Veröffentlicht am 27. Februar 2023

Hitzone: «Das Spiel» von Annett Louisan

Sie ist blond, klein und süss und wollte damals doch nur spielen: Die inzwischen 45-jährige Hamburgerin ersang sich 2004 mit der ersten Single ihres Debütalbums «Bohème» den musikalischen Durchbruch ganz leise – quasi vom Bett aus. Und machte frühen, modernen Feminismus zum leichtfüssigen Spiel.

Journalist
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27 Jahre war sie, als sie sich mit schweren Lidern durch die Laken räkelte: Die knapp über anderthalb Meter grosse Künstlerin mit der kindlichen Stimme und dem ebenso kleinen Stupsnäschen tanzte nicht wie Britney. War selten bis nie bauchfrei wie Sarah Connor. Sie lag und sass und hauchte plätschernde Chansons. Man konnte sich auf keine Hit-Maschinerie im Hintergrund verlassen. Nur darauf, dass nie jemand vor ihr so frivol-ironische Lieder auf deutsch gesungen hatte. Die zuckersüsse Klangfarbe der lieblichen Blondine täuschte im ersten Moment darüber hinweg, was das heitere «Das Spiel» eigentlich ist: ein Tritt in die Eier.

«Dass du dich verliebst, weil du's mit mir tust,
dass es dich so trifft, hab ich nicht gewusst.
Es war nie geplant,
dass du dich jetzt fühlst wie einer von vielen.
Ich will doch nur spielen, ich tu doch nichts»

Der Mann nämlich, der wird hier vorgeführt. Klimperäugig, schmolllippig, engelslockig. «Ich hoffe eigentlich, dass ich so manches unselige Klischee aus der Welt der Frauen- und Männerbilder auflösen kann», sagte Louisan damals dem Spiegel, «dass also gern auch mal die Frau dominiert und der Mann devot sein darf. Wie im richtigen Leben eben.»

Annett Louisan - «Das Spiel»

Ein Album voller Substantive samt Artikel wie «Das Gefühl», «Die Lüge oder «Der Blender»: Das Album «Bohème» ist ein viel zitiertes und somit viel identifiziertes. Die Frau, das Mädchen und der Mensch der frühen 2000er grölte nicht, sondern sang zart, aber bestimmt die Zeilen der vermeintlichen Pop-Lolita nach. Ob Annett Louisan all diese Dinge wirklich erlebt habe und tatsächlich so ein schlimmes Fingerchen, so ein Fräulein Fatale sei, fragte man sich. «Dabei sind das für mich völlig normale Geschichten, von denen ich gedacht hatte, dass sie irgendwie jeder erlebt», sagte sie. Und hatte ja Recht. Und auch wenn nicht: Man wäre ja gerne die gewesen, die einem Mann unbeeindruckt entgegen schleudert, er solle sich nicht so anstellen, man hätte ja nur spielen wollen.

«Ich steh nur so rum, tu so dies und das.
Fahr mir durch das Haar und schon willst du was.
Lass mal lieber sein,
hab zu viel Respekt vor deinen Gefühlen»

Nein danke also. Dabei hat die Hamburgerin ja so gar nichts gegen Männer: «Wir Frauen sind ihnen gegenüber lediglich ein klitzekleines bisschen im Vorteil. Nun, ich kenne keinen Mann, der jemals multiple Orgasmen erlebte», sagte die Louisan 2004 dem Spiegel mit ironischem Augenzwinkern. Und das ganz leise. Zu einer Zeit, in der Musik vor allem laut und hektisch war. «Dragostea Din Tei» aus allen Boxen dröhnte und US-Rapper Lil Jon mit «Get Low» im Club «fine bitches» dazu aufforderte, ihn anzutwerken.

«Du willst mich für dich
Und du willst mich ganz
Doch auf dem Niveau
Macht's mir keinen Spass»

So vermutlich Annett Louisans Antwort darauf. Im Grunde ist der ganze Song eigentlich eine klug vorausgespürte Betrachtung des aktuellen Flirtverhaltens, das mehr Lust als Liebe will: «Das Spiel» erschien immerhin acht Jahre vor Tinder. Heute sagt sie über ihren ersten Song: «Ich hatte noch nicht so viel nachgedacht über das, was ich mache, war überhaupt nicht verkopft.» Und wie kam all das aufs Papier? «Weil ich nicht besonders gut reimen kann, hat mir mein Produzent und Textpartner Frank Ramond geholfen, meine Fiktionen in Verse zu bringen», so Louisan damals. Und sie wurden dann eben ganz nonchalant zu den besten, die der Deutsche Pop so kennt. «Das Spiel» immerhin hielt sich 19 Wochen in den deutschen Charts und schaffte es bis auf Platz fünf.

«Das Spiel» von heute: Annett Louisan - «L'amour»

Und jetzt? Ausgespielt?

Einer durfte damals aber doch mehr erwarten als nur eine Nacht. Der Songtexter Gazi Isikatli nämlich, mit dem Annett Päge, wie die Louisan eigentlich heisst, von Ende 2004 bis 2008 verheiratet war. Immerhin vier Monate verheimlicht sie, dass sie im wahren Leben bereits vergeben und das Spiel längst entschieden war. Seit 2014 ist sie mit ihrem Produzenten Marcus Brosch verheiratet, mit dem sie eine Tochter hat. Gerade hat sie das zehnte Studioalbum «Babyblue» veröffentlicht. Darauf beschäftigt sich die jetzt 45-Jährige mit Themen wie Liebe, Familie, Enttäuschungen, Partnerschaft, Sterben und Glaube, aber auch mit dem Älterwerden – und ist dabei noch genauso gerissen wie früher.

Neben poetischen Texten mit Wortwitz bleiben uns auch die typischen Melodie-Text-Schere erhalten: So schimpft sie mit zuckersüsser Stimme vom Betrogensein im Lied «Arsch»: «Du liebst wie ein Arsch». Der dpa verriet sie: «Ich bin schlagfertiger und lustiger geworden, und ich hab besseren Sex als früher.» Na dann! Möge der Horizont babyblau sein.

Am 27. April 2024 kommt Annett Louisan mit dem neuem Album «Babyblue» live ins Volkshaus Zürich.
Infos und Tickets gibts HIER.

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