Veröffentlicht am 31. Mai 2022

Wenn Musiker Bücher schreiben

Wenn drei begehrte deutsche Musiker in die Tasten hauen, dürfte dies der Stoff für Bestseller sein. Wir sprachen mit Drangsal, Hendrik Bolz (Zugezogen Maskulin) und Florian Weber (Sportfreunde Stiller) über ihre neuen Romane.

Journalist
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Es ist kein Geheimnis, dass die Pandemie das Berufsleben vieler Musiker:innen ausgebremst hat. Die Vermutung, dies sei der Grund, warum auf einmal viele von ihnen literarische Veröffentlichungen am Start haben, greift aber trotzdem zu kurz. Eher scheint es, als sei die permanente Arbeit mit Songtexten und die Zeit zwischen den Konzerten ein guter Nährboden für längere Erzählungen. In den letzten Wochen veröffentlichten gleich drei Musiker aus der deutschen Indie-Musiklandschaft sehr überzeugende Bücher, die im Feuilleton ausgiebig besprochen wurden.

Hendrik Bolz und sein Memoire «Nullerjahre» (KiWi Verlag)

Der im Berliner Rap-Duo Zugezogen Maskulin Tiesto genannte Rapper erzählt im autobiografischen «Nullerjahre» von seiner Jugend in den unschönen Vierteln von Stralsund. Die ehemals zur DDR gehörende Stadt kämpfte in den Jahren nach der Wiedervereinigung mit sozialen Problemen und rassistischen Tendenzen, die gerade bei der Jugend Anklang fanden. Für Hendrik Bolz waren diese ersten Jahre des neuen Jahrtausend vor allem eine Zeit, in der die Eltern abwesend waren, weil sie mit der neuen Staatsform klarkommen mussten. Eine Zeit, in der rechte Kräfte sehr erfolgreich ihre Strukturen verfestigen konnten. Eine Zeit, in der man die Nazis oft im eigenen Freundeskreis hatte, und als pubertierender junger Mann auch vielleicht ein wenig von diesen Typen beeindruckt war. Im Interview für einen Podcast mit dem Autor dieser Zeilen sagt Hendrik, dass er diese prägende Zeit schon immer ausführlicher erzählen wollte. Auch um sein eigenes Handeln zu hinterfragen. Musikalisch hatte er das mit seiner Band bereits 2015 in dem Song «Plattenbau O.S.T.» getan.

Musikvideo von Zugezogen Maskulin zu «Plattenbau O.S.T.» aus dem Jahr 2015

Wie das mit dem Schreiben funktionierte, erklärt er so: «In meiner Jugend war es uncool zu lesen, da habe ich das nicht gemacht und habe mich dem lange verweigert, obwohl ich als Kind viel las. Vor ein paar Jahren habe ich damit wieder angefangen und es hat mir grosse Freude bereitet. Da gang das auch mit dem Schreiben los. Als Kind habe ich sehr gerne Aufsätze geschrieben, zwar keine Kurzgeschichten oder so, aber ich habe schon gemerkt, dass es mir liegt. Als die Rap-Karriere startete, habe ich immer schon mal mit dem Gedanken gespielt, das Schreiben richtig anzugehen. Durch die Zeit als Rapper habe ich ein Gefühl für Rhythmus, Sprachbilder und Spannungsbögen und einen eigenen Stil entwickelt. Beim Schreiben des Buches habe ich oft gemerkt: Ich kann das, ich habe ein Gefühl dafür, wenn mir ein Satz gefällt, oder wenn ich noch ran muss. Dann hat es sich irgendwie so aus mich raus ergossen.»

Drangsal und seine poetische Textsammlung «Doch» (Claassen Verlag)

Max Gruber nennt sich als Musiker Drangsal und hat im vergangenen Jahr sein drittes Album «Exit Strategy» veröffentlicht, das in Deutschland Platz 6 der Charts erreichte. Darauf verbindet er seine Liebe zu britischer Musik und New Wave mit überraschenden deutschen Texten. Ausserdem zählt er mit seinem Sparringspartner, dem Rapper Casper, zu den erfolgreichsten Podcastern des Landes. Sein literarisches Debüt «Doch» kam im März und ist laut Gruber, «eine Textsammlung, auch wenn das Wort ein wenig unglamourös klingt.» Aber es trifft die Sache. Es gibt Gedichte, autobiografische Stories und eher surreale Erzählungen, in denen Gruber auf tragikomische Weise die Erinnerungen an seine Jugend aufarbeitet. Er selbst sagt, er habe sich einen Roman noch nicht zugetraut, aber grosse Freude daran gehabt, sich mal als Autor «auszubreiten».

Dabei findet Gruber es in den meisten Fällen eher anmassend, wenn Musiker:innen Bücher schreiben: «Wenn man hört ‚Musiker:in schreibt Buch‘. Dann ist man eher gewillt, mit den Augen zu rollen. Ich vergleich das immer mit ‚Schauspieler:in gründet Band.‘ Da sag ich eher so: ‚Ach, nö!‘ Ich dachte, es wäre vielleicht schlauer, erst einmal etwas zu schreiben, das kurzweiliger ist und so ein bisschen ‚all over the place‘ im Gegensatz zu einem Werk, das als Ganzes zu begreifen ist. Ich glaube, ich kann das irgendwann auch mal machen. Wer weiss. Aber dafür müsste ich etwas länger in Klausur gehen. Ich sage mir eher: Ich bin gerade auf dem Weg, ein Autor zu werden, und mit diesem Buch vielleicht einen entscheidenden Schritt weitergekommen.»

Florian Weber ist mit «Die wundersame Ästhetik der Schonhaltung» schon beim dritten Buch (Heyne Hardcore)

Etwas anders verhält sich die Sache bei Florian Weber. Der Drummer und Mitsongschreiber der Sportfreunde Stiller bereitet sich zwar auch gerade auf das Comeback der Band vor, er gilt aber schon als etabliert in der Welt der Unterhaltungsliteratur. Sein dritter Roman «Die wundersame Ästhetik der Schonhaltung beim Ertrinken» ist eine sehr fantasievolle Geschichte, die mit einem obskuren Szenario seinen Anfang nimmt, und daraus eine Story entspinnt, die kein blosser Klamauk ist. Es gibt zwar sehr humorvolle Stellen, aber im Grunde hat man es mit einer Mischung aus Tragikomödie, Schelmenroman, Road Movie und Liebesgeschichte zu tun.

Für Florian Weber kam das Schreiben über das Touren mit der Band in sein Leben. «2005 waren wir mit den Sportfreunden im Tourbus unterwegs und da waren die Strecken noch ein wenig länger. Man ist weite Strecken gefahren und musste sich die Zeit vertreiben. Ich bin jetzt keiner, der am Computer daddelt und habe dann irgendwann angefangen, eine Kurzgeschichte aufzuschreiben. Die habe ich meiner Schwester geschickt und die meinte, die sei witzig, ich sollte mehr schreiben. So entstand im Tourbus der erste Roman ‚You Never Walk Alone‘. Dabei merkte ich, dass mir das ungemein Spass macht, mir Dinge auszudenken, die im besten Falle unterhalten.»

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