Wie Turnstile Hardcore wieder salonfähig machen
Die DNA ihres Sounds liegt im US-Hardcore der 90er, trotzdem erreichen Turnstile auch junge Indie-, Pop- und sogar Rapfans. Wie schaffen sie das? Eine gute Frage, die wir noch vor ihrem Auftritt in Zürich Ende August beantworten wollen.
Turnstile wurden 2010 in Baltimore gegründet, und wenn man sich die ersten EPs der Band um Sänger Brendan Yates noch einmal anschaut und anhört, könnte man schnell denken, hier melde sich «just another Hardcore-Band». Auf dem Cover ihrer zweiten EP «Step 2 Rhythm» findet sich zum Beispiel ein schwitziges Live-Foto mit Pogo, Tätowierungen und nackten Oberkörpern und ein hässlich geschriebener Titel in einer Pseudo-Graffiti-Typo. Auch der Titel selbst klingt, als hätte man ihn bei 90er-Ikonen wie Sick Of It All geborgt. So sah damals jedes dritte Hardcore-Album aus. Bei der Musik selbst gab es dann aber fairerweise doch schon Ausbrüche in andere Sphären. Nach einem instrumentalen, melodischen Hardcore-Intro-Gebolze zeigt Yates gleich in Song zwei «Keep It Movin», dass er shouten und singen kann.
Ein Sprung in die Jetztzeit: Spätestens seit dem dritten Studioalbum «Glow On» aus dem Jahr 2021 sind Turnstile eine der angesagtesten, im weitesten Sinne jüngeren Rockbands Amerikas. Als sie im vergangenen Jahr auf dem Roskilde Festival spielten, lag das Durchschnittsalter ihres Publikums mindestens bei Ende zwanzig. Auf zwei tätowierter 90er-Hardcore-Recken kamen gut zehn Hiptster-Kids. Und – auch das eine ziemliche Seltenheit bei Hardcore-Shows: Das Geschlechterverhältnis war mal nicht verheerend, der Männerüberschuss war eher minimal. Außerdem schafften Turnstile zuvor etwas, was lange keiner Band mit ihrem Sound mehr gelungen war: Sie spielten im amerikanischen Prime-Time-TV und zwar bei der «The Tonight Show Starring Jimmy Fallon»:
Wir sind nicht das einzige Magazin, dass sich die Frage stellt, wie diese Band Hardcore wieder salonfähig machten konnte. Ein Hauptgrund dürfte sein, dass die Musik der 90er und Nullerjahre dieser Tage bei vielen jungen Menschen hoch im Kurs steht. Dank Acts wie Willow Smith oder Machine Gun Kelly haben wir ja schon Pop-Punk zurück – warum denn jetzt nicht mal Hardcore? Außerdem ist das jüngere Publikum längst nicht mehr so konservativ aufgestellt in Sachen Regeln und Genres wie das Publikum damals. Yates Texte und Stimme und die melodischen, aber aggressiven Songs sind noch immer gute «teenage kicks». Turnstile dürfte bei ihrer Mission aber vor allem helfen, dass sie selbst auf Genre-Vorbehalte pfeifen und schon immer die Nähe zu Musiker:innen suchten, die ganz andere Stile pflegen.
So spielten und spielen sie Touren mit traurigen Indie-Königinnen wie Snail Mail, oder mit dem Rapper JPEGMAFIA und man sah sie auf TikTok beim Bierpong mit Post Malone und Dua Lipa. Aber Turnstile sagen selbst, sie haben schon früh versucht, nicht nur im Hardcore zu passieren – ganz einfach, weil ihre musikalische Neugier weit über diese Szene herausreicht. Dem Magazin «Wired» sagte Brendan Yates kürzlich über die Diversität ihres Publikums: «Das ist die logische Konsequenz davon, dass wir ein großes musikalisches Interesse zeigen. Sei es durch die Orte, an denen wir spielen. Die Chancen und Angebote, die wir wahrnehmen oder die Bands, mit denen wir spielen.» Man habe diese Richtung der Neugier und Offenheit eingeschlagen und gezeigt, weil man genau das auch bei seinem Publikum sehen wolle, so Yates.
Turnstile-Drummer Daniel Fang sagt im gleichen Interview: «Wir sind damit aufgewachsen, in DIY-Kellerlokalen zu spielen, in denen alle eine ähnliche Vorliebe für Kultur und Musik hatten. Das war schön und grounding, weil du spürbar Teil einer Szene bist, aber es ist ebenso cool eine wirklich schockierende Vielfalt von Leuten mit unterschiedlichen Hintergründen auf deiner Show zu haben und irgendwie ein noch größeres Gefühl der Solidarität zu spüren, obwohl das einzige, was es zusammenhält, dieses Gefühl ist, das spontan bei der Live-Show entsteht.»
Was hier ein wenig abstrakt klingt, kann man sich am besten am 22. August im X-Tra in Zürich anschauen, auf dem vermutlich vor allem die Songs ihres letzten Albums «Glow On» gefeiert werden. Das übrigens ebenfalls deutlich zeigt, wie die Band auf der Basis ihrer Hardcore-DNA neue Wege geht. Nicht nur, dass sie mit dem Musiker und Produzenten Blood Orange einen weiteren Grenzgänger zum ersten Gastfeature in ihrer Musik einluden, auch der Produzent des Albums kennt sich in vielen Stilschubladen aus: Mike Elizondo war einst Protegé von Dr. Dre, arbeitete mit Eminem und 50 Cent, aber ebenso mit Fiona Apple, Ry Cooder, Musical-Ikone Lin-Manuel Miranda und Mary J. Blige. Auch ihm ist es zu verdanken, dass sich auf dem Album ganz selbstverständlich HC-Stampfer wie «T.L.C. (Turnstile Love Connection)» neben quirligen Indie-Stücken im Stile von Vampire Weekend finden, oder der reine Dreampop von «Alien Love Call» featuring Blood Orange.
Turnstile spielen am 22. August im X-Tra in Zürich. Alle Infos und Tickets gibt's hier.