«In pinken Sakkos herzlich weinen»: Eric Pfeil über Italo-Pop
Eros Ramazzotti kommt noch mal auf Tour, der Sommer in der Schweiz fühlt sich an wie Italien. Gutes Timing für ein Gespräch über Italo-Pop mit Eric Pfeil – dem Autoren des Sachbuchbestsellers «Azzurro – Mit 100 Songs durch Italien».
Der in Köln lebende Eric Pfeil ist nicht nur Kenner und Herzblut-Fan der italienischen Popmusik, er ist ausserdem Buchautor, Musiker und Journalist. In seinem neuen Buch «Azzurro» (KiWi Verlag) reist er «Mit 100 Songs durch Italien» und erklärt anhand ausgewählter Stücke, wie die Italiener:innen so ticken. Dabei hören wir von politischen Songwritern, grossen Stadionpopstars, zeitgenössischen Sängerinnen wie Madame und wir erfahren, dass man in Italien bereits seit den 50ern höchst offiziell per Wettbewerb in Sanremo DEN Sommerhit des Landes findet. Eric schaut dabei aber nicht nur mit dem verklärten Blick des Fans auf die Musik und die Kultur des Landes – er weiss auch um die Schattenseiten im sonnigen Italien. Sein Buch hat dabei augenscheinlich einen Nerv getroffen: Es hält sich seit sechs Wochen in den Top 20 der wichtigsten Bestseller-Liste seines Heimatlandes. Bevor wir in das Interview einstiegen, empfehlen wir aber erst einmal, Musik anzumachen:
Das war so eine klassische Kindheitsliebe. Man kriegt ja schwer wieder abgeschüttelt, was einen da packt, weil es so unvermittelt kommt. Ich hatte das grosse Glück, dass meine Eltern in den frühen 80ern immer mit mir nach Italien gefahren sind im Urlaub. Damals gab es ohnehin so einen Italo-Boom und der schlug sich auch in den Charts nieder – selbst in den Deutschen. Da hatten dann so Leute wie Alice, Ricchi e Poveri oder Toto Cutugno Riesenhits. Die deutschan Charts waren voll mit italienischer Popmusik. Und das hab ich damals schon so intuitiv verknüfpt. Mit den jahren hat mich das Thema immer weiter beschäftigt und irgendwann hab ich dann gemerkt: Das erklärt sich ja gegenseitig. Dieses Land, was man so faszinierend und auf eine plakative weise schön findet – und dann diese Popmusik. Später merkte ich: Ah, da sind noch so zwei, wenn nicht gar 42 Ebenen drunter, wo es wirklich in die Tiefe geht und wo das Land, oder der Kulturraum in der Musik erklärt wird. Dann kam noch italienischer Film bei mir dazu , das hat mich in den 90ern total gepackt. Und ich hatte einen heftigen Adriano Celentano-Fimmel, das hat sich potenziert.
Das Ding mit den Klischees in Italien ist ja so eine Sache. Immer wenn man sich gerade fragt, ob man hier jetzt in sehr klischeehaften Gewässern unterwegs ist, tun die Italiener:innen einiges dafür, diese Klischees zu bestätigen. Es gibt so einen italienischen Journalisten, Beppe Severgnini, der hat ein Buch geschrieben über das Leben in Italien und da schreibt er: «Wir Italiener sind sehr gut darin, euch Deutschen eine Marke zu verkaufen und ihr fallt jedes Jahr wieder drauf rein.» Zum Charme der italienischen Kultur gehört es, mit diesen Klischees und Stereotypen zu spielen. Insofern könnte ich gar nicht wirklich schlimme Klischees benennen, weil das den Italiener:innen selbst sehr bewusst ist und auch zum Inhalt der Lieder gemacht wird. Wenn Tutu Cutonio «L’Italiano» singt, wo es heisst «Lasst mich singen, ich bin Italiener», dann ist das natürlich schon 1981, als er den Song geschrieben hat, so ein Spiel mit dieser Zuschreibung. Der weiss um das Klischee.
Da muss ich mit dem Offensichtlichen hantieren, weil das wirklich immer funktioniert: Da empfehle ich dringend, sich mit Adriano Celentano auseinanderzusetzen, vor allem mit den Sachen, die der so ab 1966 gemacht hat. Da hat der wirklich total wild Psychedelic, Rock’n’Roll und süditalienische Folklore zusammengeschmissen und eine komplett eigene, naive und sehr wilde Musik draus gemacht. Das gipfelt in einem Stück namens «Prisencolinensinainciusol». Da könnte man eigentlich sagen, er erfindet 1973 Rap. Celentano rappt da über einen geloopten Beat in Fantasiesprache und das haut einem auch heute wirklich noch alles raus. Das ist so bekloppt und so irre das Lied.
Der andere, den ich immer dringend empfehle, der aber auch schon von der hiesigen Hiptser-Szene sehr umarmt wird, ist Lucio Batisti. Der geht eigentlich so ganz tief in die italienische Seelenselbsterforschung rein. Das ist so Musik, die dir das Gefühl gibt, dass in dieser Musik Italien erst erfunden wird – dieses flirrende Spiel mit Leichte und Schwere, das in Italien das Thema ist. Die Frage: Müssen wir jetzt gerade alle herzlich weinen oder haben wir pinke Sackos an? Ach, beides!
Eros und seine Mitautoren haben viele gute Lieder geschrieben. Das schönste ist meines Erachtens «Se bastasse una canzone», was übersetzt heisst: „Wenn ein Lied reichen würde“. Es ist ein Stück über die Kraft (und die Grenzen) von Musik – und über Empathie. Es geht um nichts weniger als Einigkeit zwischen den Menschen, Mitleid mit den Ausgestossenen und den Weltfrieden. In gewisser Weise ist es das „Imagine“ der leichten Musik Italiens. Sein Lied, singt Ramazzotti, wäre alle jenen gewidmet, die sich noch trauen zu träumen. Damit holt er Italien ab, ist man hier doch dem Traum – il sogno – bekanntlich nicht abgeneigt.
Alle Informationen zur Tour von Eros Ramazzotti findet hier ihr. Alles über «Azzurro – Mit 100 Songs durch Italien» von Eric Pfeil erfahrt ihr hier.