Veröffentlicht am 13. Juli 2022

«Wenn ich keine Musik machen würde, würde ich wohl depressiv werden.»

Mit Ilira steht der Schweiz etwas ganz Grosses bevor. Die im Bernischen Brienz aufgewachsene Künstlerin ist vor Kurzem nach London gezogen, um von dort aus die Popwelt im Sturm zu nehmen. Wir haben mit der Schweizerin gesprochen.

Journalist
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Ilira spricht mit uns aus ihrem WG-Zimmer. Die 28-jährige Schweizerin mit kosovo-albanischen Wurzeln fragt mit ihrer sanften Stimme, von wo aus wir sie anrufen. Wir teilen ihr unseren Standort mit: «Lausanne». Daraufhin erzählt sie uns stolz, dass sie in der Nähe von Bern aufgewachsen ist und jetzt in London lebt. Sie lacht süss und entschuldigt sich dafür, dass sie kein Französisch spricht, obwohl sie die Westschweiz liebt – und diese auch oft besucht. «Ich habe in der Schule Französisch gelernt, aber weil ich es nie sprach, habe ich es verlernt», sagt uns Ilira.

Du hast vor ein paar Wochen die Single «Another Heart» veröffentlicht. Davor war es ein Weilchen ruhig um dich. Bist du happy?

Grossartig! Es ist lange her seit meinem letzten Release. Dafür gebe ich jetzt doppelt Gas und treibe viel Promo. Bin sehr gespannt, wohin mich dies alles führen wird!

Im Clip zu «Another Heart» ist eine schöne Wohnung zu sehen. Ist das deine?

Ja, das ist meine neue Wohnung und ich liebe sie!

Deine Karriere kam ja vor allem richtig in Fahrt, als der Rapper Prinz Pi dich auf Instagram entdeckt und schliesslich gefördert hat. Kannst du uns diese Geschichte erzählen?

Klar. Prinz Pi wurde auf mich aufmerksam, nachdem ich ein Demo gepostet habe. Ich hatte damals erst gerade erst mit Instagram angefangen und wusste noch nicht wirklich, wie die Social-App funktioniert – und ich weiss nicht wie, aber er sprang darauf an. Er bot mir an, mit ihm zu arbeiten. Ich flog darauf hin direkt nach Berlin und fing an, Musik zu schreiben. Das war meine erste richtige Erfahrung in der Musikindustrie.

Von Brienz nach Berlin – das muss bestimmt ein Kulturschock gewesen sein?!

Das war natürlich ein grosser Sprung. Berlin ist eine Stadt, die vor Kreativität nur so strotzt. Zu Beginn war ich immens überwältigt. Schliesslich lebte ich 20 Jahre lang in einer Kleinstadt im Berner Oberland. Ich musste mich an Berlin erstmal gewöhnen. So aufregend wie in dieser Metropole alles ist, so fest Angst hatte ich auch. Aber Berlin lernte mich auch, geselliger zu werden. Ich hatte gar keine andere Wahl.

Gibt es einen Berner Ausdruck, den du immer noch verwendest?

Klar, «hueregeil» (lacht). Ich weiss nicht, ob Jüngere diesen Ausdruck noch benutzen, aber ich finde ihn lustig. Hey, ich bin ein Kind der 90er Jahre!

Du lebst seit einer Weile in London. Gibt es etwas, das du in der Schweiz vermisst?

Natürlich. Es gibt viele Dinge! Das Essen, die Natur oder etwa die Seen. Wenn ich in der Schweiz bin, gehe ich gerne in der Natur spazieren und geniesse die Stille. Ich komme sehr oft in die Schweiz zurück. England ist derart gross, dass ich manchmal wünschte, Bern in London unterzubringen.

Apropos London: Du bist mit Sigala im Wembley vor fast 80´000 Menschen aufgetreten. Wie war das?

Die Woche davor war ich super gestresst. Aber als ich am Tag X auf die Bühne ging, hat es mir so gut gefallen – die Energie des Publikums war unglaublich. Ich habe mich äusserst willkommen gefühlt. Die Menschen in Grossbritannien sind sehr offen für Newcomer.

Kann man sagen, dass dieses Land dein Glücksbringer ist?

Nach all den Jahren, die ich in Berlin verbracht habe, hat mir England die Möglichkeit gegeben, mich als Songwriterin zu öffnen. Als ich hierher kam, um mich inspirieren zu lassen, konnte ich mit verschiedenen Stilarten und Kulturen experimentieren – und das ist grossartig.

Apropos Kultur: Dua Lipa, Rita Ora oder Loredana – die drei Künstlerinnen erzielten in kurzer Zeit ziemlich grosse Erfolg. Was ist das Geheimnis junger albanischer Künstlerinnen?

Ich denke, dass wir starke Frauen sind, die keine Angst davor haben, auszudrücken, wer wir sind. Wir Albanerinnen haben keine Angst, weil wir mit unserer Geschichte gewissermassen aus der Hölle kommen. Unsere Vorfahren hatten kaum eine Identität. Für uns ist diese Stärke notwendig.

Durchsetzungsvermögen ist das eine. Du gibst dich aber auch sehr freizügig.

Ja. Ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich mich gerne sexy fühle. Manchmal blondiere ich meine Haare und ich schminke mich gerne. Das liegt vor allem daran, dass ich mich nicht verstecken und mich so zeigen möchte, wie ich bin und mich fühle. Ich möchte gesehen und erstanden werden. Welchen Sinn hat die Popkultur denn, wenn nicht den, Botschaften durch unsere Texte zu verbreiten? Es ist auch eine Form der Therapie. Wenn ich keine Musik machen würde, würde ich wohl depressiv werden.

Das ist ein schöner Kontrast, wenn du mit anderen Musikern zusammenarbeiten, z. B. mit Tiësto, Galantis und Lucas & Steve oder mit Cheat Codes, ist dein Sound mehr Club, mehr Pop, während es in deinen eigenen Songs romantischer und tiefgründiger zugeht.

Wenn ich nur an das Geschäft denken würde, wäre es wohl besser bei einem Stil zu bleiben. Ich bin aber an einem Punkt in meinem Leben, an dem ich nicht bloss eine Seite von mir zeigen will, was den Stil angeht. Manchmal bin ich einsam, manchmal bin ich im Partymodus, manchmal bin ich deprimiert, manchmal möchte ich unter Menschen sein – und das ist etwas, was mein Label verstanden hat. Ich habe freie Hand, so zu sein, wie ich will. Es gibt keine Regeln: Ich mag Clubmusik, ich mag Alternative Rock, ich mag Pop, Jazz, Klassik! Ich bin noch auf der Suche nach mir selbst und ich will mich dabei nicht einschränken.

Ilira ist die Königin der Featurings mit den grössten DJs der Welt, hier mit dem niederländischen Komponisten und Produzenten Tiësto.

In den akustischen Stücken, die du geschrieben hast, ist meiner Meinung nach immer ein Hauch von Lana Del Rey zu spüren ...

Du bist nicht die Einzige, die mir das gesagt hat(lacht)! Das ist eher mein Solo-Ding. Ausserdem mag ich Lana als Künstlerin sehr, aber ehrlich gesagt ist das eher Zufall, denn ich kopiere sie nicht. Ihre Welt ist dennoch inspirierend, schliesslich ist sie eine Ikone!

Wo wir gerade bei Ikonen sind: Du hast mal erzählt, dass du großer Britney Spears Fan warst.

Ja, das war ich. Sie ist ein Engel, der durch die Hölle gegangen ist. Als ich klein war, träumte ich davon, ihr Leben zu haben. Doch als ich sah, was sie alles durchgemacht hat, all diese Traurigkeit, da wurde mir klar, dass ich mich vom schönen Schein hab blenden lassen. Man weiss nie, was die Leute durchmachen, und vor allem muss man sich als Frau gegenseitig unterstützen. Ich habe auch Zeiten erlebt, in denen andere Frauen mich nicht unterstützt haben, und das hat mich sehr traurig gemacht. Zum Glück gibt es heute immer mehr feministische Bewegungen und ich fühle mich privilegiert, in einer Zeit wie dieser zu leben.

Mit welcher Künstlerin würdest du am liebsten ein Duett machen?

Ich würde sagen: Miley Cyrus. Für mich ist sie DER Rockstar schlechthin. Sie ist unglaublich talentiert. Ich habe sie auf einem von Dua Lipa organisierten Festival im Kosovo gesehen und war eingeladen worden, dort zu singen. Als ich Miley auf der Bühne gesehen habe, dachte ich, ich könnte mich sofort in sie verlieben(lacht).

Und was Rockmusik angeht, hörte ich, dass du Nirvana liebst ...

Ja! Als ich jünger war, war ich wie besessen von der dunklen Seite von Kurt Cobain. Seine Verletzlichkeit, seine Offenheit in Bezug auf seine Gefühle, das war etwas, das mich sehr inspiriert hat. Er verbarg nichts und seine Musik war so kraftvoll. "Heart-Shaped Box" ist ein ultimativer Song für mich, ich weiss nicht, wie oft ich ihn gecovert habe. Und auch wenn es komisch ist, weil es darin im Grunde um eine Nabelschnur geht, finde ich, dass dieses Lied stark ist!

Und schließlich die Frage, auf deren Antwort alle warten: Wann wird Ihr erstes Soloalbum erscheinen und können Sie uns etwas darüber erzählen?

Ich habe so viele Songs, die bereit sind, gehört zu werden! Ich kann es kaum erwarten, zu zeigen, wer ich bin, mit all meinen Facetten. Früher hatte ich Angst vor meiner verletzlichen Seite, also habe ich mich vielleicht hinter diesen Popsongs versteckt. Aber jetzt bin ich bereit.

Sie kommen für zwei Termine in die Schweiz (Gurten am 13. Juli und Montreux am 15. Juli), freuen Sie sich darauf?

Ja, auf jeden Fall. Aber am meisten freue ich mich auf Johnny Depp, der am selben Tag wie ich beim Montreux Jazz spielt(lacht)!

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