Veröffentlicht am 10. Dezember 2023

Diese 5 Trends prägten das Musikjahr 2023

Haben die singenden Maschinen den menschlichen Radio Star gekillt? Wurde das Rock-Genre von Zombies gerettet? Und wann wird Taylor Swift endlich zum Papst ernannt? Wir haben in den letzten elf Monaten etwas genauer hingelauscht und im Streaming-Schall fünf Strömungen ausgemacht.

Journalist
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Versammelt euch unter dem Glühweinbaum! Wir lassen unsere Jahresrückblicksgabel im Fondue-Chinoise-Topf vom Musikjahr 2023 zirkeln und fischen daraus fünf Entwicklungen, die Wellen geschlagen haben und auch in der Zukunft für heisse Spritzer sorgen. [Sorry, Metapher-Polizei, wir haben Hunger.]

AI generierte Songs klingen albern bis scheisse – for now

Noch ist kein Terminator auf die Bühne gestiegen, um den Grammy für «Best Song» entgegenzunehmen. Der Fortschritt und die Demokratisierung der AI-Technik haben im musikalischen Bereich bislang vorwiegend zu ein paar drolligen bis erstaunlichen Mash-ups geführt: Johnny Cash singt Aqua? Ha. Haha. Schnell klicken, bevor das Copyright anklopft.

Die endzeitkapitalistische Vision, Künstlicher Intelligenz fortan sämtliche Stufen der Popstar-Generierung anzuvertrauen, führte dagegen bis jetzt zu eher peinlichen Resultaten. Anna Indiana? More like Anna Indiemülltüte.

Doch die Zahnräder der technischen Möglichkeiten drehen sich mit jedem Tag schneller – und die Forderung nach klaren Regulationen sowie einer Deklaration für AI-generierte Musik wird von Seiten des Publikums lauter. Schliesslich hören wir Lieder nicht nur deshalb, um ein paar schöne Tonabfolgen auszuchecken. Sondern um uns in den tatsächlich gelebten Geschichten und Gefühlen anderer Menschen wiederzuerkennen. Programmier das mal, OpenAI.

Täyyylääär!!! und ein gutes Jahr für Konzert-Dokus

Hat schon mal jemand was von dieser Taylor Swift gehört? Spielt die Gitarre oder so? Anyway. Wir brauchen kein
Time Magazine, um uns zu sagen, dass 2023 das Jahr of Tay-Tay ist. Die Re-Releases ihrer Alben «Speak Now» und «1989» dominierten die Streaming-Plattformen und die aktuelle «The Eras Tour» lässt sich vom Pomp und Prunk einzig mit der Pilgerreise von Mansa Musa im Jahr 1324 vergleichen.

https://www.youtube.com/@TaylorSwift

Wer auf dem Gipfel des Erfolgs angekommen ist, dem bleibt noch immer der Griff nach den Sternen. Das zeigt auch der parallel zur Tour veröffentlichte Konzertfilm, mit dem Swift neben den Bühnen auch die Kinoleinwände dominiert hat. «Taylor Swift: The Eras Tour» ist inzwischen zum erfolgreichsten Konzertfilm aller Zeiten avanciert. Ein Genre, das 2023 generell an Fahrwasser aufgenommen hat. «Renaissance: A Film By Beyoncé» kocht mit denselben Zutaten von intimen Backstage-Einblicken und bombastischer Onstage-Show und macht zurzeit ebenfalls die ganz grossen Boxoffice-Bucks.

https://www.youtube.com/@A24

Während die Swifties und das Bey Hive in ihre Popcornbecher kreischen, freuten sich Indie-Snobs im Sommer über die restaurierte Wiederveröffentlichung von «Stop Making Sense». Regisseur Jonathan Demme («Das Schweigen der Lämmer») folgte 1983 den Talking Heads auf deren Tour und schuf damit ein Meisterwerk, das unter anderem auch Kollege Spike Lee als «besten Konzertfilm aller Zeiten» lobte.

Für wen sich das alles etwas zu wenig nach Bier tropfenden Kellerclubwänden anfühlt, checkt «We Are Fugazi from Washington D.C.» aus. Mit ganz viel Live-Footage von Fans wird die Legende der 2003 aufgelösten Punkband greifbar gemacht und peitscht selbst dann ordentlich auf, wenn man sich den Film unter der Schnuffeldecke auf der Couch anschaut.

Who Runs the Rap? (Barbie)

Das «Boys only!»-Clubhaus des Raps steht schon länger in Flammen. 2023 hat sich die weibliche Dominanz im Genre noch weiter untermauert. Künstlerinnen wie Doja Cat, Ice Spice, GloRilla, Latto, Sexyy Red, Nicki Minaj und (hallo Deutschland!) Shirin David bestimmen kommerziell den Sound und den Look. Als Erfolgsweg zum Empowerment-Dreamhouse wählen sie eine pinkfarbene und dennoch toughe Hyperfeminität, die nicht jederfraus Sache ist – aber für manche durchaus sein kann.

https://www.youtube.com/@nickiminaj

Damit komplettierte diese Generation von Rapperinnen auch musikalisch das filmische Popkultur-Event des Jahres: Auf dem Soundtrack zu «Barbie» finden sich Songs von Nick Minaj, Ice Spice, Kaliii und der R&B-Sängerin PinkPantheress. Wir könnten jetzt noch mehr über diese überraschend reflektierte (Ent-)Tussifizierung des Feminismus sprechen. Aber dieser Text wird von einem Dude in seiner Trainerhose geschrieben und dieser sollte ab hier besser das Maul halten, weil er vielleicht eh schon zu viel Stuss darüber geschrieben hat.

The Last of Us Nu Metal and Pop Punk Bands

«Denn die Posaune wird erschallen, und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden», 1 Korinther 15. Zwar blieben die Posaunen still und uns damit ein Ska-Revival erspart. Doch zwei Rock-Genres, die bei vielen Menschen ebenso viel Kopfweh auslösen, sind 2023 plötzlich nicht mehr ganz so grau im Gesicht: Nu Metal und Pop Punk. Äh. Yay?

Der meistgespielte Rocksong von iHeartRadio (dem grössten Radio-Netzwerk der USA) im Jahre des Herrn 2023 stammt von: Linkin Park. They tried so hard and got so far but in the end ... they're still number one, baby! «Lost» entstand 2002 während der Aufnahmen von Linkin Parks zweitem Studioalbum «Meteora», wurde aber erst im vergangenen Februar als Single zum 20-jährigen Jubiläum veröffentlicht.

https://www.youtube.com/@LinkinPark

Kommerziell dominiert im Rock das Altbewährte. Und zunehmend auch das fast Verdrängte. Streaming-Riesen wie Spotify verzeichnen gesteigertes Interesse an Bands wie Korn und den Deftones. Vielleicht, weil die ältesten Millennials nicht ihre Kinder fragen müssen, wie man die App installiert. Oder weil Gen Z guten Grund hat, scheisswütend zu sein und dabei auf die erfolgreichsten Scheisswutbands aller Zeiten stösst. Wahrscheinlich ein bisschen von beidem.

Nu Metal köchelt aber nicht bloss in der eigenen Ursuppe. Neue Acts wie Code Orange oder Wargasm veröffentlichten 2023 Alben, die dem Genre einen frischen Anstrich verpassen. Schwere Zeiten bringen nun mal Musik hervor, die für einige nur schwer zu ertragen ist.

https://www.youtube.com/@codeorangeofficial

Auch auf dem zweiten Platz der iHeartRadio Jahrescharts findet sich mit Fall Out Boy im Westen nichts Neues. Die Herren um Frontboy Pete Wentz lassen inzwischen eher Termine beim Elternabend statt Kaugummiblasen platzen. Das gilt auch für blink-182, die ihr Comeback-Album im Oktober ablieferten. Green Day lauern fürs neue Jahr bereits in den Startlöchern.

Doch auch Pop Punk ist 20 Jahre nach dem Durchbruch nicht nur wieder fit wie ein Van-Turnschuh, sondern inspiriert eine jüngere Generation. So machte Olivia Rodrigo auf ihrem zweiten Album «Guts» musikalisch den Sprung von Joni Mitchell zu Avril Lavigne. Time is a flat circle und so weiter.

https://www.youtube.com/@OliviaRodrigoVEVO

Was macht die CD-Sammlung deiner Mutter auf TikTok?

Im Mai wunderten wir uns darüber, wie ein 40-jähriger Italo-Schlager ins Rennen um den Sommerhit brauste. «Sarà perché ti amo» blieb nicht der einzige Oldie, der dank Social Media plötzlich und unverhofft einen zweiten Atem schöpfte und weltweit wieder in die Charts kletterte. Blickt man in den Jahresrückblick der beliebtesten TikTok-Songs in der Schweiz, taucht bereits auf Platz 4 «Dream On» von Aerosmith auf. Das ... hätten wir uns nie träumen lassen.

Steven Tyler, der inzwischen aussieht wie eine Handarbeitslehrerin in der Woche von ihrer Pensionierung, ist plötzlich Soundtrack der Pausenplätze von Schwamendingen bis Schwarzenburg. International hatte der Schmachtfetzen von 1973 bereits im vergangenen Jahr ein Revival, als er für ein Meme des Videospiels «God of War» verwendet wurde.

War früher also alles besser? Nein. Aber das Beste von früher wird auch in Zukunft immer wieder ein frisches Publikum begeistern.

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