Veröffentlicht am 16. April 2022

Wer stiehlt den Red Hot Chili Peppers die (eigene) Show?

Die Red Hot Chili Peppers feiern auf «Unlimited Love» die Rückkehr ihres Ex-Gitarristen John Frusciante. Ihre Stadiontour dazu setzt auf Rap-Helden und Acts, das Zeug haben, sie an die Wand zu spielen. Warum machen sie das?

Journalist
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Am 1. April erschien «Unlimited Love» von den Red Hot Chili Peppers und trat seinen kommerziellen und künstlerischen Siegeszug an. Pole Position in den Albumcharts in der Schweiz, Österreich, Deutschland, England und Amerika, fast durchweg positive Kritiken in den grossen Musikzeitungen und auch die Fans zeigten ihre grenzenlose Liebe. Das hat viel mit der Rückkehr von John Frusciante zu tun. Der kultisch verehrte Gitarrist, der für viele zu den besten seiner Zunft zählt, verliess die RHCP bereits mehrfach und kehrt nun zum dritten Mal zurück, um seine psychedelischen, aber technisch versierten Riffs beizusteuern. Und man muss schon sagen: Sie sind es, die Songs wie «Black Summer», «Poster Child» und «These Are The Ways» besonders machen – natürlich nur in Verbindung mit Frontmann Anthony Kiedis‘ charismatischer Quengelstimme, Fleas hyperaktiven Bass-Spiel und Chad Smiths breitkreuzig gedroschenen Drum-Rhythmen. Produziert wurde all das von Kultproduzent Rick Rubin, der praktischerweise wie auch Kiedis Teile des Jahres auf Hawaii lebt. Die beiden hingen im ersten Lockdown auf der Insel fest und nahmen ganz in Ruhe Kiedis‘ Gesangsparts auf – ohne die Band im Studio.

Das offizielle Musikvideo zu «Black Summer»

«Rockmusik ist eine Kunstform, die schon lange im Sterben liegt.»

John Frusciante hatte sich musikalisch in den letzten Jahren viel im Grenzbereich zur elektronischen Musik bewegt. In einem Interview mit dem vielleichten grössten Elektro-Musik-Magazin «Resident Advisor» erzählte er im Herbst 2020, warum er immer mit dem Erfolg der RHCP haderte. Er habe nie gewusst, ob dieser echt sei, oder nur an der «Marketing-Maschine eines Major-Labels» lag. Aber: «Die Leute hören immer noch die Songs, die wir vor 30 Jahren aufgenommen haben. Das kann man nicht kaufen. Das schafft kein Promo-Geld der Welt. » Hinzu kam, dass Frusciante Rockmusik in den meisten Fällen langweilig findet und auch das Konzept einer Mainstream-Rockband wie die Red Hot Chili Peppers für nicht mehr zeitgemäss hält. Für ihn ist Rock «eine Kunstform, die schon lange im Sterben liegt. » Er sehe genau das aber nun «als reizvolle Herausforderung Sounds zu erschaffen, auf die bisher niemand gekommen ist. » Und genau diese Aussage führt zur eingangs gestellten Frage, warum das Vorprogramm ihrer Stadiontour so aussieht, wie es aussieht ...

Das neue Album der Red Hot Chili Peppers, das in der Schweiz auf Platz 1 der Albumcharts landete.

Menschen, die Gitarren und noch Ideen haben

Ein Blick auf das wirklich formidabel kuratierte Vorprogramm der gesamten Welttournee lässt zwei sehr klare Ansätze erkennen. Den ersten könnte man vielleicht so beschreiben: Die RHCP laden Bands und Künstler:innen ein, die innovative Gitarrenmusik machen. In Boston spielen sie zum Beispiel mit Annie Clark, die als St. Vincent seit Jahren genre-sprengende Rockmusik spielt und von Musikerin wie Elton John und David Byrne verehrt wird. In Denver und San Diego teilen sie die Bühne mit den drei HAIM-Schwestern, die in den letzten Jahren massgeblich dafür sorgten, das Publikum für Gitarrenmusik jünger und diverser werden zu lassen. Gleiches gilt für King Princess, die in Las Vegas spielt. Mit Beck und The Strokes holen die RHCP dann noch innovative alte Weggefährten an Bord. Zu letztgenannten gibt es sogar noch eine sehr schöne Verbindung: Als bei einem Konzert der Strokes 2002 zahlreiche Fans die Bühne stürmten, half Chad Smith spontan den Securities der Strokes, warf die Leute zurück ins Publikum und tanzte dann mit ihnen.

Red Hot Chili Peppers teilten bereits die Bühne mit Thundercat – und Flea ist sein grösster Fan.

Von A$AP Rocky bis Thundercat

Vor allem bei den europäischen Tourstopps sieht das Line-up dagegen schon fast wie ein Statement aus, denn hier setzen die RHCP auf Schwarze Acts und Rap-Helden. In Budapest wird niemand geringerer als Nas eröffnen – und auch, wenn dieser inzwischen nur noch Arenen und keine Stadien mehr füllt, gilt er immer noch als einer der wichtigsten Rapper aller Zeiten. Bei der Show in Köln am 5. Juli und in Hamburg am 12. Juli (Auftritte in der Schweiz sind bisher leider noch nicht angekündigt) ist A$AP Rocky dabei, der in den Nullerjahren künstlerisch und lifestyle-technisch deutlich machte, das Rapper die neuen Rockstars sind. Drummer, Sänger, Rapper, Produzent Anderson .Paak, der auch bei der diesjährigen Half Time Show des Super Bowl mitwirkte, hat das Zeug dazu, die RHCP mit seiner Liveband The Free Radicals an die Wand zu spielen. Und er steht für eine Tatsache, die auch den RHCP bewusst sein dürfte: Der Ursprung ihrer Musik – sei es Funk oder Rock – liegt natürlich bei Schwarzen Künstler:innen. Last but definitely not least ist bei fast allen Shows der Bassist und Produzent Thundercat dabei, mit dem sie schon vor Jahre einmal die Bühne teilten, wie man im Clip oben sehen kann. Grösster Thundercat-Fan bei den Red Hot Chili Peppers ist Flea, der ihn 2019 in einem Videointerview mit diesen Worten anpries: «Dieser Typ Thundercat ist einfach ein grossartiger Musiker», der «wahnsinnig intellektuell» sei, und diese Intelligenz in «unglaubliche Musik» kanalisieren könne.

Schön zu sehen also , dass auch etablierte Rockstars wie die Red Hot Chili Peppers ihre riesigen Bühnen nutzen, um sich selbst als Fans und Enabler zu zeigen.

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