Veröffentlicht am 18. Januar 2023

Kings Elliot über ihre Faszination für Aussenseiter:innen

Ein schöner Pierrot, die Augen so voller Melancholie wie die Stimme: Wenn Kings Elliot, Musikerin britisch-schweizerischer Herkunft, ihre Balladen schmettert, ist es schwer, nicht mit ihr zu weinen. Vor Glück? Rausfinden lässt sich das am Openair St.Gallen im Sommer. Bis dahin bleibt uns nichts, als sie selbst zu fragen, wie es ihr geht. Wir haben in London angerufen.

Journalist
247

Blau machen – sich einfach mal ausklinken. Blau sein – ein bisschen zu viel getrunken haben. Feeling blue – traurig sein. Kings Elliott, das Mädchen mit den blauen Haaren und Augenbrauen, flüchtet sich in Balladen, badet in ihrer Musik wie besoffen von zu viel Gefühl, getrieben vom ständigen Sturm in ihrem Kopf. «Bored Of The Circus» heisst die neue EP der Schwyzerin Anja Gmür. Da sind so viele Pauken und Trompeten, die ihr Gehirn vernebeln. Die Diagnose: Borderline.

Im Dezember 2020 erschien sie erstmals auf der Pandemie-Bildfläche: mit dem Song «I’m Getting Tired of Me», in dessen Musikvideo man sie während einer Panikattacke sieht. Da sind Dämonen, die sie bekämpft. Als Trophäen bringt sie uns wunderschöne Melodien vom Schlachtfeld mit. Sie bereiste als Support Act von Showgrössen wie Imagine Dragons und Macklemore den Globus, im Februar wird sie mit dem Singer-Songwriter Stephen Sanchez auf US-Tour gehen. Dazwischen kommt sie heim. Spielt eine ausverkaufte Show in Zürich.

Als wir bei Kings Eliott in London anrufen, ist sie müde. Ihre Adoptionshasen machen Drama. Wenn sie nicht im Studio ist, versucht die 29-Jährige gerade mit viel Feingefühl ihre zwei Hasenpaare friedlich zusammenzuführen. Aber sie streiten viel. Auch nachts...

In den Trümmern einer Beziehung aufwachen – darum geht es in «Ashes By The Morning».

Starzone: Warum eigentlich diese Hasen? Hasen geben einem ja gar nicht so viel zurück…
Kings Elliot: Hasen werden stark unterschätzt und das tut mir im Herzen weh. Wenn man ihnen ein gutes Leben bietet und Zeit mit ihnen verbringt, schenken sie einem viel Aufmerksamkeit und Liebe. Es ist vielleicht diese Faszination für Aussenseiter:innen: Jedes meiner vier Tiere hat niemand mehr gewollt. Vermutlich projiziere ich meinen eigenen Schmerz auf sie.

Apropos Liebe zu Aussenseiter:innen: Der traurige Clown, den man auf deinem EP-Cover sieht, der alles in Schutt und Asche legt wie im Song «Ashes By The Morning» - bist du das?
Der traurige Clown ist ein Sinnbild für meine psychische Krankheit. Er repräsentiert das auf eine wunderschöne Art. Für das, was in mir drin ist, habe ich mir nach aussen hin ein Gesicht gemalt. «Ashes By The Morning» handelt von diesem selbstzerstörerischen Element der Borderline-Störung in einer meiner Beziehungen, wo man alles kaputt macht, was eigentlich gut wäre. Auch der Song«Dancing Alone» behandelt dieses Thema – Liebe ist ein ständiger Tanz auf rohen Eiern, der sehr schnell alles in Schutt und Asche legen kann, wenn ich keine Hilfe von aussen bekomme. Ich habe schon oft alles abgebrannt.

Macht es dir keine Angst, dein doch sehr fragiles Innerstes nach aussen zu stülpen?
Doch. Aber es ist schön, dem Raum zu geben, was sonst hinter meiner Fassade verkümmern würde. Ich konnte lange mit niemandem über meine inneren Kämpfe sprechen, habe mich dafür geschämt, wie ich bin oder fühle. Durch die Musik gelingt es mir, alles rauszulassen und online eine Community zu finden, die ähnlich empfindet, sich mit mir und meinen Erfahrungen identifizieren kann und sich so weniger allein fühlt. Denn so ging es mir lange.

«Maybe I'm bored of the circus Swimming through red velvet wine» – Aus den Lyrics von «Butterfly Pen» stammt der EP-Titel.

Kann man mit trauriger Musik Spass auf der Bühne haben?
Spass ist vielleicht das falsche Wort: es tut gut. Es ist wahnsinnig befreiend, diese traurigen Lieder zu singen. Man darf durchaus zwischendrin mit dem Publikum lachen.

Du leidest unter Panikattacken – wie gehen die mit Bühne und Publikum zusammen?
Es ist hart. Ich habe sie vor Auftritten, aber auch manchmal auf der Bühne. Meistens aber geht es gut, wenn ich mich in meine Songs stürze und die Augen schliesse, um alles auszublenden. Es ist wahnsinnig anstrengend, aber ich liebe es gleichzeitig so sehr. Es ist ein ständiger innerer Kampf: Warum reagiert mein Körper so auf etwas, das ich so gerne mache?

Hast du Rituale, bevor du auf die Bühne gehst?
Schminken beruhigt mich. Es wirkt fast schon meditativ auf mich. Im Hintergrund läuft oft sowas wie «RuPaul's Drag Race» – nichts sonderlich ernstes. Hauptsache, ich muss mit niemandem reden. Ich versuche, mich zu diesem Zeitpunkt in eine andere Welt zu denken. Wenn das nicht klappt, bin ich relativ schnell am Heulen. Wenn ich auf der Bühne rote, glasige Augen habe, wisst ihr, was vorher los war.

Siehst du die Gefahr, dass es Trend wird, «kaputt» und «broken» zu sein?
Wenn es bedeutet, dass es als cool gilt, offen darüber zu sprechen, wie es einem geht, halte ich das für eine positive Entwicklung. Dann, wenn es einen dazu ermutigt, sich nicht zu schämen. «Trend» klingt nach Ausbeute. Das Thema ist zu ernst, als dass man willkürlich Probleme konstruieren sollte, nur um dazuzugehören. Es besteht so die Gefahr, dass Mental Health weniger ernst genommen wird – dabei sollte das Gegenteil der Fall sein: Wir müssen die Diskussion darum normalisieren. Ich sehe darin also eher ein Plus.

Ein Künstlername, blaue Haare und Augenbrauen – versteckst du dich hinter einer Kunstfigur?
Ich habe so ein verzerrtes Selbstbild – wie eine Rüstung schenkt mir diese Überzeichnung Mut und Selbstvertrauen. Weil ich mein Spiegelbild oft gehasst habe, mit meiner mentalen Gesundheit kämpfe, mich verändern wollte, ist es vielleicht das wahrste Bild von mir. Es ist ein Ausleben dessen, was ich immer sein wollte. Ohne all das, wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin.

Was unterscheidet Kings Elliot von Anja Gmür?
Anja hat sich in ihrem Leben mehr versteckt, hat oft so getan, als wäre sie jemand, die sie nicht ist. Kings Elliot schämt sich nicht für ihre Gefühle.

Ein erstes Mal: Kings Elliot tritt in ihrer Heimat auf – bei den Swiss Musik Awards.

Du bist im Vorprogramm von Macklemore und Imagine Dragons in riesigen Hallen aufgetreten, dein erster Auftritt in der Schweiz fand bei den Swiss Music Awards statt - ist es besser oder schlechter, gar nicht erst klein anzufangen?
Im Grunde habe ich schon ganz unten begonnen: Mein Weg begann während Corona, da konnte ich gar nicht auftreten. Zu meiner ersten Headliner-Show letzten März kamen 100 Leute, am 22. Januar spiele ich in Zürich im EXIL, da werden 300 Leute anwesend sein. Mir ist bewusst, dass ich noch am Anfang stehe.

Das ist nun aber sehr bescheiden…
Ok, ich muss zurückrudern. Ich wurde oft gefragt: Ist das deine erste Tour? Und ja, die als Support Act war die erste, die ich je gespielt habe – direkt eine Stadion-Tournee. Das war wirklich verrückt. Das letzte Jahr war eins der Premieren: Bei den Swiss Music Awards habe ich zum ersten Mal ohne Mikrofonständer performt. Ich bin über die Bühne gelaufen und habe gleichzeitig gesungen – das habe ich vorher noch nie gemacht. Ich war schrecklich nervös. Natürlich ist es eine riesige Chance und Ehre, auf so grossen Bühnen auftreten zu dürfen, aber ich bin immer noch eine blutige Live-Anfängerin.

Deine Lieblingsshow bisher?
Meine Londoner Show im März letzten Jahres. Die Leute sind allein wegen mir gekommen und haben mitgesungen. Aber ich freue mich ganz wahnsinnig auf die ausverkaufte Show im EXIL.

Dann macht dich das Publikum in Zürich nervöser als das in den grossen Stadien?
Ja. Alle sind ganz nah an mir dran und auf mich fokussiert. Und obwohl es mir gerade deswegen vermutlich auch schwerfallen wird, fühle ich mich in dieser Umgebung sicher. In meiner Community fühle ich mich aufgehoben. Wenn ich auf der Bühne eine Panikattacke habe, weine und alles versaue, werden mich meine Leute nicht verstossen, sondern auffangen. Meine Fans sind schliesslich die, mit denen ich connecte.

Wo solls noch hingehen?
Ich möchte von meiner Musik leben können. Dieses Jahr will ich neue Musik rausbringen, irgendwann selbst auf Tour gehen. Ich wünsche mir, dass es nie aufhört.

Das Konzert am 22. Januar im Zürcher EXIL ist leider ausverkauft.
Die Chance, Kings Elliot in der Schweiz zu sehen, besteht dennoch: am 30. Juni am Openair St. Gallen.
Infos und Tickets gibts HIER.

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