Zivilklagen einzureichen. Er lieferte ausserdem der Gerüchteküche neues Feuer, weil er das aussprach, was viele denken und fürchten: Wenn viele Übergriffe in abgeschirmten Bereichen auf Diddys Partys, oder aber in den Büros seines Labels passiert sind, wird es Mitwisser:innen oder gar Mittäter:innen geben – vielleicht gar prominente.
«Viele mächtige Leute könnten entlarvt werden.»
Buzbee formuliert es so: «Ich erwarte, dass durch diesen Prozess viele mächtige Leute entlarvt werden. Einige Vorfälle haben sich in den Privatwohnungen von Leuten ereignet, die wir alle kennen.»
Weiter sagt er: «Die Namen, die wir nennen werden – vorausgesetzt, unsere Ermittler bestätigen, was uns gesagt wurde – sind Namen, die Sie schockieren werden.» Er könne sich vorstellen, «dass es in diesem Moment eine Vielzahl von Menschen gibt, die sehr nervös sind. Man kann nicht ewig Leichen im Keller verstecken. Ich gehe davon aus, dass es da draussen viele Menschen gibt, die gerade verzweifelt in ihren Erinnerungen kramen, während sie ihre Texte und Daten löschen.»
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Combs Anwältin dementiert entschieden
Die Rechtsanwältin Erica Wolff, die Sean Combs vor Gericht vertritt, dementierte die Vorwürfe entschieden. In einem offiziellen Statement heisst es: «Wie Mr. Combs' Anwaltsteam bereits mehrfach betont hat, kann er nicht auf jede unbegründete Anschuldigung in diesem rücksichtslosen Medienzirkus eingehen.»
Dennoch weise Mr. Combs «nachdrücklich und kategorisch jede Behauptung als falsch und verleumderisch zurück, dass er irgendjemanden, einschliesslich Minderjähriger, sexuell missbraucht habe. Er freut sich darauf, seine Unschuld zu beweisen und sich vor Gericht zu rechtfertigen, falls und wenn Klagen eingereicht und zugestellt werden.»
Vor Gericht werde nämlich «die Wahrheit auf der Grundlage von Beweisen und nicht von Spekulationen festgestellt werden wird.» Das stimmt natürlich. Aber seitdem wir alle das Video von Combs brutalen Angriff auf Cassie Ventura gesehen haben, ahnen wir alle, dass es weitere Beweise wie diesen durchaus geben könnte …