Betreutes Hören mit Spotify?
Hyper Personalization, Podcast-Empfehlungen ohne Ende, eine an den Rand gedrängte Alben-Bibliothek, Songs, vor denen man nicht flüchten kann – viele Spotify-User:innen beklagen nach dem jüngsten Update die Entwicklung der Streamingplattform. Wird Spotify langsam zu aufdringlich?
Ende Juli machte ein Artikel des renommierten Magazins «New Yorker» in der Musikwelt die Runde. In «Why I finally quit Spotify» erklärt der Autor Kyle Chayka, inhaltlich zuständig für Netz- und Popkultur, genau das, was der Titel verspricht.
Eine Kündigung, die Wellen schlägt
Anlass seiner Kündigung war ein Update, das Spotify nach und nach international ausgerollt hat. Seine Erfahrungen damit beschreibt Chayka so: «An der ersten Tagen, an denen ich die aktualisierte App verwendete, hatte ich das Gefühl, auf meiner Tastatur in einer fremden Sprache zu tippen. Als ich zum Beispiel versuchte, Alben des Bill Evans Trio aufzurufen, konnte ich nur Playlisten finden.»
Weiter schreibt er: «Ich habe ‘BRAT’ von Charli XCX in meiner Bibliothek gespeichert, um es mir komplett anzuhören, aber dann konnte ich es nicht mehr finden. Als ich meine Bibliothek als Ganzes ansehen wollte, kam ich nicht über die Seitenleiste hinauskommen. Soweit ich es beurteilen kann, ist das inwzischen unmöglich. (Das Unternehmen hat auf Bitten um eine Stellungnahme zu diesem Artikel nicht reagiert).»
Der Tod des Albums
Kyle Chaykas Kernthesen dabei: Spotify übertreibt es mit seinen Empfehlungen, pusht die sogenannte vom Algorithmus zusammengestellte Hyper Personalization, haut einem Podcast- und Audiobook-Empfehlungen um die Ohren (für die Spotify keine Tantiemen zahlen muss) und will nicht, dass wir Alben hören oder gar eine eigene Musiksammlung pflegen, wie wir es im Plattenregal tun.
Chaykas Fazit: «Musik lässt sich auf der App am einfachsten in einer ungeordneten, unendlichen Kaskade konsumieren; jeder Song wird zum Audio-‘Conent’, der vom Gesamtwerk eines Musikers getrennt ist. Kurz gesagt, Spotify scheint sich nicht mehr um die persönliche Beziehung zu ‘deiner’ Musik zu kümmern – es hält dir eigene Köder vor die Nase, die über die Jahre immer nähergekommen sind.»
Pusht das Auto-Play bestimmte Songs?
Für Diskussionen sorgen auch die zahlreichen Kommentare auf Reddit, TikTok oder YouTube, dass man vor bestimmten Songs nicht flüchten könne. Und es stimmt: Selbst, wenn man eine Reggaeton oder Metal-Playlist auf Auto-Play weiterlaufen ließ, kam es vor, dass man plötzlich dne zuckrig süßen Sommerhit «Espresso» von Sabrina Carpenter oder «Lunch» von Billie Eilish hörte.
Tolle Songs, keine Frage – aber inhaltlich natürlich völlig fehl am Platze. Die sehr naheliegende Vermutung: Spotify, das zu großen Teilen auch von den Major-Labels finanziert wird, pusht die eigenen Stars auf diese Weise.
Auf einen «Espresso» mit Sabrina Carpenter | ZUM ARTIKEL
Das Online-Magazon «Vox» meint dazu: «Diese Vermutung ist nicht gerade weit hergeholt». Die Geschichte der Popmusik sei «voll von Payola-Skandalen», bei denen Manager «Hits durch Bezahlung für Radiopräsenz produzierten» und weiterhin Schlupflöcher fänden, nachdem dies 1960 in den USA verboten worden sei.
Spotify-Chef Daniel Ek ist vielleicht gar nicht so ein großer Musik-Fan
Auch Spotify-Chef Daniel Ek sorgt immer wieder für Kündigungen. Er macht keinen Hehl daraus, dass er Geschäftsmann ist – und nicht zwingend Musikfan. In diversen Statements und Podcasts kündigte er an, dass Spotify bald nicht mehr nur eine «music company» sei, sondern vor allem eine «audio company».
Spotify hat sicher einen großen Anteil am Podcast-Boom der letzten Jahre und die Firma forciert dieses Medium, ebenso wie neuerdings Audiobooks, spürbar. Der Vorteil dieser Content-Formen: Sie werden nicht per Stream vergütet und sind deshalb planbarer und rentabler.
Das könnte erklären, warum Podcasts auf der Startseite immer präsenter wurden, selbst wenn man pro Tag 80 Prozent der Zeit Musik hört und nur 20 Prozent mit Podcasts verbringt …