Veröffentlicht am 02. Juni 2022

«Running Up That Hill»: Wenn Klassiker plötzlich die Charts erobern

Eines der coolste Mädchen aus «Stranger Things“ hört Kate Bushs «Running Up That Hill (A Deal With God)» – und schon rauscht der Song von 1985 im Jahr 2022 in die Charts. Ein Blick auf Klassiker, die einen zweiten Frühling erleben.

Journalist
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Max hört Kate Bush und hebt ab

Wir wussten es schon immer: die Musik von Kate Bush hat die Fähigkeit, Freundschaften zu retten, Dämonen zu besiegen und ein Loch in die Unterwelt zu reissen, die einen gerade verschlingen will. Die gerade in der 4. Staffel gestartete Netflix-Serie «Stranger Things» hat dieses Wissen nun endlich einmal adäquat ausgefilmt. Max (gespielt von Sadie Sink), die sich zu Beginn der Serie langsam aus der realen Welt in Einsamkeit und Depression zurückzieht, hört «Running Up That Hill (A Deal With God)» gleich mehrfach. Es ist ihr Lieblingslied – schon in der ersten Folge sieht man, wie Max auf dem Weg zur Vertrauenslehrerin durch die Schule streift, einen Walkman dabeihat und Kate Bushs Musik nutzt, um die reale Welt auszublenden. Später helfen ihre Freunde Max mit Hilfe des Songs aus der dunklen Parallel- oder Unterwelt «Upside Down» heraus, wie man in dieser Szene sehen kann:

Max in den Fängen der Unterwelt – aber Kate Bush eilt zur Hilfe!

Plötzlich Streaming Queen: Kate Bush

Der prominente Einsatz dieses grossartigen Klassikers fixte nun anscheinend eine junge Generation an. Der Song schoss in vielen Ländern auf Platz 1 der Streaming Charts. Er ist dabei übrigens nicht nur musikalisch gut gealtert. Inhaltlich geht es nämlich, wie Kate Bush 1985 erklärte, um zwei Liebende, deren intensive Beziehung zu gegenseitigen Unsicherheiten führt. «Ich überlege in dem Song, wie es wäre, wenn der Mann die Frau und die Frau der Mann sein könnte. Wenn sie eine Abmachung mit Gott treffen könnten, um die Plätze zu tauschen. Dann würden sie verstehen, wie es ist, die andere Person zu sein, und vielleicht würden dadurch Missverständnisse ausgeräumt. Sie wissen schon, all die kleinen Probleme – es würde sie schlichtweg nicht geben. » Ein interessantes Gedankenspiel, das man problemlos vom Intimen ins Gesellschaftliche denken kann.

«Dreams» skatet dank TikTok ins Bewusstsein junger Hörer:innen

Der Höhenflug von Kate Bushs altem Song ist allerdings mitnichten ein Einzelfall. Die heutige Art des Musikfindens – nämlich durch Streaming, über TikToks, oder durch Filme und Serien – blendet Aktualität oft aus. Gerade TikTok schafft es immer wieder, alte Songs ins Bewusstsein und in die Streaming Charts zu bringen. Da wird so mancher Klassiker plötzlich für eine sehr junge Zielgruppe zugänglich – die dann auf einmal doch diese angestaubte Fleeetwood Mac-Platte «Rumours» mit dem cringy Cover vom Vater oder gar Opa ausleihen will. Im Herbst 2020 stiegen zum Beispiel die digitalen Verkäufe des Songs «Dreams» (in der 2004 Remaster Version) von Fleetwood Mac um satte 374 Prozent und die Streams um 89 Prozent. «Schuld» daran war Nathan Apodaca, der als @420doggface208 ein recht erfolgreicher Creator bei TikTok ist. Als er am 25. September 2020 einen Autopanne hat, lässt er den Wagen stehen, steigt auf sein Skateboard, weil er noch einen Termin hat und rauscht eine Küstenstrasse hinunter. Dazu trinkt er immer wieder einen Schluck «Ocean Spray»-Limo und vibed zu «Dreams» von Fleetwood Mac. Das Video wurde dermassen gefeiert, zitiert und verbreitet, das sich selbst Mick Fleetwood ein TikTok-Profil zulegte.

Für viele die schönste Art, Fleetwood Mac zu hören

Mit viralem Aktivismus auf die 1: «Killing In The Name»

Ein Crossover-Hit der 90er – um nicht zu sagen DER Crossover Hit der 90er – besetzte im Jahr 2009 die wohl wichtigste Charts-Platzierung Englands: «Killing In The Name» von Rage Against The Machine landete in der Weihnachtswoche auf Platz 1 der britischen Singles-Charts – und schlug den aktuellen Gewinner der Castingshow «The X Factor» Joe MeElderry. Damit jubilierte die Facebook-Initative «Rage Against The Machine For Christmas No. 1 2009!», die sich genau das zum Ziel gesetzt hatte und von dem Ehepaar Jon und Tracy Morter gestartet wurde. Fast eine Million Mitglieder hatte die Gruppe am Ende – und da viele den Song digital kauften, gelang das Experiment. Rage Against The Machine spendeten die unverhofften Einnahmen übrigens zum Grossteil an ein Obdachlosenheim und bedankten sich ein Jahr später bei den englischen Fans mit einem freien Konzert im Finsbury Park in London – wo sie natürlich «Killing In The Name» spielten:

«Killing In The Name» live im Finsbury Park im Jahr nach der Aktion

Pop-Klassiker als Investment

Es gibt viele Erfolgsgeschichten dieser Art – und wir werden noch einige mehr erleben. Das liegt auch an der Tatsache, dass erfolgreiche Songs aus Rock und Pop inzwischen zum begehrten Investment-Objekt geworden sind. Das liegt vor allem an Merck Mercuriades und dem von ihm gegründeten Hipgnosis Songs Fund Limited. Mit diesem Investment-Fond im Rücken ist der ehemalige Musikmanager Mercuriades, der zum Beispiel mit Beyoncé und Elton John arbeitete, seit einiger Zeit auf einer spektakulären Shopping Tour. Er kaufte einigen der grössten Namen der Musikgeschichte die Verlagsrechte für ihre Songkataloge ab. Neil Young, die Red Hot Chili Peppers oder eben auch Fleetwood Mac haben grosse Teile ihre Rechte an den Fond verkauft – und dafür Millionenbeträge kassiert, die sie mit eigenen Tantiemen niemals einspielen würden.

Merck Mercuriades sagte in einem Interview mit dem TV-Sender CNBC im Jahr 2018, er wolle, dass man den Wert eines Songs ähnlich ansieht wie den Wert von Gold oder Öl. Er inszeniert sich vor allem als Bewahrer eines kulturellen Erbes, der den Urheber:innen in einer Spätphase ihrer Karriere einen Verdienst ermöglicht, den sie selbst nicht mehr einspielen können. Damit die Rechnung für ihn und die Investor:innen allerdings aufgeht, verspricht der Fond auch dafür zu sorgen, dass diese Songs im Bewusstsein bleiben. Im Interview spricht er von «aktivem Management, dass die Songs in neue Erfolgssphären bringen wird.» TikTok und Kultserien dürften dabei ein geeignetes Tool für ihn sein – es dürfte also nur eine Frage der Zeit sein, bis bald wieder ein Klassiker zum Glücksfall wird.

Merck Mercuriades und CHIC-Mastermind Nile Rodgers geben dem TV-Sender CNBC ein Interview auf der Börse in London.

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