Veröffentlicht am 20. Mai 2022

Du willst Scooter nicht. Aber du brauchst sie.

«Schölölölööö!!» Eine Horde halbnackter und betrunkener Männer grölt diese Zeilen durchs Hallenstadion. Hooligans eines Eishockeymatches? Nope. Scooter waren hier. Und holy shit, ich war auch dort.

Journalist
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Selten habe ich nach Insta-Stories so viele Hasskommentare erhalten. Hordenweise Zürcher Cool KidsTM, die in schicken Agenturen arbeiten, sind heute Morgen meinetwegen fast einem FOMO-Tod erlegen und liessen mich das wissen. Als hätte ich irgendeinen Kink ausgelebt, den sich aus Schamgründen niemand auszuleben wagt, aber eigentlich alle ein bisschen geil finden. Der Kink? Scooter.

Ich höre normalerweise keinen Techno. Aber ich bin ein Kind der 90er und nostalgisch veranlagt. Im 11er-Tram zum Hallenstadion sehe ich 90er-Styles, die nicht mal die Jenner/Kardashians rocken könnten: Augenbrauenpiercings, verbleichte Tribal-Tattoos, blauer Lidschatten, Neonshirts mit Alienprint. Auf dem Vorplatz des Hallenstadions hoffe ich auf eingefleischte Fans. Aber sogar die mit Merch-Shirt können kaum drei Scooter-Songs aufzählen. Und aus mir unerklärlichen Gründen stehen hier hordenweise Metalfans.

Die meisten Leute hier sind da für die Bucketlist. Um 21:15 Uhr gehts los. Nicht mit Trance – sondern mit Johann Sebastian Bach. Seine «Toccata d-Moll» dröhnt durchs Hallenstadion, als würde bald Ozzy Osbourne ein letztes Mal auf die Bühne kriechen. Eine Lasershow erleuchtet das Publikum; im Hintergrund eine Orgel auf der LED-Wand, darauf die Zeilen «We are back, out of darkness, God save the rave». Und mit ebendiesem Song startet das rund zweistündige Spektakel.

Und irgendwie ist alles ziemlich Goth. Schon nur der ewig alterslose HP Baxxter, der halb Mensch, halb Vampir ist – und auch mit 58 Jahren noch die immergleiche, platinblonde Gelfrisur rockt. Er sieht aus wie einer, der noch immer Ed Hardy tragen würde. Und wie der einzige Mensch der Welt, dem man das durchgehen liesse.

«Yeaaah-a, yeeeeah, I feel hardcore! Yeaaah-a, yeeeeah, always hardcore»

Beim zweiten Lied rastet die Menge komplett aus. «Yeaaah-a, yeeeeah, I feel hardcore! Yeaaah-a, yeeeeah, always hardcore». Again, ich bin kein Scooter-Fan. Aber in diesem Moment gabs für mich nichts mehr in meinem Leben als Hardcore. In einem Anfall geistiger Umnachtung brüllte ich die Zeilen durchs Hallenstadion und fühlte mich unsterblich.

Atemlos gings weiter. Nach besagtem «One (Always Hardcore)» kamen später noch «We Love Harcdore» und «J’adore Hardcore». Mich beschleicht das Gefühl, dass diese Menschen Hardcore mögen. Bei «Maria (I Like It Loud)» sang dann auch der hinterletzte Neo-Fan mit und man fühlte sich, als wäre man an einem Cupfinal. Die ohrenbetäubende Pyroshow erledigte den Rest – sogar die Baxxters Gitarre sprühte während «Fire» Funken. Rammstein wären stolz auf ihre Landsleute.

Bei Tracks wie «Nessaja» liefen wohl so einigen 90er-Trance-Afficionados ein paar Tränen übers Lippenpiercing. Alt-Raver und junge Adrenalinjunkies schmissen sich im Moshpit ihre verschwitzten Körper aneinander. Moshpit? Jep. Moshpit. Einer der krasseren, den ich jemals gesehen habe. Zwei Stunden lang ohne Pause. Vielleicht sind darum die Metalfans hier gelandet.

Ein Medley aus alten Hits krönt die Show. «Friends» und «Endless Summer» fühlen sich an wie ein Amphi-Trip; wie Lemminge hüpfen die Fans bis in die hinterste Reihe mit. Es ist völlig krank. Und völlig geil. Und dann kommts: «HAIPAAAH, HAIPAAAH», schreit Baxxter mit seinem ikonischen deutschen Akzent ins Mikrofon. Neben mir schreit einer, er könne nun in Frieden sterben. Same, mein neuer Freund, same.

«Ai don’t need ah penny, fack 2020»

Baxxters Akzent ist legendär. «Ai don’t need ah penny, fack 2020», deklariert er in seiner Pandemie-Hymne «FCK 2020». Die Pandemie ist womöglich auch der Grund, warum ich hier bin. Facebook hat mir während einer lockdownbedingten Lebenskrise an einem schicksalsträchtigen Tag einen Scooter-Livestream in den Feed gespült. Es war das Geilste, was ich während dieser kafkaesken Shitshow namens Covid-19 erlebt habe. Spätestens dann wusste ich: Einmal im Leben muss ich mir das geben. Dann, wenn man wieder mit tausenden Menschen feiern und sich maskenlos gegenseitig anbrüllen kann. Später zog Baxxter weiter ins Zürcher Hive, um auch dort den Rave zu retten. Ich schlief selig zuhause ein.

Scooter ist nicht die Band, dich ich in meinem Leben will. Aber Scooter ist die Band, die ich in meinem Leben brauche.

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