Veröffentlicht am 01. Februar 2023

Queerbaiting-Vorwürfe: Strategie oder schlicht regressiv?

Die Italiener:innen von Måneskin tragen Strapse, Röcke und High Heels. Allesamt. Immer wieder mal. Das finden sowohl traditionelle Rock-Fans als auch die Queer-Community nicht richtig. Weil zwei von vier Mitgliedern heterosexuell sind. Sex(uality) sells, richtig?

Journalist

Harry Styles trug unlängst ein Kleid auf dem Vogue-Cover, hat einen kunterbunten Beauty-Brand namens «Pleasing» und liegt im Video zu «Music for a Sushi Restaurant» als perlen-bekrönte Meerjungfrau herum. Auf seinen Konzerten wedelt die Gen Z jubelnd mit Regenbogen-farbenen Federboas. Gedatet hat Styles öffentlich nur (ziemlich bekannte, ziemlich schöne) Frauen. Auch Latin-Über-Star Bad Bunny trägt Nagellack und schnallt sich für High Fashion Editorials gerne mal die Heels an, während in seinen Musik-Clips aber immer noch machohaft die eingeölten Ärsche wabern und Geldscheine darauf kleben bleiben. Die Rock-Italos von Måneskin lieben Make-Up, Glitzer und Netzstrümpfe unter ihren String-Tangas – Sänger Damiano David und Gitarrist Thomas Raggi aber tragen dabei einen Look, der nicht ihrer Sexualität entspricht. Wer heterosexuell ist, sich aber den Stil-Codes der LGBTIQA+-Community bedient, will sich bloss ein breiteres Fan-Spektrum erschleichen?

Zauberwort: Queerbaiting

Heruntergebrochen heisst das: laut mit Queerness werben, aber die Werte dahinter nicht vertreten. Das englische Wort «Bait» bedeutet zu Deutsch «Köder» – genau den stellt in diesem Fall der queere Inhalt dar, mit dem im Meer der grossen Möglichkeiten geangelt wird, um eine grössere Zielgruppe anzulocken. Der unsichere Regenbogenfisch soll da ebenso anbeissen wie die hundsgemeine Forelle.

Der Pride Month geht mit leuchtendem Beispiel voran: Unternehmen färben Logos und Content bunt. Plötzlich wird der Burger zum Prisma, um klarzustellen, dass man der LGBTIQA+-Community verbunden ist. Ob dem tatsächlich so ist - steht in den Sternen, nach denen gegriffen werden soll. Aber: Das Leben und die Sexualität echter Menschen werden nicht in einer Kreativagentur erschaffen.

Ist Harry Styles nun eine Fake-Ikone?

Weil er glitzert wie blöd, aber sabbernd Kendall Jenner nachrennt? Macht er nicht dennoch Menschen Mut? «Es ist problematisch, da uns suggeriert wird, dass die Sexualität einer Person sichtbar sein, oder sie leicht erkennbar sein muss, um authentisch zu wirken – im Gegensatz zum Verständnis, dass sie etwas Privates ist und sich im Laufe der Zeit verändern kann», so Claire Sisco King, Kommunikationsprofessorin der Vanderbilt University. «Es besteht die Gefahr, dass die Vorstellung von Sexualität auf das reduziert wird, was wir sehen können.»

Das, was man mit Queerbaiting da also in den Raum wirft, limitiert die Komplexität von sexueller Identität – was wiederum dem Konzept von Queerness völlig zuwiderläuft. Es geht darum, sich einer Kategorisierung entziehen. So zieht es Harry Styles vor, sich nicht als queer oder heterosexuell darzustellen, sondern sein Liebesleben möglichst privat zu halten: «Manchmal sagen die Leute: 'Du warst in der Öffentlichkeit nur mit Frauen zusammen' und ich glaube aber nicht, dass mich jemand in der Öffentlichkeit mit jemandem zusammensein gesehen hat», so Styles. «Wenn jemand ein Foto von dir mit jemandem macht, bedeutet das nicht, dass du dich für eine öffentliche Beziehung oder so entscheidest.» Mode ist nicht per se eine Botschaft, die deutlich eine sexuelle Orientierung übermittelt.

Sexuality, Drugs and Rock n Roll

Die Ragazzi von Måneskin stellen sich den Vorwürfen des Queerbaiting nun in einem aktuellen Interview mit The Guardian: «Es ist dumm von queeren Menschen, die diese Stereotypen bekämpfen sollten, sie so zu bezeichnen und noch mehr Hass zu erzeugen», so Bassistin Victoria de Angelis. Sie und Schlagzeuger Ethan Torchio gehören der LGBTQ+-Gemeinschaft an. Immerhin! Sänger Damiano David relativiert: «Alles, was Thomas und ich tun, wird immer von zwei Menschen gefiltert, die queer sind. Natürlich erleben wir nicht die gleichen Dinge, aber wir leben jeden Tag sehr eng mit Menschen aus der Community zusammen.» Victoria de Angelis fügt hinzu: «Wir glauben nicht, dass es bei echter Rockmusik um diese Stereotypen von Sex und Drogen und Rock’n’Roll-Lifestyle geht. Es geht um Ausdruck und kreative Freiheit.» Wenn Popstars durch ihre Looks andere dazu ermutigen, sich ebenso frei zu fühlen – sei es in der Wahl ihrer Kleidung, als auch in der ihrer Lover – dann lassen wir uns gerne ködern. Nimm mich, Harry.

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