Die bisher besten Alben des Jahres
2024 ist zwar erst zur Hälfte vorbei, hat aber bereits Hit-Alben für ein komplettes Kalenderjahr geliefert. Das sind die sieben bisher besten Alben des Jahres.
Royel Otis - «Pratts & Pain»
Royel Otis knüpfen nahtlos an die Indie-Sleaze-Szene der Nullerjahre an. Das australische Duo macht verspielten Indie-Pop irgendwo zwischen Empire Of The Sun und den frühen Werken von MGMT. «Fried Rice» ist das Aushängeschild der Platte und hat die Band im letzten Jahr als einen der vielversprechendsten Newcomer des Genres etabliert. Der Rest des Album steht dem Hit aber in nichts nach und das psychedelische «Daisy Chain» verpackt die Bandbreite von Royel Otis in gut drei Minuten Pop-Imposanz.
Justice - «Hyperdrama»
Wo Justice draufsteht, steckt Justice auch drin. Dürfte das französische Duo in 21 Jahren doch auch kleine Taucher gehabt haben, stellen sie mit ihrem vierten Studioalbum klar: Sie gehören zu den ganz Grossen des elektronischen Fachs. «Hyperdrama» kann es ganz gut mit Daft Punk oder Kavinsky aufnehmen. Strotzt das Ding nur so vor Ideenreichtum und Perfektion. Ob im Club oder zuhause auf den Kopfhörern: Die neuste Scheibe von Gaspard Augé und Xavier de Rosnay funktioniert überall. Und mit jedem Play entdeckt man Neues zwischen den musikalischen Zeilen und staunt zunehmend über die Vielschichtigkeit.
Charli xcx - «Brat»
Einige Pop-Kritiker behaupten, «Brat» sei das beste Album des Jahres. Tatsächlich liefert Charli xcx hier einiges an Pop ab, der wohl nicht einfach so zu kopieren ist. Dieser Massstab wird eine verschlossene Türe für viele bleiben. Grund ist wohl einfach die Offenheit der Künstlerin aus dem englischen Cambridge. Trotz Themen wie Unsicherheit, dem Imposter-Syndrom und Selbstzweifel – oder gerade deswegen – setzt Charli xcx hier einen Akzent, der nachhallt. Irgendwo zwischen Marina & The Diamonds, Lorde und Taylor Swift – wir nennen das mal Hyperpop der Extraklasse und geben «Brat» zehn von zehn möglichen Punkten.
Charli XCX hat endlich «Brat Summer», den sie verdient | ZUM ARTIKEL
The Black Keys - «Ohio Players»
2024 ist nicht das Jahr der Black Keys. Da ist zum einen das Chaos bei ihrer jüngsten Tour, das die Band zwang, mehrere Shows zu canceln, respektive in kleinere Venues zu verlegen und zum anderen das neue Album, das irgendwie niemanden interessiert hat, obwohl die Bluesrocker darauf Hits à discrétion abliefern. Das Vorzeigestück darauf ist der Feel Good-Banger «Beautiful People (Stay High)», dessen Clip selbst dem abgebrütetesten Zyniker die schlechte Laune austreibt.
Billie Eilish - «Hit Me Hard And Soft»
Dass Billie Eilish zum Schnöden einlädt, ist ja wohl klar. Grösser und besser geht fast nicht mehr und sowieso «Billies letztes Album war musikalisch prachtvoller» – blablablabla. Billie und ihr Bruder Finneas gehören derzeit wohl zu den absoluten Top-Shots des Pop. Und der vierte Langspieler beweist lediglich, dass die beiden Songwriting und Producing beherrschen. Billies drittes Album fokussiert thematisch die Jahre als Teenager mit all dem Leid und der Lust, die eine Heranwachsende empfinden kann. Die musikalische Bandbreite reicht von Synthpop über Folk bis hin zu einem elektronischen Track.
Album Review: Billie Eilish - «HIT ME HARD HIT ME SOFT» | ZUM ARTIKEL
Mannequin Pussy - «I Got Heaven»
«I Got Heaven» ist ein wilder Ritt durch die Höhen und Tiefen des Punkrock. Mit der Subtilität eines Vorschlaghammers schwankt Marisa Dabices Gesang zwischen traumhaftem Flüstern und rasendem Gebrüll. Abgehen, durchknallen, Wände einreissen, aber dabei bitte auch ein bisschen über die eigene Existenz nachdenken. Mannequin Pussy sind kompromisslos, subversiv und – was im Punk-Genre zuletzt eher selten gesehen wurde – absolut zeitgemäss.
Beth Gibbons – «Lives Outgrown»
Wenn diese Frau auf Albumlänge singt, ist eigentlich immer ein Spektakel zu erwarten – um so mehr, weil Beth Gibbons das nur sehr ausgewählt tut. Ihr unter die Haut kriechender, emphatischer und zugleich geheimnisvoller Gesang fasziniert schon auf den drei Studioalben und der einen Liveplatte, die Portishead seit 1994 der Welt geschenkt haben. Zuletzt sang Gibbons 2019 eine Symphonie des polnischen Komponisten Henryk Mikołaj Górecki – bis dann im Mai ihr erster richtiges Soloalbum erschien. Und das ist nicht weniger als ein leises Meisterwerk: Mit Produzent James Ford in intimer Atmosphäre aufgenommen, singt Gibbons zu dunklen Folk-Klängen von Angst, Verlust und Trauer – wie immer in Texten, die einen Lyrikpreis verdient hätten und trotzdem extrem zugänglich sind.
Wenn Musik von gestern (z. B. von Kate Bush, Portishead oder den Talking Heads) die Charts dominiert | ZUM ARTIKEL
Lola Young – «This Wasn’t Meant For You Anyway»
Die britische Sängerin ist eine Urgewalt: Wer ihre Konzert besucht oder sie zum Interview trifft, erlebt eine aufgekratzte, cheeky Sprüche raushauende junge Frau, die bei all dem flucht wie ein Rohrspatz. Umso erstaunlicher ist es, wenn Lola Young dann zu Singen beginnt – auch dabei wird gerne und sehr poetisch geflucht, aber auf einmal ist da ein Changieren zwischen Trotz und Zärtlichkeit, das ein klein wenig an die große Amy Winehouse erinnert.
Darüber hinaus sollte dieser schon zu oft bemühte Vergleich aber nicht verwendet werden. «This Wasn’t Meant For You Anyway» ist ihr zweites Abum und von Anfang bis Ende ein sehr eigenständiger, wilder Ritt: Immer in Bewegung, mal heartbreaking, dann wieder ein lyrischer Tritt in die Eier des Ex-Lovers. Der beste Song ist dieser hier und startet mit den Worten: «Can you come around, fuck my nice, pull my hair, sing me lullabies and we can pretend that we’re in love.»