Veröffentlicht am 18. August 2023

Inspiration aus der Hölle: Hozier über «Unreal Unearth»

Das neue Album des irischen Singer-Songwriters Hozier, «Unreal Unearth», wurde inspiriert von Dantes epischem Gedicht «Die göttliche Komödie» aus dem 14. Jahrhundert. Wobei: Eigentlich war es nur der in der Hölle spielende Part «Inferno», der Hozier begeisterte. Wir fragten mal nach, wie das alles zustande kam.

Journalist
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Wer den irischen Singer-Songwriter Hozier im Blick hat, weiss bereits, dass der Mann sehr belesen ist. In der Pandemie-Zeit gab es sogar wöchentliche Gedicht- und Kurzgeschichtenlesungen auf seinem Instagram-Account. So fixte er vor allem seine jüngeren Fans mit den Werken von Samuel Beckett, Flann O’ Brien, George Orwell, W.B. Yeats, Seamus Heaney, Oscar Wilde oder James Joyce an. Allesamt amtliche literarische Brocken, die er in Auszügen mit grossem Ernst und offensichtlicher Freude an der Sprache vortrug (hier gibt’s die gesammelten Werke dieser Lesungen).

Dantes «Inferno» als höllische Inspirationsquelle

Auch am Anfang seines aktuellen Albums «Unreal Unearth» stand ein Klassiker der Literaturgeschichte: «Die göttliche Komödie» vom italienischen Dichters Dante Alighieri. Hozier las das 1321 vollendete epische Gedicht während der Pandemie noch einmal (in der Übersetzung von Robert Pinsky) und war vor allem vom ersten der drei Teile inspiriert: «Inferno». Darin beschreibt Ich-Erzähler Dante, wie er mit dem Geist des Dichters Vergil an der Seite die Hölle besichtigen darf. Dantes Hölle ist in neun Kreise aufgeteilt, in der jeder Kreis für eine Sünde steht. Im zweiten Kreis brüten zum Beispiel die Wollüstigen, im dritten die Gefrässigen, im Sumpf des fünften Kreises die Zornigen und im siebenten die Gewaltverbrecher. Auch Satan selbst hat in den Versen neben vielen anderen mythischen Figuren seinen eindrucksvollen Auftritt als Menschen snackender Riese mit drei Mäulern. Als Hozier mit dem Songwriting für ein neues Album begann, wollte er Dantes Inferno in seine Soundwelt überführen. Im ersten Anlauf gelang das nur bedingt: «Als ich versucht habe, ‚Inferno‘ in meine Songs einfliessen zu lassen, musste ich erst die richtige Balance finden. Es gibt einige Lieder, die sehr genau spezifische Elemente aufgreifen, aber als ich zu oft zu nah an Dantes Worten war, klang es schnell, als würde ich fürs Musiktheater schreiben.» Seine Lösung des Problems: «Ich habe das nicht mehr so intensiv betrieben und lieber die Themen meiner Lieder an den neun Kreisen von Dantes Hölle ausgerichtet.»

Ein Remix aus griechischer Mythologie und christlichen Elementen

An Dantes «Inferno» habe ihn besonders fasziniert, wie unheimlich kreativ Dante die Hölle bevölkert und konzipiert habe, erklärt Hozier. «Dante mixt darin die griechische Mythologie mit christlichen Elementen, der Geschichte seiner Zeit und seinen eigenen Lebenserfahrungen.» Im Grunde sei Dante dabei sehr rigoros und fundamentalistisch: «Dante steckt Menschen in die Hölle, die das nach unseren Gesichtspunkten niemals verdient hätten.» Neben Dantes Höllen-Architektur und den vielen sehr bildhaften Szenen, stecke aber auch ein sehr menschliches Drama in «Inferno»: «Es gibt dieses Spannungsfeld zwischen dem Dichter Dante und der literarischen Figur Dante, die er selbst erschaffen hat. Der Dichter Dante mag diese teilweise historischen Figuren in die Hölle schreiben, aber die literarische Figur Dante sympathisiert mit einigen dieser Charaktere und empfindet ihr Schicksal als unfair.» Das werde vor allem bei der Figur «Francesca» deutlich, die Hozier zum Song gleichen Namens inspirierte.

Francesca da Rimini war eine real existierende Person, die für ihre Liebe zu ihrem jüngeren Stiefbruder Paolo Malatesta im 13. Jahrhundert ermordet wurde. Dante griff diese zu seiner Zeit sehr bekannte tragische Liebesgeschichte auf und setzte die beiden in den zweiten Kreis der Hölle, wo sie für ihre Wollust büssen mussten. «Der Dichter Dante lässt die beiden auf alle Ewigkeit in der Hölle schmoren», erklärt Hozier, «aber der Dante im Buch empfindet das als unfair und traurig.» Es gäbe eine permanente Spannung zwischen diesen beiden Dantes, die ihn fasziniert habe.

Nach der Hölle wird’s langweilig

Eine gängige Leseerfahrung von «Die göttliche Komödie» verläuft so: Die Hölle ist faszinierend, abgründig und spannend, im Fegefeuer schlummert man hier und da schon weg – und im Paradies will man vor lauter verstrahlter Religiosität gar nicht mehr weiterlesen. Auch Hozier ist vor allem «Fan» vom «Inferno»-Part. Er rechtfertigt das so: «Ich glaube es liegt daran, dass man danach mit Dante an einem sicheren Ort angekommen ist – und das ganze Drama plötzlich weg ist.»

Drama findet man auf jeden Fall auch in den 16 Songs von «Unreal Unearth». Wie Hozier darauf seinen persönlichen Blick auf die Welt mit den Motiven und den Ringen aus Dantes «Inferno» verwebt und dabei seine mächtige Stimme zwischen Folk und Rock changieren lässt, dürfte nicht nur seinen zahlreichen Fans gefallen. Ausserdem ist es eh spannend, wie schon jetzt auf Websites wie Reddit junge Fans in Dantes Werk eintauchen und sich gegenseitig Trigger-Warnungen für die Lektüre aussprechen. Die kann man bei Dante nämlich wirklich gebrauchen.

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