Wer den Sinn des Lebens sucht, hört Grandson
«Do I exist if I don't exist on the Internet?» fragt Jordan Benjamin aka Grandson in der neuen Single «Eulogy». Gute Frage. Damit zu hadern, ist nicht peinlich, sondern eine Erkrankung des guten, alten Zeitgeists. Am 4. Oktober klärt der kanadisch-amerikanische Alternative-Musiker das mit uns im Zürcher Dynamo.
«The realest song I ever wrote, for those experiencing heartbreak from life itself», schreibt Grandson auf Instagram. Der echteste Song, den er je geschrieben habe – für all diejenigen, denen das Leben selbst das Herz bricht: Mit «Eulogy» meldet sich der Platingekrönte Alternative-Künstler nach zwei Jahren zurück. In der Zwischenzeit hat er viel nachgedacht und untermalt das mit einem schrammelnden Grunge-Gitarrenbeat. Die Tour namens «I Love You, I’m Trying», die im Herbst auch durch die Schweiz führt, deutet ebenfalls an: Das Leben läuft so gar nicht so, wie es sollte. Aber einen Versuch ist es wohl wert.
«Do I exist if I don't exist on the Internet?»
Pics or it didn't happen. Existiere ich überhaupt, wenn ich online nicht exisiere? Nur wer Reichweite hat, hat Tragweite? Grandson jedenfalls, der virtuos Genres mischt und Rock, Hip-Hop und Elektronik zu etwas Neuem formt, hat sein Instagram-Profil neu aufgesetzt. Da ist jede Menge Gras, so hoch, dass er sich darin verstecken kann. Sein Körper drückt es in geflügelte Formen wie ein Schneeengel. Apropos Spuren hinterlassen: Von der 2021 erschienenen Single «Drop Dead» mit Kesha und Travis Barker, die auf Grandsons Debüt-LP «Death of an Optimist» zu finden ist, ist nichts mehr zu sehen. Gelöscht. Auf Instagram. Introspektive statt Output? Neuanfang?
«How can I relax? The end is imminent
Twelve shots fired on a man that's innocent
Growing up ain't like how I pictured it»
«Wie kann ich mich entspannen? / Das Ende droht / Zwölf Schüsse auf einen Mann, der unschuldig ist / Aufwachsen ist nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe». Grosse Worte für ein grosses Thema, verpackt in einen Song, der so entspannt klingt. Auslöser war ein missglückter Trip, wie der kandisch-amerikanische Künstler erzählt: «Eulogy' wurde in den Nachwehen eines schlechten Shroom-Trips letzten Sommer geschrieben. Er führte dazu, dass ich mein Album verwarf und mir selbst und anderen eingestand, dass ich mit Fantasien von selbstverletzendem Verhalten zu kämpfen hatte. In so einer Situation liegen nihilistische oder zynische Gedanken über die Zukunft nahe, und es hat etwas merkwürdig Tröstendes, wenn man sich der deprimierenden Absurdität des täglichen Lebens mit den einzigen Menschen auf der Welt hingibt, die einen verstehen.»
«The guinea pig generation
For social media stimulation
I can't even hold conversations
We got ADHD and anxiety»
«Die Meerscheinchen-Generation für Social-Media-Stimulation / Ich kann nicht mal richtige Konversationen führen / wir haben ADHS und Angststörungen» singt der 29-Jährige also desillusioniert. Und da sind sie wieder, die Plattformen wie Instagram und TikTok, ohne die man als Künstler aber natürlich kaum auskommt. Wo es nur darum geht, sich zu inszenieren, während man es im echten Leben kaum aus dem Bett schafft.
«I’m not sure that anything matters at all,
It’s the eulogy - for you and me»
«Ich bin mir nicht sicher, ob irgendetwas wichtig ist, es ist die Grabrede - für dich und mich», so der Refrain von «Eulogy». Ist das jetzt schlichtweg emo oder auch kritisch? Mit den Singles «Blood//Water» aus dem Jahre 2017 und «Thoughts & Prayers» aus 2018, die es in die Billboard-Charts schafften, äusserte er sich bereits zu Anfang seiner Karriere zu aktuellen Geschehnissen. «Thoughts & Prayers» bemängelt die amerikanischen Waffengesetze und den politischen Umgang damit. Frage damit geklärt. Hinter dem entspannten Flow b´verstecken sich konfessionelle Grübeleien, existenzielle Ängsten und apokalyptische Vorahnungen – das kann man jammern nennen. Oder auch sinnsuchend. Wir hören auf Tour mal genau hin.
Am 4. Oktober 2023 kommt Grandson mit seiner «I Love You, I’m Trying»-Tour ins Dynamo in Zürich.
Infos und Tickets gibts HIER.