Was hat «Forever Young» mit dem Kalten Krieg zu tun?
Ein Song, der einfach nie alt wird. Doch seine Interpretation ist finsterer, als manche 80s Hit-Party vermuten lässt.
Am 23. September 1984 strahlte der britische Sender BBC Two zum ersten Mal den Fernsehfilm «Threads» aus – und traumatisierte damit eine ganze Generation vor dem TV. In «Threads» wird auf sehr realistische Weise ein atomarer Angriff auf Nordengland sowie die Folgen des nuklearen Winters gezeigt: Millionen Tote, gesellschaftlicher Kollaps, entstellte Babys. Ein unaufgeregter Horrorfilm, inszeniert so trocken wie ein drei Jahre altes Biscuit.
Zwanzig Tage vor der Fernsehpremiere von «Threads» veröffentlichte das deutsche Synthie-Pop-Trio Alphaville seine dritte Single, «Forever Young». Ein Song, der weltweit die Charts eroberte, die Band wahrhaftig unsterblich machte und bis heute auf jeder 80s Party den romantischen Teil des Abends einleitet. Dabei hat «Forever Young» sehr viel mehr mit «Threads» gemeinsam, als Knutschen auf dem Dancefloor.
«Forever Young» handelt nicht davon, für immer jung zu bleiben. Sondern zu sterben, bevor man alt wird. 1984 hatte sich der Kalte Krieg erneut aufgeheizt. Die Sowjetunion bunkerte so viele Atomraketen wie noch nie zuvor in ihrer Geschichte. Das Szenario von einer Eskalation war wieder allgegenwärtig – und wurde auch künstlerisch verarbeitet. Beispielsweise von Marian Gold, Bernhard Lloyd und Frank Mertens.
Die drei Münsteraner hatten drei Jahre zuvor eine Band namens Forever Young gegründet und wenig später einen gleichnamigen Song komponiert. Mit billigen Synthesizern und noch billigeren Produktionstricks – Marian sang den Text im Treppenhaus ein, weil es dort den gewünschten Hall gab – nahmen die drei Männer ein Demo auf.
Karel Gott, Jay Z und das Gipfeltreffen des Deutschpunks
Umbenannt in Alphaville und mit einem Plattenvertrag ausgestattet, landete die Band mit «Big in Japan» einen ersten Erfolg. Der androgyne Look und geschmeidige Sound erinnerten an englische Acts wie Duran Duran, ABC oder The Human League und lieferten damit beste Voraussetzungen für globalen Erfolg. Nach dem zweiten Hit «Sounds Like a Melody» war es Zeit für «Forever Young». Zuvor musste die Band jedoch die ursprünglich noch martialischeren Lyrics abschwächen.
Dennoch ist «Forever Young» ein Aufruf zum Hedonismus zu Zeiten der Vernichtungsparanoia geblieben, ein Tanzen unter dem Atompilz statt unter der Discokugel. Wie der Kalte Krieg (zum Glück) kühlte auch die Weltkarriere von Alphaville (leider) in den kommenden Jahren ab. «Forever Young» jedoch wurde hundertfach gecovert: Von Jay Z und Karel Gott, von Celtic Woman und Blutengel, von Anastacia und Axel Rudi Pell.
Im Jahr 1986 nutzten Die Goldenen Zitronen eine Parodie des Songs für eine Art «We Are the World» der deutschen Punkszene. Auf «Für immer Punk» singen neben den Zitronen unter anderem auch Die Ärzte, Slime, Die Toten Hosen und Abwärts. Die letzte Strophe bleibt jedoch jenem Mann überlassen, der alles erst losgetreten hat: Marian Gold.
Alphaville spielen am 3. November im Kongresshaus, Zürich. Weitere Infos und Tickets gibt es hier.