Brauchen wir die Reunion von Oasis? Definitely! Maybe!
Lange haben die Fans gewartet, spekuliert und gewitzelt, aber nun ist es endlich offiziell: Oasis – bzw. mindestens Liam und Noel Gallagher – werden 2025 in UK und Irland zum ersten Mal seit 2016 wieder Konzerte spielen. Brauchen wir das? Unsere Redakteur:innen Caroline Piccinin und Daniel Koch sind sich nicht ganz einig.
Definitely! (Caroline)
Lassen Sie mich von Anfang an klarstellen, dass ich Oasis nie live gesehen habe. Bei ihrem Blitzauftritt beim Paléo Festival im Jahr 2000 war ich noch in meinem ersten Beruf als Grafikdesigner tätig und konzentrierte mich mehr auf meine visuellen Projekte als auf die Bedeutung von «Champagne Supernova». Heute frage ich mich, ob das wirklich wichtiger war als mein Lebenslauf, denn ich weiss: Diese Band muss man live sehen! Definitely!
Ich habe Oasis erst spät entdeckt. Wie viele andere summte ich in den 90er Jahren zwar «Wonderwall», war aber eher von Rhythmen der House-Musik als von den Riffs des Britpop fasziniert. Es war eine andere Zeit, eine andere Stimmung.
Als ich dann endlich meine neue entflammte Liebe zu Oasis spürte, ging alles den Bach runter. 2009, beim Rock en Seine, trennten sie sich und opferten auf dem Altar ihres Bruderstreits auch noch eine Gitarre, die Noel von Eric Clapton bekommen hatte. Es folgte: Ein Rockdrama, das den grössten Familientragödien in nichts nachsteht.
Zu diesem Zeitpunkt begann ich, das Phänomen Gallagher vollends zu begreifen. Ich tauchte in die Diskografie von Oasis ein und mir wurde klar, was ich alles verpasst hatte. Nicht nur Musik, sondern ein Stück Geschichte.
Oasis kommen wieder zusammen | ZUM ARTIKEL
Was mich ebenso wie die Musik faszinierte, war die explosive Beziehung zwischen den beiden Brüdern. Liam, der im Zeichen der Jungfrau geboren wurde, ein Perfektionist und Kritiker, steht Noel, dem unberechenbaren Zwilling, gegenüber. Eine ideale kosmische Kombination für einen Konflikt, der einer Rockoper würdig ist.
Wenn man bitterböse Sprüche wie «Er hält sich für John Lennon, aber er ist näher an John Major» von Liam hört, und Noel mit «Liam könnte die Texte mit seinen Füssen schreiben, und das wäre genauso gut» kontert, wird klar, dass wir es hier mit einem legendären Duo zu tun haben – bei dem es schwer wird, es wieder zusammenzubringen.
Aber gerade deshalb ist diese Comeback doch so fesselnd! Man stelle sich nur das dramatische Potenzial vor, wenn Noel und Liam nach all den Jahren der Spannung gemeinsam «Don't Look Back in Anger» auf der Bühne vortragen.
Das ist ein Spektakel für sich – besser als ein englisches Fussballderby, mit dieser spürbaren Spannung, nur dass statt der Schreie der Fans Tausende von Fanstimmen jedes Wort einstimmig singen werden, mit dieser einzigartigen Inbrunst, die es nur im Vereinigten Königreich gibt.
Darüber hinaus ist die Ankündigung dieser Reunion 30 Jahre nach der Veröffentlichung ihres ersten Albums «Definitely Maybe» ein Zeichen des Universums. Wie die Rückkehr eines Kometen, die nur einmal im Jahrhundert stattfindet. Wer ihn verpasst, wird es wie für immer bereuen.
Die Wiedervereinigung von Oasis ist mehr als nur ein Rendezvous mit der Geschichte des Rock'n'Roll; es ist die Gelegenheit, zwei explosive Brüder zu sehen, die ihre Differenzen für die Liebe zur Musik und zu ihren Fans beiseitelegen.
Es ist die Gelegenheit, zu sehen, ob Liam und Noel nach all den Jahren immer noch das gewisse Etwas, die brutale Chemie und die Energie auf der Bühne haben, die sie unwiderstehlich gemacht haben.
Kurzum: Es ist die Art von Moment, die einen dazu bringt, alles stehen und liegen zu lassen, um eine musikalische Pilgerreise nach Cardiff, London, Edinburgh oder Dublin zu unternehmen. Ja, ich spreche absichtlich nicht von Manchester, damit es in den Warteschlangen um die Eintrittskarten nicht so voll wird!
Und wenn die ersten Akkorde von «Live Forever» erklingen, wird man wissen, dass man die richtige Wahl getroffen hat. Denn zwischen einem Gallagher, der sich für Lennon hält, und einem anderen, der glaubt, er sei rockiger als ein lauwarmes Bier, wird dieser Moment zwangsläufig unvergesslich werden. «You and I are gonna liiiiiiive foreeeeeeeeever» mit Tausenden anderer Fans in Trance zu brüllen, das ist etwas, das ich mindestens einmal erleben möchte. Dieses Mal geht es um alles oder nichts, und ich entscheide mich für alles. Wir sehen uns im Jahr 2025.
Maybe! (Daniel)
Ich habe Oasis schon dreimal meinem Leben live gesehen. Das erste Mal war eine Enttäuschung – und Arbeitsverweigerung von Seiten der Band, beim zweiten Mal war der Sound unterirdisch und beim dritten Mal waren die Gallaghers schon so zerstritten, dass der Hass fast sichtbar von der Bühne suppte.
Aber der Reihe nach: Auch, wenn ich The Verve noch ein wenig mehr in Ehren halte, liebe ich Oasis. Als sie 2004 auf dem Glastonbury Headliner waren – und ich ungefähr in der zehnten Reihe vor der Bühne stand – dachte ich, das werde der Abend meines Lebens. Schon Stunden vorher hatte ich mich mit meinen Freunden systematisch nach vorne geschoben und war so was von ready.
Aber: Oasis waren lustlos. Auf eine Weise, die man schon nicht mehr als Coolness verkaufen konnte. Liam trug einen wirklich sehr seltsamen weissen Parka und schaute noch mehr als sonst, als wollte er allen 90.000 im Publikum auf die Fresse hauen. Der Gig war hart an der Grenze zur Arbeitsverweigerung.
Ansagen gab es keine – ausser vor «Stop Crying Your Heart Out» (was leider vor Beginn des obigen Clips war). Da sagte Liam: «This one’s deticated to the English football team.» Das war nämlich am Abend vorher im Elfmeterschiessen gegen Portugal aus der EM geflogen. Was alle im Publikum auf Leinwänden neben der Pyramid Stage gesehen hatten.
Aber der Gig war wirklich fad. So fad, dass nicht mal meine Begeisterung, meine Sangesfreude und das legendäre Glasto-Publikum meinen Ärger überspielen konnten. Als ich später an der Theke mit ein paar Oasis-Fans ins Gespräch kam, erfuhr ich, dass ich nicht als einziger so fühlte.
Der zweite Gig war 2009 in der Arena in Berlin – die Tour zum gar nicht mal so guten «Dig Out Your Soul». Viele buntes Videozeugs auf der Bühne und eine Band, die schon wieder nicht so richtig Bock hatte, aber mehr into it war als noch auf dem Glasto. Hier war allerdings der Sound so scheisse, dass es mir schon fast in den Ohren schepperte. Gut, konnte die Band nix für – ist ein Problem, dass in der Arena oft kickt.
Der dritte Gig war dann der sichtbare Anfang vom Ende: Das Melt Festival in der Nähe von Dessau. Spektakuläre Kulisse, tolles Line-up zwischen Indie und Electro und Oasis als Headliner des letzten Festivaltages.
Hier war die Crowd super, aber kleiner als Oasis gehofft hatten. Turns out: Viele der jüngeren Techno-Kids fanden die mittelalten Gallaghers gar nicht mehr so cool. Spürbar war jedoch der Hass auf der Bühne: Liam sah aus, als wolle er jeden Moment von der Bühne stapfen und Noel hatte ein grumpy Face, das Bände sprach. Kaum einen Monat später war es dann auch vorbei mit beiden.
Deshalb bin ich mir gerade nicht so sicher: Haben sie noch mal eine Chance verdient? Ist es nicht ein wenig zu offensichtlich, dass Noel endlich Bock hat, weil sein Soloschaffen dem Erfolg von Liam hinterherhechelt – obwohl gerade sein letztes Album mit den High Flying Birds «Council Sides» ziemlich far out und viel besser als Liams uninspiriertes «C’MON YOU KNOW» war?
Und war es nicht auch spassig, bei Noel-Shows Lieder wie «Don’t Look Back In Anger», «The Masterplan», «Little By Little» oder «Going Nowhere» zu hören und bei Liam dann eben «Champagne Supernova», «Rock’n’Roll Star» und «Wonderwall»? Brauch ich die beiden noch mal zusammen?
Wie ich es auch drehe – es wird bei mir eher ein «maybe!» als ein «definitely!» Der Fan-Hype wird die Shows zwar besonders werden lassen und NATÜRLICH werde ich mich in den Ticketkampf werfen und mit den Kumpels aus unserer «Liam away»-WhatsApp-Gruppe (in der auch Noel-Content verhandelt wird) im Idealfall nach Manchester reisen.
Aber trotzdem: Die Nummer ist natürlich ein «cash grab», kein Dienst der reinen Liebe zur Musik und zu den Fans (sorry, Caro!), neue gemeinsame Lieder werden nicht zu erwarten sein, und die Gallaghers müssen mir erst noch beweisen, dass sie zumindest die euphorische Coolness der frühen Jahre noch drauf haben. Klar, die Fans werden es reissen. Aber «one for the history books» wird’s erst, wenn die beiden wirklich liefern.