Die platte «Poesie» der «offiziellen» WM-Songs
Es war und ist nicht alles schlimm. Aber meistens zeichnen sich die «offiziellen» Songs einer Fussball-Weltmeisterschaft der FIFA durch besonderes generische, dumme, heuchlerische oder platte Lyrics aus. Hier kommt ein kleines Worst-of.
«I promise, I promise, I promise you now / Everything, everything gonna work out»
(aus «Hayya Hayya (Better Together)» von Trinidad Cardona, Davido and Aisha)
Vermutlich bekommt unsere Redaktion nach diesem Artikel Hausverbot im Zürcher FIFA-Museum, aber damit können wir ganz gut leben. Was schade ist, wenn man bedenkt, dass gerade eine Fussball-Weltmeisterschaft stattfindet. Die bekanntlich für Aufregung sorgt. Allerdings (noch) nicht auf dem Platz – sondern eher auf den verminten Spielfeldern Geopolitik, Menschenrechte, freie Liebe, Korruption. Da ist – in Katar und vor allem im geldbesoffenen Profifussball – doch recht viel im Argen. Mit diesem Wissen wird diese gut gemeinte Nummer schon fast unfreiwillig komisch. In «Hayya Hayya (Better Together)», dessen Video – kein Witz, am 1. April erschien – wiederholt der nigerianisch-amerikanische Sänger und Rapper Davido im Pre-Chorus immer wieder das oben zitierte Mantra – was fast wie eine Beschwichtigung an die Kritiker:innen klingt. Er und Trinidad Cardona singen ausserdem ständig drüber, wie hart sie Party machen wollen – was bei ihnen sicher ein wenig anders aussieht als bei den meisten Kataris. Einziger Lichtblick: die aus Katar stammende Sängerin Aisha – von ihr hätte man gerne noch mehr gehört.
«Zeit, dass sich was dreht / Wer sich jetzt nicht regt, wird ewig warten / Es gibt keine Wahl und kein zweites Mal»
(aus «Zeit, dass sich was dreht (Celebrate The Day)» von Herbert Grönemeyer)
Klaro, der Herbert ist ein ganz Grosser. Hat ein paar Zeilen für die Ewigkeit geschrieben und deutschsprachige Popmusik massgeblich geprägt. Vielleicht schmerzt dieser gequirlte Mist zur Deutschland-WM 2006 deshalb so stark. Geht ja schon bei der Musik los: Man hat hier das «Sommermärchen» beschworen, das es dann eine ganze Weile lang wurde (bis es diverse aufgedeckte Korruptionsmachenschaften zwischen FIFA und DFB es derbe beschädigten), und auf Samba gesetzt. Interessante Wahl bzw. Wunschdenken, wenn man bedenkt, dass Deutschlands erfolgreichster Musikexport wohl eher Rammstein sein dürfte. Aber dann dieser Text! Grönemeyer hat ernsthaft versucht, seine Songsprache auf Fussball zu drehen und dabei seinem Gesamtwerk ein grobes Foulspiel zugefügt. Das fängt schon beim Titel an – ein Wortspiel wie eine vergurkte Flanke. Danach geht es mit Plattitüden weiter, bis sich beim Hörenden am Ende tatsächlich nichts mehr regt.
«Oh-oh, oh-oh-oh-oh / Oh-oh, oh-oh-oh-oh / Oh-oh, oh-oh-oh-oh / Oh-oh, oh-oh-oh-oh»
(aus «Live It Up» von Nicky Jam feat. Will Smith & Era Istrefi)
Es bleibt ein grosses Geheimnis, warum die offiziellen FIFA-WM-Songs oft nicht von Künstler:innen des jeweiligen Landes gesungen werden. Auch der Track zur WM in Russland 2018 ist in Sachen Besetzung ein Mysterium. Nicky Jam stammt aus Boston und hat Roots in Puerto Rico. Will Smith ist so Ami, wie man Ami sein kann. Und Era Istrefi ist Kosovarin. Ausserdem bleibt die Frage, warum der FIFA beim Thema Russland Reggaeton als Genre naheliegend erscheint. Vielleicht, weil es da in einigen dunklen Ecke Überschneidungen mit Russlands Regierung in Sachen Homophobie gibt? Man weiss es nicht. Der Song ist nicht nur mit Blick auf die jetzige und damalige politische Lage grenzwertig – er ist auch strunzdumm. Das merkt man vor allem an dem Zitat oben. Das Wort «oh» kommt satte 144 Mal vor. Wenn man bedenkt, dass der Song nur dreieinhalb Minuten geht, bleibt nicht mehr viel Platz für anderes. Zum Glück, denn die restlichen Lyrics sind plumpe Kampfes-Plattitüden, die heute im Kontext eines Angriffskrieges recht deplatziert wirken. Und mal ehrlich: Damals hatte Putin schon die Krim annektiert. Das war schon ziemlich «Oh-oh, oh-oh-oh-oh» – und hätte einen Konsens-Star wie Will Smith vielleicht davon abhalten sollen, für diese WM zu singen. Produziert hat das Ganze übrigens Diplo.
«Oh my dear friend / Together now / We will never stop / To brave it through»
(aus «Together Now» von Jean-Michel Jarre, Tetsuya Komuro mit Olivia Lufkin)
1998 fand die WM in Frankreich statt – und die Popwelt brannte dank «Firestarter» von The Prodigy für schnelle Breakbeats. Das muss man vielleicht wissen, um zu erklären, warum der Song «Together Now» vom sonst eher feingeistigen Elektro-Künstler Jean-Michel Jarre so klingt, wie er klingt. «Together Now» ist ein Unfall von einem Lied – und taucht in zahlreichen Listen mit Namen wie «Worst FIFA Songs ever!!!!!!» auf. Jarre, der japanische Produzent und Musiker Tetsuya Komuro und die Sängerin Olivia Lufkin vertonen hier etwas, dass eher nach Schlägerei unter Drum’n’Bass DJs als nach guter Musik klingt. Zumindest bis die fürchterlichen Lyrics aus dem Erbauungs-Wortbaukasten und der vermeintlich soulige Refrain kicken. Hier passt nun wirklich gar nix zusammen und eine Qualitätskontrolle gab es augenscheinlich nicht. Anders ist es nicht zu erklären, dass drei für sich genommen durchaus kredible Acts so einen Mist verzapfen. Aber wer weiss: Vielleicht haben sie auch einfach die Kohle der FIFA genommen, einen Abend lang im Studio Drogen konsumiert, das Band mitlaufen lassen und gut is …
«Boom / Here to rock ya / Boom / Never stop, no / Boom»
(aus «Boom» von Anastacia)
2002 fand die WM in Japan und Südkorea statt – zwei Länder mit reichhaltiger und sehr erfolgreicher Popkultur. Sei es J-Rock oder K-Pop, die beide damals schon namhafte Protagonist:innen hatte. Der offizielle Song kam trotzdem von Anastacia. Die Amerikanerin und ihrer Karriere in allen Ehren – aber was hier im Hintergrund passiert ist, war sicher in erster Linie ein shady Deal zwischen Musikindustrie und FIFA. «Boom» hat mit Fussball nämlich eigentlich so gar nix zu tun – es sei denn, man meint damit das Geräusch, das erklingt, wenn jemand gegen die Pocke drischt. Ansonsten hören wir seelenloses «middle of the road» Gesinge voller Plattitüden wie «just be the flame» (hey, damit hätte es auch eine Olympia-Hymne werden können), «fight to win» (so deep!), «take no prisoner, fight to win» (urgs!), «Oo yeh yeh yi yeh ya oo yeh yeh yi yeh ya» (kein Witz) oder aber eben diesen tollen Refrain.