Veröffentlicht am 01. Januar 2023

Vinyl Destination – Die Plattenverkäufe sind zurück an der Spitze

Erstmals seit 1987 wurden in England wieder mehr Vinyl-Platten als CDs gekauft. 5.5 Millionen Stück gingen 2022 über die Theke, womit die jährlichen Schallplatten-Verkäufe auf der Insel bereits zum 15. Mal in Folge gestiegen sind. Eine Bestandsaufnahme.

Journalist

Wenn irgendwann jemand die 10 Musik-Gebote verfasst, sollte eins davon «Unterschätze niemals die Swifties.» lauten. Taylor Swifts absurd loyale Fans sind eine Urgewalt, was derzeit auch ein gewisses Ticketing-Unternehmen schmerzhaft lernen muss. Für die Plattenindustrie wiederum ist diese Urgewalt ein Segen, weil sie mit einer ungeheuren Kaufkraft wütet: «Midnights» , das 10. Album von Taylor Swift, konnte über 80'000 Einheiten absetzen, was ihr die Pole-Position bei den Plattenverkäufen verschaffte. Gleichzeitig sorgte der Boost dafür, dass Vinyl – zum ersten Mal seit 35 Jahren – wieder das meistverkaufte physische Musikformat Englands ist.

Die meistverkauften Platten in England 2022

  1. Midnights – Taylor Swift
  2. Harry’s House – Harry Styles
  3. The Car – Arctic Monkeys
  4. C’mon You Know – Liam Gallagher
  5. Wet Leg – Wet Leg
  6. Will of the People – Muse
  7. Rumours – Fleetwood Mac
  8. Skinny Fia – Fontaines DC
  9. Being Funny in A Foreign Language – 1975
  10. AM – Arctic Monkeys

Ist das noch ein Revival?

Wie lange kann man von einem Revival sprechen? Übersetzt man den Begriff ins Französische und betrachtet es aus einer kulturhistorischen Sicht, dann kann so eine Renaissance durchaus ein paar hundert Jahre dauern. Die Popkultur-Polizei hat sich indessen noch nicht mit dieser Frage befasst. Warum auch, Trends sind hier für gewöhnlich schnelllebig. Während die Fashionwelt fast schon im News Ticker-Format proklamiert, was gerade geht und was nicht (können wir uns bitte bald wieder von diesen unsäglichen Bucket-Hats verabschieden?), hat die Musik-Szene zwar ein bisschen länger Zeit, muss sich aber nicht weniger den aktuellen Trends beugen.

Das waren jetzt ein ganzer Haufen Worte für eine eigentlich einfache Feststellung: Vinyl ist (zurück-)gekommen, um zu bleiben. Wir können uns also die alljährlichen Artikel zum Platten-Boom sparen und uns von der Idee verabschieden, dass es sich dabei um ein einen vorrübergehenden Trend handelt. Ob die Vorteile von Vinyl (warmer Sound, grössere Artworks, haptisches Erlebnis…) die Nachteile (Verfügbarkeit, Anschaffungskosten, Lagerung...) überwiegen ist natürlich komplett subjektiv. Die Einzigartigkeit und die damit verbundene Legitimation des Formats lassen sich aber nicht bestreiten.

Auch in der Schweiz?

Hierzulande hinken die Plattenverkäufe denen der CDs noch immer hinterher. Fürs aktuelle Jahr fehlen die Zahlen, weshalb wir auf diejenigen von 2021 zurückgreifen. IFPI, der Schweizer Branchenverband der Musiklabels, bestätigt in einem Medienbericht vom 22. Februar 2022 einen Vinyl-Umsatz von CHF 4.8 Mio. Bei einem durchschnittlichen Verkaufspreis von 35sFr. pro Platte wären wir bei rund 137'000 Stück, mit einem Wachstum von 18% zum Vorjahr. Dem gegenüber stehen die ca. 1'245'000 verkauften CDs (Umsatz von CHF 24'9 Mio mit einem durchschnittlichen Verkaufspreis von 20sFr. pro CD) bei einem Rückgang von 10% zum Vorjahr. Geht die Entwicklung mit denselben Werten weiter, überholt Vinyl die CD auch in der Schweiz bis im Jahr 2030.

Quelle: IFPI Schweiz, Jahresbericht 2021
Quelle: IFPI Schweiz, Jahresbericht 2021

In der Warteschlaufe

Dies hängt allerdings auch mit der Verfügbarkeit zusammen. Als Vinylplatten in den 80er-Jahren ins (vermeidliche) Grab getragen wurde, schlossen die meisten der Presswerke. Der Wiederaufbau dieser Infrastruktur braucht Zeit und bis dahin produzierte nahezu die gesamte Industrie in denselben Werkstätten. Dicke Labels bekommen dort den Vorrang, weil es finanziell attraktiver ist, 50'000 anstatt 500 Einheiten zu fertigen. Die Fans von Evelinn Trouble mussten darum fast vier Monate auf die Vinyl-Version ihres aktuellen Albums warten, wie die Songwriterin dem Beobachter verrät. Einige dürften dabei die Geduld verloren haben.

Ist zurecht hässig: Evelinn Trouble  - Benjamin Rauber
Ist zurecht hässig: Evelinn Trouble - Benjamin Rauber

Zukünftig wird das aber zumindest ein bisschen schneller gehen: Im Sommer 2022 nahm die Adon Production AG das erste Schweizer Platten-Presswerk seit 2003 in Betrieb. Dieses kann während einer Arbeitsschicht 900 Platten produzieren und sorgt dafür, dass lokale und ausländische Künstler fortan schneller zu ihrer Ware kommen.

Die Chancen stehen also gut, dass Vinyl die CD noch vor 2030 vom Thron stösst. Der König ist tot, es lebe der König.

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