Aussenseiter-Kunst trifft Indie-Rock: Die Bildsprache von The White Stripes
Bereits 12 Jahre ist es her, seit sich The White Stripes aufgelöst haben. Das Duo aus Michigan bleibt jedoch unvergessen und das nicht nur aufgrund von ihren zahlreichen Hits. Konsequent, wie kaum ein anderer Act zogen The White Stripes eine ästhetische Linie durch, deren Geschichte in der Niederlande beginnt.
Manche assoziieren die Niederlande mit Junggesellenabenden, an denen man etwas, ähm, «benebelt» durch das Rotlichtviertel spaziert. Andere assoziieren es mit herziger Architektur, Tulpen und frittiertem Fingerfood. Doch einige werden wahrscheinlich unterschätzen, wie massgeblich das Land zur Entstehung europäischer Kunstrichtungen beigetragen, oder diese gar ins Leben gerufen hat. Nicht so The White Stripes: Sie wissen ganz genau, wie man Neoplastizismus, eine niederländischen Stilrichtung, interpretieren und sich mit deren Schöpfer Piet Mondrian identifizieren kann.
Im Interview zum 20. Jahrestag des The White Stripes Albums «De Stijl», benannt nach dem gleichnamigen niederländischen Kunststil, sagte Jack White aus, dass das Konzept für die darauf zu hörende Musik ganz simpel war: Die Band wollte Musik produzieren, die sie gerne selbst gehört hätten. In einer Zeit, in der die Enrique Iglesias und Britney Spears der Welt die Musikbühnen und Radiostationen fast schon gewaltsam annektiert hatten, wurden alternativen Genres weniger Möglichkeiten gegeben, sich Zugang zu einem genug grossen Spielraum zu verschaffen. Somit waren The White Stripes mit ihrem einfachen Prinzip nicht alleine am Start; zahlreiche andere Bands und Musiker:innen schrieben Songs, die eigentlich hauptsächlich für sie selbst gedacht waren.
Der Sound, den Jack und Meg White gerne gehört hätten, wäre einer gewesen, der sich jeglichen Überfluss erspart hätte. Genau diesen Wunsch setzen sie in ihrer Musik selber um; das merkt man zum Beispiel daran, dass nicht nur ihre Albumcovers, sondern auch ihre Musikvideos und Kleidung ausschliesslich von den Farben weiss, rot und schwarz dominiert werden. Zudem ist ihre Verwendung von Instrumenten praktisch exklusiv auf Gitarre und Schlagzeug reduziert, was auf minimalistische Weise ihrer Musik einen knackigen und rasiermesserscharfen Klang verleiht. Und es ist genau dieser Minimalismus, der dem Konzept «The White Stripes» seine ganze Dynamik verleiht und worin die Band ihre Verbindung zu Piet Mondrian sieht.
Rechtecke, Flaggen und Zältli
Die Verbindung zum niederländischen Künstler der Moderne, Piet Mondrian (1872-1944), ist zweifellos als erstes wiedererkennbar auf dem Albumcover «De Stijl». Die Linien und monochromen Rechtecke darauf entsprechen Mondrians Stil und verwenden nicht nur wenige, sondern auch (auf ihre eigene Weise) wichtige Farben. Mondrian malte seine Blöcke in drei Grundfarben, weil er diese als die Grundbausteine der Realität betrachtete. Der gesamte Look der White Stripes ist ebenfalls reduziert auf drei Farben, die jedoch insofern wichtig sind, als dass diese Farbkombination prägnante Assoziationen beschwört, zum Beispiel die Japanische Flagge oder das Banner der Nationalsozialisten. Und damit es gleich erwähnt ist: die White Stripes sind natürlich keine Nazis, es geht ihnen bei ihrer Farbwahl viel mehr um die Macht der Assoziation und wie man mit ihr spielen kann. Wer wissen will, was die Farben bei der Band selbst auslösen muss nur das Merchandise der White Stripes anschauen.
Ähnlich wie die White Stripes den Minimalismus zur Produktion ihrer Musik und ihres Looks verwendeten, so verwendete auch Mondrian pure Abstraktion als Stilmittel. Doch seine Verwendung hatte eine tiefere Bedeutung: Nur durch Abstraktion konnte er die Strukturen der (oder seiner) Realität offenbaren, die normalerweise durch «überflüssige» Formen und Farben unerkannt bleiben. Somit war er der Erfinder der Stilrichtung des «Neoplastizismus», der die Abstraktion zum Ausdruck der Moderne verwendete.
Doch wieso haben The White Stripes dann ihr Album «De Stijl» und nicht «Neoplasticism» genannt? De Stijl lässt sich als «Formgebung» übersetzen und war der Name einer Künstlervereinigung von niederländischen Künstlern und Architekten, die 1917 u.a. von Piet Mondrian gegründet wurde und auch eine Zeitschrift herausbrachte. Darin konnten Mitglieder über ihre ähnlichen Ideen, Welt- und Kunstanschauungen diskutieren und eigene Thesen Beziehung zwischen Kunst und Leben aufstellen. Schliesslich fehlte ihrer Meinung nach der Kunstwelt das, was sie gerne betrachtet und worüber sie gerne geplaudert hätten.
Genau wegen dieses Fehlens könnte man sagen, dass «De Stijl» eigentlich die White Stripes ihrer Zeit waren, denn sowohl die Band wie auch die Künstlervereinigung erschufen das, wonach sie sich sehnten und was sie in ihrem Umfeld nirgends antreffen konnten. Piet Mondrian selbst sagte, dass die Erfindung seines Kunststils aus sehr persönlichen Erfahrungen mit der Umwelt stammen und er in sehr wenigen Kunstrichtungen die Dynamik der Realität vernahm. Also musste er etwas erschaffen, womit er sich selbst identifizieren konnte - genau wie die White Stripes, als sie ihre Musik für sich selbst schrieben, um sich in der Welt wiederfinden zu können.