Veröffentlicht am 01. September 2022

Nick Mellow im Interview: «Einsamkeit ist manchmal wichtig für mich.»

Der Aarauer Musiker Nico Breuninger alias Nick Mellow hat kürzlich seine neue EP «Backseat» veröffentlicht. Zu modern produziertem Songwriter-Pop verhandelt Nick in seinen Texten Themen wie Einsamkeit und die Ängste und Nachwirkungen der Pandemie-Jahre.

Journalist
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Nick Mellow hat schon 2018 mit seinem Debütalbum «Wait And See» die Top 20 der Schweizer Album-Charts geknackt. Was nicht wirklich wundert. Smoothe, schöne Stimme, eingängiger Gitarrenpop, der auch Hymne kann, eine natürliche Ausstrahlung und viel Freude am Konzerte spielen – das war schon seit jeher eine gute Mischung für einen Karrierestart. Einen weiteren Push gab es als das Schweizer Produzenten-Duo Aérotique & Glaceo seine Single «Complicated» remixte. Mit der neuen 5-Track-EP «Backseat» dreht Nick seinen Sound nun noch ein wenig mehr in Richtung Pop. Obwohl es in den Lyrics bisweilen eher grüblerisch zugeht, klingen Produktion und Songwriting beschwingt und extrem modern. Man denkt da schnell an Künstler wie Ed Sheeran und LAUV (den wir ja erst kürzlich für starzone interviewten) – nicht die schlechtesten Referenzen. Wir sprachen mit Nick am Release-Tag, den er leider in seiner Wohnung in Aarau feiern musste. Was eigentlich als gemütlicher Apéro-Talk in Zürich geplant war, wurde also zu einem Zoom-Meeting, blieb aber trotzdem ein sehr interessantes Gespräch.

Hoi, Nick! Lass uns gleich beim Titel einsteigen. «Backseat» heisst deine EP und greift eine Metapher auf, die gerade sehr gut zur Situation passt. Erklär doch mal, wo das herkommt.

Ich habe mir sehr lange Gedanken um den Titel gemacht. Mir war es wichtig, dass es nicht einfach der Name eines Liedes ist. Ich wollte etwas, das ein wenig tiefer geht. Etwas, dass die Gesamtheit dieser Songs repräsentiert, wo alle Fäden der EP zusammenlaufen. So kam ich zur der Zeile in «Waste My Time», wo es heisst: «And I feel like in a runaway car sometimes, sitting on the backseat of my life and the world is passing by». Diese Metapher und auch das beschriebene Gefühl stehen sinnbildlich für die Lebensphase, in der die Musik entstand. Ich hatte in den letzten Jahren, nicht nur wegen der Pandemie, oft das Gefühl, ich säße auf dem Rücksitz meines Lebens, während vorne jemand aufs Gas oder auf die Bremse tritt und ich nix dagegen machen kann. In der Pandemie war es eher die Bremse, und gerade rollt alles wieder los und es kommt einem fast zu schnell vor. Jetzt ausgerechnet in der Release-Woche zuhause bleiben zu müssen, weil ich mir eine leichte Corona-Infektion eingefangen habe, ist da natürlich auch ein wenig bittere Ironie. Das ist heute mein persönlicher «Backseat». Ich habe es aber auch in meinem Umfeld beobachtet, dass sich viele aufgrund der aktuellen Weltlage hilflos fühlen. Man denkt manchmal einfach: «Was läuft hier gerade? Kann das mal aufhören?»

Die EP beginnt mit der Zeile «hello again, loneliness» im Opener «Who I Am» – was ja schon gleich eine sehr schwermütige Stimmung setzt und dann durch die eher fröhliche Musik gebrochen wird. Was hast du dir dabei gedacht?

Ja, das catcht einen als Einstiegsline echt ganz gut. Als ich die Tracklist sortiert habe, dachte ich mir: So muss die EP anfangen! Ich glaube, mit dem «Hello again» fühlt man sich als Hörer:in gleich ein wenig abgeholt. Und die Sache mit der Einsamkeit: Das ist so eine Beobachtung aus meinem Leben, die ich auch bei anderen erkannt habe. Dieses Hadern mit sich selbst, wenn man alleine ist, das kennen ja viele Menschen. Ich fühle mich dann oft einsam, obwohl man heutzutage eigentlich ständig von Leuten umgeben ist oder auf irgend eine Weise kommuniziert. Man geht auf Events, man wird auf Social Media von virtuellen Freunden umschwirrt, und trotzdem haben sich sehr viele Menschen noch nie so einsam gefühlt wie jetzt gerade. Ich möchte mit dem Song mich und andere ermutigen, dass man immer wieder mit seinen Freund:innen über diese Gefühle sprechen und sie reflektieren sollte. Dass man auch mal sagt: «Mir geht es heute nicht so gut.» Dass man die Maske ablegt und dazu steht, wie man sich fühlt. Das ist ein sehr befreiendes Gefühl, wenn man diesen Schritt geht, und das sollten wir alle tun.

Entstehen deine Lieder in diesen einsamen Phasen? So könnte man die Zeile ja auch lesen ...

Das ist sehr unterschiedlich. Was ich aber schon sagen kann: Die Skizzen und die Grundideen entstehen meistens, wenn ich allein bin. Wenn ich es schaffe, die Einsamkeit bewusst zuzulassen, hilft mir das. Ich mache gerne allein Dinge, ich gehe oft am See spazieren oder am Fluss und bin überhaupt sehr gern am Wasser. Wenn man allein ist und ins Grübeln gerät, wird man ja oft mit Dingen konfrontiert, die nicht so angenehm sind. Aber dieser Prozess, der dann zu ersten Zeilen oder Songideen führt, hilft mir auch, die Gedanken zu sortieren und das Wesentliche zu erkennen. Dass in Musik umzumünzen, ist für mich immer das Ziel. Das Thema von «Who I Am» hat mich schon länger umgetrieben. Der Song ist dann im Studio entstanden, mit einem Freund, mit dem ich auch über diese Dingen reden kann. Wir haben diesen Song zusammengeschrieben, weil er so ein Mensch ist, bei dem ich weiss, dass er mir in solchen Dingen sehr ähnlich ist, deshalb können wir sehr ehrlich miteinander sein.

Neben dem Künstler-Sein hast du ja noch einen anderen Job: Du arbeitest als Sozialpädagoge mit 14- bis 18jährigen zusammen. Auch wenn dein Songwriter-Pop-Sound irgendwie in vielen Altersklassen funktioniert, sind sie ja schon irgendwie Zielgruppe. Spielen die Erfahrungen, die du in dem Job machst, in dein Songwriting rein?

Ich glaube schon, dass es eine Rolle spielt. Nicht in dem Sinne, dass ich konkrete Erlebnisse oder Personen in meinen Songs erwähne oder Songs schreiben will, die ihnen gefallen. Aber meine Sicht auf diese Generationen, Beobachtungen, die ich mache, weil sie zu dem Job als Sozialpädagoge gehören – das fliesst sicher auf gewisse Weise in meine Musik. Die Gefühle, über die wir vorhin sprachen, die fallen mir bei ihnen oft auf. Diese Melancholie, dieses Gefühl, handlungsunfähig zu sein, die Einsamkeit, obwohl man viele digitale Freund:innen hat. Mir ist es schon wichtig, dass ich diese Generation mit meiner Musik auch ansprechen kann. Bei «Waste My Time» und «Who I Am» fühlt sich die Generation Z vielleicht verstanden. Andererseits merke ich oft in Gesprächen mit den Kids, dass ich durch meinen Job ja eigentlich auch ein wenig Vorbild sein muss – und es mir trotzdem oft schwerfällt, über solche Gefühle zu reden und sie mir einzugestehen. Das geht glaube ich vielen Erwachsenen, vor allem Eltern, so. Ich habe natürlich mehr Lebenserfahrung und eine Ausbildung, um zu wissen, was es für Mechanismen gibt, diese Dinge zu verarbeiten, aber die Probleme selbst unterscheiden sich oft nicht sonderlich von denen der Jugendlichen.

Du stehst einerseits mit deiner Musik in der klassischen Tradition eines Gitarren-Singer-Songwriters, hast aber gerade auf dieser EP im Studio viele sehr poppige Sounds reingebracht. Kannst du mal rekapitulieren, wie dein aktueller Sound entstanden ist?

Angefangen hat es bei mir in meiner Lehre, die wahnsinnig prägend für mich war. Ich habe eine Ausbildung in einem Gitarrengeschäft gemacht. Da habe ich noch nicht wirklich aktiv Songs geschrieben, aber ich habe sehr viel Zeit mit dem Gitarrenspielen verbracht und mir das grösstenteils selbst mit Tutorials und YouTube beigebracht – oder ich habe John Mayer-Songs studiert. Deshalb ist die Gitarre immer ein fester Bestandteil meiner Musik. Aber ich habe gemerkt, dass es produktionstechnisch viel spannender ist, wenn man diesen analogen Klang weiterdenkt, und damit den Sound moderner gestaltet. Ich habe über die Jahre diverse Künstler entdeckt, die das sehr gut hinbekommen, LAUV zum Beispiel oder Jeremy Zucker. Ich möchte mich einfach immer ein Stück weiter entwickeln – und nur mit Gitarre und Gesang und einer organischen Produktion, das wären mir zu wenige Möglichkeiten.

Noch eine letzte Frage: Die Metapher mit dem «Backseat» passt ja leider gerade auch ganz gut zur Live-Branche. So kurz vor dem Herbst weiß man nicht so recht, wie gut es für Künstler:innen funktionieren wird, zu touren und genügend Tickets zu verkaufen. In Deutschland gab es einige Bands, die Konzerte absagen mussten, weil zu wenige Leute Tickets kaufen, gleichzeitig ist die Branche sehr angespannt, weil die Energie- und Personalkosten massiv gestiegen sind und viele Stagehands oder Tontechniker:innen in andere Branchen gewechselt sind. Wie blickst du auf die nahe Zukunft? Bist du vielleicht sogar froh, auch noch den Job als Sozialpädagoge zu haben?

Letzteres sowieso, und zwar nicht nur aus finanziellen Gründen. Natürlich gibt mir das ein wenig mehr Sicherheit, aber es gibt mir auch einen anderen Fokus, der mir sehr guttut. Wenn ich diese Arbeit nicht hätte, würde ich vermutlich noch mehr Zeit damit verbringen, mich zu hinterfragen und mir Sorgen über die angespannte Situation für Musiker:innen zu machen. Natürlich ist es gerade schwer, vor allem im Booking-Bereich, einen Newcomer wie mich aufzubauen, wenn schon die etablierten Acts kämpfen müssen. Das löst viel Unsicherheit aus – aber ich sehe natürlich, dass das allen so geht, egal auf welchem Level sie sind. Und ich kann ja nicht mehr machen, als immer das Beste zu geben. Ich bin extrem stolz und zufrieden mit der EP – und: That’s it! Mehr kann ich gerade nicht bringen. Und ich hoffe, das merken die richtigen Menschen.

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