Veröffentlicht am 29. Juni 2022

«The Versions» von Neneh Cherry ist viel mehr als ein Coveralbum

Auf «The Version» interpretieren zahlreiche Künstler:innen von ANOHNI bis Sia Songs von Neneh Cherry – ein spannender Dialog und Brückenschlag zwischen den Generationen. Wir erzählen, wie es zu dem Projekt kam.

Journalist
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Neneh Cherry

Bevor wir über «The Version» sprechen – eine Compilation, auf der viele Künstler:innen Neneh Cherry covern – sollte man sich die Zeit nehmen, Miss Cherry höchstselbst zu appreciaten. Das merkt man schon, wenn man den ersten Song hört: Ein Update mit Robyn und Mapei von «Buffalo Stance», der Lead-Single ihres Debütalbums «Raw Like Sushi», das schon Ende der 80er neue Standards setze im Grenzgebiet zwischen Rap und Pop – und das zugleich eine feministische Ansage war. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass Neneh Cherry schon im Teenagerinnen-Alter die Bühne mit den Punk-Ikonen The Slits teilte. Neneh Cherry hat immer wieder bewiesen, dass sie ein Popstar mit Haltung und Experimentier-Lust ist. Sie hat dabei außerdem nie den Anschluss verpasst, oder es sich in Nostalgie und alten Erfolgen gemütlich gemacht. Ihr letztes Studioalbum «Broken Politics» wurde von Four Tet produziert, für den modernen Sound holte sie das junge britische Duo RocketNumberNine ins Studio und später auf Tour. Wer sich noch einmal ihre Karriere vor Augen führen lassen will, kann das übrigens mit Hilfe dieser sehr gelungenen Kurzdoku tun:

Neneh Cherry: «Die Arbeit an ‚The Versions‘ war wie ein Geschenk für mich.»

Die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Historie – und ihre Probleme damit – waren es auch, was Neneh Cherry dazu brachte, das Projekt «The Versions» zu starten. Kürzlich erschien nämlich ein Reissue ihres Debüts «Raw Like Sushi» – die Arbeit daran wurde zum Startschuss für «The Versions». Dem Musikmagazin Stereogum sagte Cherry dazu: «Die Arbeit an ‚The Versions‘ war wie ein Geschenk für mich. Ich habe das Gefühl, dass sie mich wirklich aufgebaut hat. Ich habe zuvor immer etwas allergisch reagiert, wenn ich mich in meiner Vergangenheit gefangen fühlte. Sobald ich ein Projekt abgeschlossen und erledigt habe, bin ich immer mit dem nächsten beschäftigt und schaue ungern zurück. Ich denke aber, dass ich in den letzten 10 Jahren eine ziemlich interessante Reise gemacht habe. Ich fühle mich immer noch absolut und völlig unvollendet. Aber ich habe das Gefühl, dass es eine wichtige Zeit im Leben ist, um zu würdigen, was man durchgemacht hat und was man gewesen ist. Die Idee zu dieser Platte wurde mit der Wiederveröffentlichung von ‚Raw like Sushi‘ geboren.» Diese wurde nämlich begleitet von Remixen und weiteren Tracks von ihr aus der Zeit. Einer dieser Remixe stammte von der trans Künstlerin Honey Dijon – eine der erfolgreichsten DJ unserer Zeit. Sie remixte «Buddy X». Neneh Cherry erklärt: «Das war die erste Sache, die wir gemacht haben, bei der wir dachten: Es ist schön, Altes mit Neuem herauszubringen. Honey ist eine große Inspiration und eine so wichtige Frau für mich. Ich fühle mich ihr sehr verbunden und nahe. Sie ist ein Wegweiser.» «Buddy X» im Remix von Honey Dijon schließt deshalb auch das zehn Songs umfassende Album ab.

Sia kam nach einem Suizid-Versuch im Haus von Neneh Cherry wieder zu Kräften

Ein der namhaftesten Künstler:innen auf «The Versions» ist mit Sicherheit Sia («Chandelier»), die für und mit Neneh Cherry «Manchild» aus dem Jahr 1989 covert. Sia schwärmt geradezu von ihr und sagt: «Neneh war damals meine absolute Lieblingskünstlerin, als sie auf die Bühne platzte. Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich mein Taschengeld sparte, um mir die roten Fila-Schuhe zu kaufen, die sie immer trug. Ich habe schon damals davon geträumt, dass wir uns eines Tages kennenlernen.» Das passierte tatsächlich – in einer für Sia schwierigen Lebensphase: «Als ich mit meiner mentalen Gesundheit kämpfte, da war ich so Anfang 20, bin ich für eine Weile bei Neneh gelandet. Ich habe mit ihrer Familie gelebt und sie hat sich um mich gekümmert, als sei ich eines ihrer eigenen Kinder. Während eines Suizidversuchs hatte ich ihren Ehemann Cameron angerufen – ein wichtiger Freund und Produzent von mir, der so etwas wie mein Mentor war. Sie baten mich, zu ihnen zu kommen und haben mir all die Liebe gegeben, die ich in dieser schwarzen Phase brauchte. Ich bin ihnen auf ewig dafür dankbar und würde selbst das ABC singen, wenn sie mich darum bitten würden. Neneh, my very first queen, Cameron my bonus dad, I love you forever amen!.»

ANOHNI singt «This is a woman's world»

Die Tracklist von «The Version» liest sich wie ein Who-is-Who der spannendsten Musiker:innen der letzten Jahre – und ist zugleich ein Statement für die Diversität der Popwelt. Mapei, Jamila Woods, Greentea Peng, Sudan Archives – sie alle sind junge schwarze Musikerinnen, die ihre Musik immer auch mit Politik zusammendenken. Mit Honey Dijon und ANOHNI sind zudem zwei Ikonen der trans Community vertreten. Letztere singt Neneh Cherrys feministische Ermächtigungshymne «Woman» und zeigt damit eindeutig, wo Neneh Cherry bei diesem Thema steht – nämlich garantiert nicht bei den TERFs (Trans-Exclusionary Radical Feminist) wie J.K. Rowling und Alice Schwarzer.

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