Veröffentlicht am 28. April 2022

«Was hat denn die hier verloren?» - als Evelinn Trouble das einzige Mädchen auf der Bühne war

Evelinn Trouble schreibt in ihrem Leitartikel darüber, wie sie als einziges Mädchen unter lauter Jungs spielte. Und dass heute zwar einiges besser, aber noch längst nicht alles gut ist.

Evelinn Trouble ist Artist für starzone studio.

Evelinn Trouble

Evelinn Trouble ist Sängerin und Songproduzentin aus Zürich. Sie gilt als Ikone und Wegbereiterin der Schweizer Underground-Szene und ist berüchtigt für ihre rebellische Art, Musik zu machen. Ihr neues Album LONGING FEVER hat den Indie-Suisse Album of The Year Award eingeheimst.

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Evelinn Trouble ist Artist für starzone studio.

Ich trete mit eingezogenem Kopf zur Tür des Kirchengemeindesaals herein. Der Raum ist voll Jungs zwischen sechs und 14 Jahren und ich, 11 Jahre alt, bin das einzige Mädchen. Die Jungs sind laut, prahlen untereinander und kucken mich verständnislos an, als wollten sie sagen «was hat denn die hier verloren?» Alle haben eine Stratocaster wie mein Idol Jimi Hendrix, nur ich habe eine halbakustische, markenlose Gitarre aus den Achtzigern, eine Leihgabe meines Onkels. Sie ist mir viel zu gross und ausserdem mit farbigen Eulen bemalt, ein Kunstwerk seiner damaligen Freundin, das mir in meinem Alter unfassbar peinlich ist. 

Jährlich findet in der Stadt Zürich ein Schüler*Innenkonzert statt, wo alle E-Gitarre, Bass und Schlagzeugschüler*Innen der Stadt für ihre Eltern zusammenkommen und Songs wie «Enter Sandman» von Metallica oder «Seven Nation Army» von den White Stripes zum Besten geben. Und mit der Genderung, dem «*Innen» ist in diesem Fall genau eine Person gemeint, und die bin ich. Als ich im Jahr 2000 anfange E-Gitarre zu spielen, bin ich das einzige Mädchen im Einzugsgebiet der Stadt Zürich und Agglomeration. Ein Jahr später ist dann zum Glück noch ein Mädchen am Schlagzeug da, mit der ich dann meine erste Band gründe. Wir schreiben zusammen wütende Grunge-Songs über unser überwältigendes Pubertierendenleben.

Am Anfang stand Jimi Hendrix. Ich erinnere mich gut, wie ich durchs Fernsehprogramm zappte und auf seiner «Live At Monterey» Live-Aufzeichnung hängen blieb. Ich war damals ungefähr 9. Als ich ihn sah, war ich wie vom Blitz getroffen, seine Virtuosität machte mich sprachlos. In diesem Moment wusste ich, dass ich E-Gitarre spielen möchte. Doch ich hegte keinerlei Ambitionen, so virtuos wie Jimi zu werden. Was er da mit dem Instrument anstellte, das konnte niemand nachahmen, das war mir von Anfang an klar. Und drum habe ich es auch nie versucht und mich lieber dem Songschreiben zugewandt. Heute frage ich mich, ob dies vielleicht auch damit zu tun hatte, dass er mir als Mann nicht als Vorbild dienen konnte? Die einzige Frau, die mir aus der «Live At Monterey» Aufzeichnung im Gedächtnis blieb, war eine grosse Blondine im Publikum, welche traurig und verstört dreinblickte, als Jimi Hendrix am Ende des Konzerts seine Gitarre erst fickte und dann anzündete. Ein Stunt, der übrigens auch mich sehr verstörte. 

Das war damals die Rolle der Frau: zuschauen, wie sich die Jungs die Welt zu eigen machen und alles können und auch alles dürfen.

Evelinn Trouble

Das war damals die Rolle der Frau: zuschauen, wie sich die Jungs die Welt zu eigen machen und alles können und auch alles dürfen. Wenn ich ein Junge gewesen wäre, hätte ich mir vielleicht mehr am Instrument zugetraut? Ich habe mich immer davor gedrückt, auf der E-Gitarre zu solieren, zu gross schien mir die Fallhöhe, die Chance, sich zu blamieren. Man könnte sagen, mir fehlte der Mut. Oder man könnte sagen, ich hatte ein intuitives Bewusstsein dafür, dass ich in dieser Männer-Domäne nur verlieren kann. Egal, wie gut ich auf meiner eulenbemalten E-Gitarre soliere. Denn am Ende sehen die Mehrheitsgesellschaft und die Jungs im Kirchengemeindesaal nicht den nächsten Jimi Hendrix, sondern jemand, der «sehr gut spielt für eine Frau». So war es zumindest, als ich heranwuchs. 

Doch mittlerweile hat sich viel getan. Die Popkultur hat uns neue Vorbilder beschert, die Männerdomäne Rockmusik ist gekapert und dabei, zum Spielfeld für alle zu werden. Der Instagramkanal She Shreds mit über 100’000 Followern, der Content für und von weiblichen und non-binären E-Gitarrist*Innen macht, ist ein Anzeichen dafür, dass sich hier was Grundlegendes verändert.

Der Insta-Kanal von She Shreds

Oder eine aufstrebende Rockband wie Friedberg, mit denen ich letztens die Bühne teilen durfte und die mit grosser Selbstverständlichkeit nur aus Frauen besteht (wie meine Band übrigens auch).

Ein Eindruck von Friedberg live

Obwohl noch sehr viel geschehen muss; als ich bei der Stadt Zürich anrufe um zu erfahren, wieviele Mädchen heute E-Gitarre Unterricht nehmen sind es von total 431 Schüler*Innen bereits 54. Na immerhin, mehr als eine.

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