Veröffentlicht am 26. Juni 2023

Hitzone Heitere Open Air: «Grauer Beton» von Trettmann

In dieser Rubrik werfen wir einen Blick auf die Geschichten hinter den grossen Hits. Obwohl «Grauer Beton» nicht der Charts-Hit vom 2017er-Album «#DIY» war, hat er popkulturell und politisch wohl am meisten Eindruck hinterlassen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird Trettmann den Song auch bei seinem Gig auf dem Heitere Open Air spielen.

Journalist
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Es ist ein wenig schade, dass Trettmann auf seinem aktuellen Album fast nur über das Leiden und Strugglen eines mittelalten Rappers und Vaters singt. Am besten ist er nämlich immer, wenn er sozusagen im Vorbeilaufen oder Nach-Hause-Torkeln politisch wird. Man könnte hier seinen Song «Stolpersteine» aus dem Jahr 2019 sicher ebenso gut highlighten, weil Trettmann darin auf sehr überraschende und ergreifende Weise an die Opfer der Nazis erinnert. «Grauer Beton» war jedoch sein erstes, starkes Statement als neugeborener Trettmann.

Der neue Trettmann

Warum neugeboren? Als Trettmann 2017 sein Album «#DIY» rausbrachte, erkannten seine frühen Fans ihn kaum wieder. Stefan Richter, so sein bürgerlicher Name, war zuvor eher Reggae-Fans ein Begriff, weil er unter dem Namen Trettmann eine Art modernen Reggae auf Sächsisch spielte – dem Zungenschlag seiner ostdeutschen Heimatstadt Chemnitz, ehemals Karl-Marx-Stadt. Trettmann war Mitte vierzig, hatte sein Team neu aufgestellt und vor allem ein folgenreiches Bündnis geschlossen: Er arbeitete fortan (und bis zum aktuellen Album «Insomnia») mit dem Produktions- und Design-Team Kitschkrieg zusammen. Ihr Stil: minimalistische, ultra-tighte Produktion, Trettmanns Vocals nur mit Autotune-Effekt, konsequente Schwarz-Weiss-Ästhetik und ein verdammt zeitgemässes Art Design. Der Name seines Comeback-Albums, wenn man es denn so nennen will, war dennoch Programm: Trettmann veröffentlichte das Album «#DIY» über das Indie-Label SoulForce Records, das Booking und Management besorgten seine alten Homies. Do it yourself eben.

«Seelenfänger schleichen um den Block»

«Grauer Beton» war das Stück, über das man sprach. Und das Feuilleton Texte schrieb, die das Leben der Jugendlichen in den Jahren nach der Wiedervereinigung Deutschlands beleuchteten. Eine orientierungslose Jugend für viele. Während Trettmann schon früh durch das West-Radio mit den Ideen und Werten des HipHops vertraut wurde, machten sich in seiner nun Chemnitz heissenden Heimatstadt gut organisierte rechte Strukturen breit. Trettmann beweist in diesem Stück, wie gut er komplexe Hintergründe empathisch verdichten kann. Er wedelt nicht mit dem Zeigefinger und brüllt «Nazis raus!», er singt: «Seelenfänger schleichen um den Block und / machen Geschäft mit der Hoffnung / Fast hinter jeder Tür lauert 'n Abgrund / Nur damit du weisst, wo ich herkomm'». Obwohl Trettmann jedoch Verständnis aufbringt für alle jene Kids, die falsch abgebogen sind, engagierte er sich immer gegen Rechts. Spielte und sprach auf Demonstrationen und positionierte sich in den wenigen Interviews, die er gab.

Starke Performance bei einer Demo in Chemnitz

Besonders deutlich wurde das am 3. September 2018. Trettmann spielte auf dem Demo-Konzert «Wir sind mehr», das in Chemnitz über 65.000 Menschen versammelte. Die Protest-Veranstaltung sollte ein Zeichen setzen gegen das, was in den Tagen zuvor auf Chemnitz’ Strassen los war. Nachdem am Rande eines Stadtfests ein junger Mann erstochen wurde und man einen Syrer und einen Iraker verdächtigte, kam es nach einer Demo der rechten Bürgerbewegung «Pro Chemnitz» zu fremdenfeindlichen Ausschreitungen.

Trettmann nutzte seinen Auftritt vor der Performance von «Grauer Beton» für eindringliche Worte, die noch einmal zeigen, wie wichtig ihm dieser Song ist: «Mein Name ist Trettmann», sagt er auf der Bühne, «und ich bin heute mit euch allen hier, um zu zeigen, dass das, was letzte Woche hier passiert ist, nicht unsere Stadt ist. Ja, Mann! Ich bin hier geboren, hab meine Jugend hier verbracht, hatte das Glück, nach dem Mauerfall zu reisen, mir die Welt anzuschauen. Und worum geht es in der Welt? Immer geht es ums Überleben. Jeder will immer irgendwie sein Glück finden. Vielleicht steh ich auch deshalb heute hier und nicht auf der anderen Seite. Und ich kann das sagen, denn ich komm hier vom Berg aus dem Heckert-Gebiet. Leute, merkt euch eines: Liebe ist immer grösser als Hass!»

Trettmann wird auch auf dem Heitere Open Air live spielen, das vom 11. bis zum 13. August in Zofingen stattfindet. Ausserdem im Line-up: Schmyt, SDP, Editors, Giant Rooks, Valentino Vivace, Robin Schulz, Lo & Leduc, Adel Tawil, Mimi Webb u. v. a. Alle Infos und Tickets gibt’s hier.

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