Der «BRAT Summer» hat den US-Wahlkampf erreicht
Das Albumkonzept der britischen Künstlerin Charli XCX zu ihrer aktuellen Platte «BRAT» ist inzwischen zum Meme mutiert – und zum weltweiten Hype, der nun sogar von Kamala Harris’ Wahlkampfteam genutzt wird. Charli XCX gefällt das.
Wenn eigentlich eher subkulturell geprägte Popkultur plötzlich in den Mainstream durchbricht, kann man sich vor schlecht gegoogelten Erklär-Artikeln kaum retten. Das ist auch im Falle von Charli XCX so.
Miterfinderin des Hyperpop
Die heisst eigentlich Charlotte Emma Aitchison, ist Engländerin und schon seit den frühen Zehnerjahren eine treibende Kraft moderner Popmusik. 2011 erschienen ihre ersten eigenen EPs, 2012 schrieb sie den Hit «I Love It» für das schwedische Duo Icona Pop, 2014 kam ihr erster eigener grosser Hit «Boom Clap» und der Nr.1-Hit «Fancy» von Iggy Azalea, den Charli ebenfalls schrieb.
Mit dem Produzenten A. G. Cook und der leider verstorbenen Sophie gilt Charli XCX auch als Erfinderin des Genres Hyperpop. Ihr Mixtape «POP 2» aus dem Jahr 2017 ist sozusagen der Goldstandard dieses futuristischen Stils, der die Charts bis heute prägt.
Charli XCX hat endlich den «BRAT Summer», den sie verdient | ZUM ARTIKEL
«BRAT» ist zuerst mal ein fantastisches Album
Das nur als kleine Einleitung, damit wir bitte alle nicht vergessen, dass dieser «BRAT»-Hype auch und vor allem auf guter Musik und einer Künstlerin fusst, die sich schon seit Jahren kreativ den Hintern aufreisst.
«BRAT» funktioniert mit seiner betont trashigen Ästhetik und dem neonstichigen Lindgrün, das schon längst «BRAT-grün» heisst, schon optisch ziemlich gut. Noch besser funktioniert aber die Musik drauf.
Die 15 Songs bringen Charlis Hyperpop mühelos in den Mainstream. «Von Dutch», «360», «Apple», «Mean Girls» und «Girl, So Confusing» sind schlank produzierte, süchtig machende, angriffslustig getextete Hits.
«BRAT» als Meme und Wort des Jahres
Das «BRAT-Grün» hat in den letzten Wochen nach und nach das Internet infiziert und das Barbie-Pink vom letzten Jahr als Trendfarbe abgelöst. Namhafte Künstler:innen und zig Gen-Z-Kids feiern auf TikTok und anderen Plattformen die Platte, das Grün, das Konzept – und auch das Wort selbst. Schnell riefen die ersten den «BRAT Summer» aus.
«BRAT» heisst übersetzt ungefähr so viel wie «Göre». Vor allem mit Blick auf die Karriere von Charli XCX passt «BRAT» ziemlich gut und steht für eine kreative, starke Frau, die immer ihren eigenen Weg gegangen ist und inzwischen wenige «fucks» auf die Meinungen anderer gibt.
«kamala IS brat»
Seit dem 22. Juli hat der «BRAT Summer» nun auch den hitzigen US-Wahlkampf infiziert. Nachdem Joe Biden verkündet hatte, doch nicht zur Wahl anzutreten, versammelten sich namhafte Demokrat:innen schnell hinter Vizepräsidentin Kamala Harris, die auch von Biden als Kandidatin empfohlen wurde.
Kamara Harris hat nicht nur zwei Stieftöchter, die sicher wissen, was der «BRAT Summer» ist, sondern auch ein sehr findiges Social-Media-Team. Als man den offiziellen Kampagnen-Account von Biden und Harris auf die neuen Gegebenheiten anpasste, sah das so aus:
Wenig später postete Charli XCX, die wie gesagt Britin ist und in den Vereinigten Staaten nicht wählen darf, dass sie diesen Move durchaus gutheisst. Bei ihr hiess das in der Twitter-typischen Diktion: «kamala IS brat». Seit diesem Post muss sich Charli auf ihrem Profil nun mit MAGA-Trolls herumschlagen.
Was dann passierte war peak Internet Entertainment: Plötzlich mussten seriöse Fernsehsender wie CNN im Live-Modus erklären, was zum Henker denn das alles zu bedeuten habe. Was dann zu diesem herrlichen Unfall führte:
Und was halten die Republikaner davon?
Die politische Konkurrenz der Trump-Supporter, die online und auf ihren gängigen TV-Stationen sowieso permanent im Wut-Modus ist, hadert noch ein wenig mit diesen Entwicklungen. Oft hat man bei den «MAGA»-Leuten ja eh das Gefühl, ausser «good ol’ country music» und «Sweet Home Alabama» hätten sie es nicht so mit Musik.
Statt den «BRAT Summer» verstehen zu wollen oder ihn gar anzugreifen (und es sich dabei mit jungen Wähler:innen zu verscherzen), schiesst man sich gerade lieber auf Kamala Harris’ Lachen ein oder schaltet schlichtweg in den Rassismus-Modus. Fox und namhafte Köpfe der «Make America Great Again»-Bewegung, nennen Harris seit einigen oft einen «DIE hire».
«DIE» steht eigentlich für «Diversity, equity and inclusion» am Arbeitsplatz, wird aber seit langem von Rechten als abwertender Kampfbegriff genutzt – vergleichbar mit dem ebenfalls diskreditierenden Begriff «Quotenfrau».
Es bleibt abzuwarten, ob der «BRAT Summer» wirklich konkrete Auswirkungen an der Wahlurne haben wird. Aber es ist schon jetzt spannend zu sehen, wie der US-Wahlkampf neben Polarisierung und Hass auf einmal wieder Enthusiasmus oder gar Witz erkennen lässt.