Veröffentlicht am 08. Februar 2023

Clowncore: Warum der Harlekin in der Musik ein beliebtes Motiv ist

Beim Wort Clown handelt es sich um eine seit dem 18. Jahrhundert bezeugte Entlehnung aus dem Englischen, die eigentlich Bauerntölpel oder plumper Bursche bedeutete. Exakt das ist Harry Styles nicht. Ebenso kein Typ, über den man lacht. Dennoch erschien er auf dem Red Carpet der Grammys als glitzernder (gestählter) Harlekin. Ein Look für Gewinner, so scheint es.

Journalist

«Ich bin Pierrot», sagte einst der verstorbene, grosse David Bowie: «Ich bin Jedermann.» Das Gesicht weiss wie der Mond, die Lippen blutrot. Er trägt einen Anzug mit abstehenden, scharf geschnittenen Applikationen und einen kleinen Spitzhut. Bowies Pierrot aus dem Jahre 19080 ist der Archetyp des traurigen Clowns. Der Vater der Pantomime, ein Alter Ego für die dekadenten, symbolistischen und modernistischen Bewegungen der Kunstgeschichte, eine Muse für Künstler:innen und Dichter:innen. Zu sehen im Video zu «Ashes to Ashes».

Nun gewann Harry Styles mit «Harry's House» den Grammy fürs beste Album. Vorher schritt er über den Roten Teppich in Los Angeles – in einem tief ausgeschnittenen Einteiler des französischen Brands Egonlab, kariert wie das Gewand eines Harlekins, besetzt mit Swarovski-Kristallen, den austrainierten, tätowierten Körper des 29-Jährigen freilegend. Da trägt der nächste Popstar ein Clowns-Kostüm und keiner lacht.

Einfach mal den Clown spielen

Nein, man lechzt eher. Harry Styles, der danach in einem silbernen Lametta-Overall performte, liebt modische Ausschweifungen. Das Modehaus Gucci hatte ihm dabei stets unter die muskulösen Arme gegriffen. Auch David Bowie war für seinen genderfluiden Stil bekannt. Wer den Harlekin jetzt deshalb als eine Art Fasnachts-Verkleidung für den woken Celebrity abtun möchte, der werfe einen Blick auf TikTok. 439.1 Millionen Posts findet man auf der Video-Plattform unter dem Hashtag #clowncore.

Das Wort-Anhängsel «-core» kennen wir von «Hardcore» ebenso wie von Hype-Neologismen wie «Normcore», was so viel wie «heftig» oder «extrem» heisst. «Normcore» wollte uns 2013 erklären, dass Durchschnitt bei der Masse an Möglichkeiten, die die Welt uns bietet, plötzlich als exotisch gilt. Hiess: Jeans, olle Turnschuhe und Fleece waren plötzlich hip. Jetzt ist es der grosse Kragen und das Karo-Muster eines Harlekins. Wir erinnern nochmal eben. Sieht so aus:

Textile Sinnlosigkeit

Clowncore auf TikTok bedeutet dabei überbunte Kleidung mit Make-up, das knallt – klar, von Clowns inspiriert. Da muss nichts zusammenpassen: Es ist ein Trend, der Maximalismus zelebriert. Es ist eine stilistische Flucht aus der tristen Realität, die aufgrund diverser Katastrophen kaum Farbe zulässt. Auch Sir Elton John warf sich gern im schimmernden Karo eines Harlekins ans Piano, um dann intensiv einen «Tiny Dancer» zu besingen. Und wenn Harry Styles nun beinahe ein Clean Clown ist, hat der Look doch Strahlkraft.

«You know it's not the same as it was», weiss Harry Styles. Genauso wie David Bowie. Das Leben ist kein Ponyhof. So tummelt sich im grössten Spass auch immer ein bisschen Melancholie. Der Clown symbolisiert ein Sammelsurium gebündelter Sinnlosigkeit, indem er partout über seine eigenen Füsse stolpert. Mit seinen albernen, törichten Gebärden überschreitet er verbotene Grenzen der Gesellschaft und wird damit zum Spötter der Realität. Der Zirkus steht dabei als Micro-Modell einer Kultur mit all ihrer Irrationalität und Ironie. Ja, die Wirklichkeit ist beunruhigend.

Heimat-Harlekin

Coulrophobie – so nennt man die Angst vor Clowns. Eine psychische Störung, die übrigens zu den zehn häufigsten Phobien gehört. Nicht umsonst gruselt man sich in Horrorfilmen wie «Es» vor ihnen. Im Clown als Paradox: Die in Kunst und Musik immer wiederkehrende Figur des traurigen Clowns, mit der sich auch David Bowie zu gut identifizieren konnte, ist eine Personifizierung des Widerspruchs von Schein und Sein.

Kings Elliot, Musikerin britisch-schweizerischer Herkunft, inszeniert sich auf dem Cover ihrer neuesten EP «Bored Of The Circus» als schöner, doch lethargischer Pierrot. Dabei sind die Augen so voller Melancholie wie die Stimme: Wenn die Schwyzerin ihre Balladen schmettert, ist es schwer, nicht mit ihr zu weinen. Vor Glück? «Der traurige Clown ist ein Sinnbild für meine psychische Krankheit. Er repräsentiert das auf eine wunderschöne Art. Für das, was in mir drin ist, habe ich mir nach aussen hin ein Gesicht gemalt», so Kings Elliott. Vielleicht gewinnt man eben genau so Grammys.

Ihr wollt den traurigen Clown live sehen?
Kings Elliot spielt am 30. Juni am Openair St. Gallen.
Infos und Tickets gibts HIER.

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