The Gaslight Anthem: Ein (zu?) nahtloses Comeback
The Gaslight Anthem melden sich mit «History Books» zurück. Darauf haben die Fans fast zehn Jahre gewartet. Nicht zuletzt Bruce Springsteen. Denn als die Rockband 2014 nach «Get Hurt» die Verstärker ausschaltete, war das Unverständnis gross. So nah waren sie dran, der nächste ganz grosse Indie-Headliner zu werden. Gelingt’s mit dem neuen Werk?
Wie läuft das wohl formal ab, wenn Bruce Springsteen eine Band zur Re-Union auffordert? Ruft er an einem späten Dienstagvormittag auf dem Weg zum Zahnarzt einfach mal an? «Brian, hier ist der Boss. Hör mal, es ist an der Zeit, dass du die Jungs zusammentrommelst und ein Album aufnimmst.» Oder schickt er eine Whatsapp? Ist er gar einer von denen, die tatsächlich Sprachnachrichten verschicken? Kopfkino. Fakt ist, dass die Band um Brian Fallon Springsteens Einladung gefolgt ist und nach neun Jahren endlich ihr sechstes Studioalbum aufgenommen hat.
Bromace à là Bruce & Brian
«History Books» heisst das Werk und der Boss hat es sich nicht nehmen lassen, den Titeltrack mit einzusingen. Nice. Aber leider bleibt der Song weit hinter den Erwartungen an die Besetzung zurück. Bruce und Brian. Da muss was kommen. Das muss berühren, mindestens Hühnerhaut - eigentlich Tränen. Aber das bleibt aus. Eine 100%ige Chance liegen lassen, würde man im Fussball sagen.
Den Rest der Platte spielen die Indie-Rocker aus New Jersey dann ohne den Boss. Und klingen, als wären sie nie weg gewesen. Eigenständig, unberechenbar, irgendwo an der Bruchstelle zwischen Grunge, Punk und Folk. Und nach wie vor schaffen sie Frakturen in ihrem Album, dass es so unkuratiert wirkt wie die ersten «intelligenten» Algorhytmen auf MP3-Playern Ende der 1990er Jahre. Auf die wunderbar rifflastige Rocknummer «Little Fires» - sicherlich das Highlight des Albums - folgt ein kompletter Abriss in das leicht säuselnde und romantisch etwas verpeilte «The Weatherman».
Musikalisch schwer nachzuvollziehen. Aber bei «The Gaslight Anthem» geht es nicht nur um die Musik, sondern auch um die Texte. Und da bringt es «Positive Charge» auf den Punkt: «I need a spark. I need a positive charge. Plug it into my veins and make me love this life again». Brians Mission, das Leben positiv zu gestalten, zieht sich textlich mal melancholisch, mal rauchig-laut durch das neue Werk. Alles solide, alles schön. Aber es fehlt die textliche Wucht der Vorgänger-Alben, die Wut der Jugend. Gegenschnitt: «Boys will be boys and girls have those eyes that will cut you to ribbons sometimes». Auch diese Zeilen hat Brian einst getextet.
Und so geht mir am Ende von „History Books“ eine ganz andere Songzeile durch den Kopf. Eine vom Boss - um den Kreis zu schliessen - nicht von dem aus New Jersey, sondern von dem aus Spiegel bei Bern: „Mir hocke ufm Sofa, jedes uf sym Platz. Zwöiti Haubzyt Schachtor gägä Gent.“
Brian Fallon würde die Linie von Kuno Lauener verstehen und hoffentlich sogar etwas beneiden.
(Bildcredits, Titelbild: facebook.com/thegaslightanthem)
