Von Punk bis Pop: Die 17 besten Musik-Dokumentationen aller Zeiten
Ein mysteriöser Schlagzeugerverschleiss, ein Koffer voller Geldscheine und ein Musiker, der lieber Kaffee kocht, statt Musik zu machen: diese Dokumentationen, Konzertfilme und Künstler:innenporträts heben sich von anderen ab und sind absolute Must-Sees.
Erst kürzlich veröffentlichte Jennifer Lopez mit «Halftime» eine 90-minütige Künstlerinnen-Dokumentation, die ihren Fans (und allen Netflix-Abonnent:innen) einen echten Blick hinter die Show-Kulissen geben sollte. Und natürlich tut sie das nicht, denn Ehrlichkeit und Authentizität werden in solchen Filmen praktisch immer durch die schiere Perfektion und Makellosigkeit ihrer Protagonist:innen verwässert. Trotzdem ist es gute Unterhaltung, und manchmal reicht das ja für einen Abend vor dem Laptop. Andere Beispiele zeigen durchaus vielschichtigere Ausschnitte aus dem Leben von Musiker:innen, Bands und ihrer Entourage. Deshalb folgt hier in chronologischer Reihenfolge eine Auflistung der besten (und für jeden Geschmack passenden) Musik-Dokumentationen aller Zeiten.
The Decline Of Western Civilization 1&2 (1981/88)
Mit ihrem ersten Film wurde Regisseurin Penelope Spheeris 1981 zur Ikone der Punk-Generation von L.A.. Neben der Musik zeigt sie einen ungeschönten Einblick in diese wilde Szene Ende der 1970er Jahre, oft mit brutalen und gewalttätigen Partynächten, wo nicht nur bis zur Erschöpfung getanzt, sondern auch einfach mal draufgeschlagen wurde – dies v.a. auch als Statement und ganz klare Abgrenzung zur damaligen Flower-Power-Hippie-Bewegung. In Teil 2 «The Metal Years» zeigt Spheeris was passiert, wenn dieselben Musiker ein wenig Geld, jede Menge Drogen und literweise Haarspray haben. W.A.S.P.-Gitarrist Chris Holmes schwimmt betrunken im Pool und Ozzy Osbourne macht in einer Robe mit Leopardenmuster Frühstück. Die Filmreihe (zu der auch ein dritter Teil gehört) wurde übrigens nach einem Zitat des Journalisten Lester Bangs über die Band The Stooges betitelt.
Style Wars (1983)
In den frühen 1980er-Jahren, als Hip Hop, Breakdance und die Graffiti-Szene noch ganz am Anfang standen, drehten Tony Silver und Henry Chalfant die legendäre Dokumentation «Style Wars» in New York City. Die Helden: junge Kids die versuchen, ihrer sehr düster anmutende Stadt Farbe und Leben einzuhauchen, der Bösewicht: der damalige Bürgermeister Ed Koch. Eine absolute Must-see Dokumentation! Tipp: Die Schweizer Künstler Veli & Amos haben 2013 mit «Style Wars 2» eine Fortsetzung dieses ikonischen Films gedreht, ebenfalls äusserst sehenswert.
This Is Spinal Tap (1984)
Als der Film 1984 in die Kinos kam, glaubten viele Zuschauer:innen, dass es sich dabei um eine echte Dokumentation handelte. Prominentester Fall: Ozzy Osbourne. Später sagte er: «Ich hätte es wissen müssen. Im Gegensatz zu den Dingen, die wir so machten, wirkten sie recht handzahm.» Die Mockumentary von Rob Reiner muss aber trotzdem hier erwähnt werden, weil: Wer sie noch nicht gesehen hat, muss das ganz dringend nachholen! Die Geschichte über die britische Metal Band «Spinal Tap» beinhaltet alles und noch viel mehr, was eine wirklich gute Musik-Doku ausmacht: eine letzte, chaotische Tournee, ein mysteriöser Schlagzeugerverschliess, abgesagte Auftritte, missglückte Bühnenshows und natürlich ein Streit zwischen den beiden Gitarristen.
Hype! (1996)
Der Film nimmt die Zuschauer:innen mit auf eine Reise in das Seattle der frühen 90er Jahre und ist bis heute das vielleicht beste filmische Porträt des Grunge. Doug Prays Dokumentation zeigt den Aufstieg der einheimischen Rockszene rund um Bands wie den Melvins, Green River oder Seven Year Bitch bis zum Mainstream-Hype um Nirvana, inkl. Aufnahmen von solch einflussreichen Musikern wie Eddie Vedder (Pearl Jam) oder Kim Thayill (Soundgarden). Der Film schafft was nur wenigen Rock-Dokumentationen gelingt, und zwar nicht nur die Musik, sondern auch das Gefühl dieses besonderen Genres rüberzubringen.
I Am Trying To Break Your Heart: A Film About Wilco (2002)
Bandinterne Konflikte und ein geplatzter Plattendeal: Filmemacher Sam Jones hätte wohl niemals für möglich gehalten, was während den Dreharbeiten zur Wilco-Dokumentation alles passiert. Quasi zufällig wird er Zeuge eines Moments, der in die Indie-Musikgeschichte einging. Wie das Album Yankee Hotel Foxtrott doch noch veröffentlicht werden kann und wie sich die Dinge für die Band plötzlich ändern, zeigt dieser sehr empfehlenswerte Film – Heartbreak inklusive.
Metallica: Some Kind of Monster (2014)
Was bei anderen Dokumentationen viel zu kurz kommt, ist hier Programm: Der Film über die vier amerikanischen Rocker zeugt von brutalster Ehrlichkeit und gewährt Einblicke in die Tiefen ihrer Seelenleben. Denn die härteste Zeit ihrer Bandgeschichte meisterten die Musiker nicht alleine, sondern mit Hilfe von Band-Therapeut Phil Towle. Die Filmemacher Joe Berlinger und Bruce Sinofsky sollten eigentlich nur ein Making-Of drehen, aber als klar wurde, dass hier eine der grössten Rockbands der Geschichte in einer echten und alles entscheidenden Existenzkrise steckt, blieben sie und dokumentierten weiter, und zwar komplett ungefiltert.
Dig! (2004)
Ein Must für jeden Indie-Fan: Über sieben Jahre gedreht und aus tausenden Stunden Filmmaterial zusammengeschnitten zeigt Dig! am Beispiel von The Dandy Warhols und The Brian Jonestown Massacre was passiert, wenn Kunst und Kommerz zusammentreffen. Mittelpunkt des Films bilden die Karrieren und die Hassliebe der beiden Frontmänner Courtney Taylor-Taylor und Anton Newcombe. Der Film von Ondi Timoner gewann zurecht am Sundance Filmfestival und wurde später vom Museum of Modern Art (MoMA) in die Sammlung aufgenommen.
Anvil! The Story Of Anvil (2008)
«Das echte Spinal Tap!», so der Hype. Mit 14 Jahren schworen sich die Schulfreunde Steve «Lips» Kudlow und Robb Reiner aus Toronto für immer zusammen zu rocken. Mit Anvil schafften sie das Unmögliche und wurden in ihrer Heimat Kanada kurze Zeit derart verehrt wie die Bands, die sie mit ihrem neuartigen Speed-Metal-Sound beeinflussten: Metallica, Slayer oder Anthrax. Aber anders als sie verkauften Anvil keine Millionen von Platten, sondern verschwanden bald in der Bedeutungslosigkeit. Ihren Kindheitstraum gaben Lips und Reiner aber nie auf. Der Film zeigt, wie die beiden, mittlerweile um die Fünfzig, ihr insgesamt 13. Studioalbum «This is thirteen» aufnehmen und im Anschluss tatsächlich durch Europa touren – ob sie den Durchbruch diesmal schaffen? Es bleibt ihnen wirklich zu wünschen!
The Carter (2009)
Der Film von Adam Bhala Lough, Joshua Krause und Quincy Delight Jones III (Sohn von Quincy Jones und Ulla Andersson) begleitet Rapper Lil Wayne direkt vor dem Release seines Carter III Albums. Es zeigt einen sehr intimen Einblick in das Leben eines Mega-Stars auf Tour, inkl. einem Koffer voller Geldscheine und Unmengen von Sizzurp. Nach Drehschluss versuchte der Künstler die Veröffentlichung zu verhindern, weil ihm die Dokumentation zu ehrlich war. Ein Richter wies die Klage ab und so erhalten die Fans nach wie vor einen seltenen Blick hinter die Kulissen des Hip-Hop.
Sound City (2013)
Der Film von Dave Grohl erzählt die Geschichte von Sound City, dem Tonstudio in Los Angeles, das viele der grössten Rock-Album aller Zeiten hervorgebracht hat. Von Neil Youngs «After The Goldrush» über Tom Pettys «Damn the Torpedoes» bis hin zu Nirvanas «Nevermind». Hier traf Mick Fleetwood auf Stevie Nicks und Lindsey Buckingham, die später beide Fleetwood Mac beitraten. Trotz dem Vormarsch der Digitalisierung suchten Musiker:innen immer wieder diesen analogen Ort auf, statt in moderne Studios zu wechseln. Am Ende bringt Dave Grohl ein paar der einflussreichsten Künstler:innen in seinem eigenen Studio zusammen, um gemeinsam ein neues Album auf der originalen Sound-City-Konsole aufzunehmen. Das Ergebnis: Neue Musik von Stevie Nicks, Josh Homme, Trent Reznor, Krist Novoselic und Sir Paul McCartney.
Amy: The Girl Behind The Name (2015)
Die Oscar-prämierte Dokumentation des britischen Regisseur Asif Kapadia ist ein aussergewöhnliches Porträt über eine der grössten Musikerinnen der Neuzeit: Amy Winehouse unterschrieb mit 19 Jahren einen Plattenvertrage bei EMI, im Alter von 23 veröffentlichte sie das Album «Back to Black», mit 27 wird sie tot in ihrem Londoner Haus aufgefunden. Dieselbe Amy, deren Beziehungen und Drogenexzesse immer wieder die Boulevard-Schlagzeilen bestimmten, wurde in ihrer kurzen Karriere mit insgesamt sechs Grammys ausgezeichnet. Absolut sehenswert.
Cobain: Montage of Heck (2015)
Brett Morgens Dokumentarfilm ist ein multimedialer Mix aus selbst gedrehten Heimvideos von Kurt Cobain, seinen Tagebucheinträgen, Zeichnungen, Notizen und Tonaufnahmen und zeigt über knapp 2,5 Stunden ein sehr intimes und ungefiltertes Porträt des Nirvana-Sängers. Hinzukommen Interviews und Konzertaufnahmen sowie bisher unveröffentlichtes Filmmaterial. Es ist nicht der erste, aber der mit Abstand beste Film über die Grunge-Ikone.
Shut Up and Play the Hits (2012)
Wann ist es Zeit, die Popkarriere an den Nagel zu hängen? Dieser und anderen Fragen gehen die beiden Filmemacher Will Lovelace und Dylan Southern in der LCD Soundsystem Dokumentation nach, die u.a. ihren letzten Auftritt 2011 im Madison Square Garden zeigt. Als James Murphy, der Kopf des Musik-Projekts, gefragt wird, was er nach dem Ende seiner erfolgreichen Band vorhabe, antwortet er schüchtern: «Ach, es gibt verschiedene Dinge, die ich gerne machen würde, z.B. Kaffee kochen.» Murphy war zwar schon immer ein Anti-Rockstar, seine Gedanken über das Älterwerden und den Ruhm beweisen aber, dass er auch einer der Vernünftigsten ist.
Homecoming (2019)
Wie auf einem ihrer Konzerte läuft auch hier nichts schief: «Homecoming» zeigt während 137 Minuten die beiden historischen Coachella-Auftritte von Beyoncé als erste afroamerikanische Headlinerin überhaupt – inkl. Vorbereitungen zu den Shows. Auch hier überlässt sie nichts dem Zufall und führt gleich selbst Regie, folglich sucht man als Zuschauer:in die ehrlichen Momente vergebens. Trotzdem lohnt sich der Film nicht nur für eingefleischte Fans. Die beiden Mega-Shows sind gigantisch und beeindruckend und nicht ohne Grund in die Musikgeschichte eingegangen. Die Stärke der Dokumentation liegt aber klar darin, Beyoncé als Frau zu sehen, die für Gleichberechtigung, Feminismus und Black Empowerment kämpft.
Billie Eilish: The World’s A Little Blurry (2021)
Billie Eilish ist definitiv noch zu jung, um den sonst üblichen narrativen Bogen einer Musikdokumentation bereits durchlebt zu haben (Aufstieg – Melt-Down – Untergang). Deshalb setzt der Film auf sehr persönliche, häusliche Momente des Superstars. Als Zuschauer:in fühlt man sich teilweise wie ein Teil der Eilish-Familie: man sieht Billies Schlafzimmer, wo sie gemeinsam mit ihrem Bruder Finneas O'Connell Musik macht – ungekünstelt und authentisch. Man sieht ihre liebevollen Eltern, ohne die ihre Karriere wohl kaum so bedacht verlaufen würde. Und man sieht eine junge Frau, die langsam erwachsen wird und sich mit den gleichen Probleme rumschlagen muss, wie alle anderen in ihrem Alter auch.
Summer of Soul (2021)
Im Sommer 1969, als sich die gesamte Medienaufmerksamkeit auf Woodstock konzentrierte, fand im Mount Morris Park in Harlem an sechs Sonntagen ein Musikfestival statt, das als das «schwarze Woodstock» in die Geschichte einging. Von Nina Simone über Sly and the Family Stone bis zu Stevie Wonder und vielen anderen bedeutenden Musiker:innen kamen alle hier in New York City zusammen. Jahrzehntelang waren die Aufnahmen in einem Keller in Vergessenheit geraten. Erst durch diesen Film von The-Roots-Musiker Questlove werden die Konzerte rund um das Harlem Cultural Festival als historischer Meilenstein endlich entsprechend gewürdigt.
The Velvet Underground (2021)
Es macht nur Sinn, dass sich vor Todd Haynes niemand an eine Dokumentation über The Velvet Underground getraut hat. Es gibt nämlich kaum Archiv-Material der Band nach 1968 (sprich nach der Beendigung der Zusammenarbeit mit Andy Warhol). Trotzdem schafft es der Filmemacher, die Geschichte der Avantgarde-Band (u.a. durch die Erzählungen der heute noch lebenden Mitglieder John Cale und Maureen Tucker) äusserst lebendig zu machen. Ausserdem hört man die Stimmen von Lou Reed und Sterling Campbell in Form von altem Filmmaterial, die die Zuschauer:innen eintauchen lassen ins New York der 60er-Jahre. Ein Porträt über eine unangepasste und experimentierfreudige Band, deren Sound die Musikwelt für immer veränderte.