Veröffentlicht am 26. September 2022

Mando Diao im Interview: «Ein bisschen gefährlich, ein Spiel mit dem Feuer.»

Die schwedische Rock-Instanz steht kurz vor ihrem 20. Bandjubiläum – doch ihre aktuelle EP-Reihe klingt lebhafter denn je. Ein Gespräch mit Björn Dixgård und Carl-Johan Fogelklou über «Primal Call, Vol. 2», zu coole Schwed:innen und die Freude daran, die eigenen Fans zu erschrecken.

Journalist
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Sänger und Gitarrist Björn Dixgård (B) und Bassist und Backing Vocalist Carl-Johan Fogelklou (CJ) geben gerne zusammen Interviews. So auch diesmal: Gerade auf dem Weg von einem Gig zum nächsten in ihrem Heimatland Schweden, vertreiben sie sich die Fahrtzeit im schwarzen Mercedes mit Telefon-Interviews zum neuesten Release ihre EP-Reihe. Auf «Primal Call, Vol. 2» haben Mando Diao spürbar Bock und fahren einen roughen, fast nach Desert Rock klingenden Sound. Was daran liegt, dass sie alle Songs der EP unter bestimmten Regeln aufgenommen haben. Mando Diao trafen sich mit Produzent Charlie Storm morgens im Studio, warfen Ideen auf den Tisch, pickten sich eine und verliessen den Raum erst, wenn ein Song im Kasten war. Eine Frischzellenkur, die ihnen gut steht – und vielleicht erklärt, warum sie kurz vorm 20. Bandjubiläum noch sehr frisch klingen.

Hey ihr beiden! Als der erste Song der EP veröffentlicht wurde, war einer der ersten Fan-Kommentare: «Yeah! Back to roots!» Würdet ihr ihm zustimmen?

CJ: Back to the roots?

B: Nee. Es ist eher ein Vorwärtsdenken.

CJ: Aber es gibt schon Elemente, die mit Wurzeln zu tun haben. Aus der Energieperspektive betrachtet, basiert die EP sehr stark auf dem ersten Chakra, dem Wurzel-Chakra. Es sind die ersten beiden Chakren, die wir in diese Musik einbezogen haben. Das erste steht für Stärke, wenn wir die Bodenhaftung verloren haben, und das zweite Chakra ist für die Schöpfung und die Sexualität zuständig. Darum geht es in unserer Musik.

B: Es ist schön, dass die EP so einfach und direkt ist. Die ganze Art und Weise, wie wir sie aufgenommen und geschrieben haben. Wir haben in dieser Zeit jeden Tag einen Song geschrieben, den wir dann gleich im Studio aufgenommen haben, ohne Pläne, ohne Demos. Manchmal schafften wir zwei Songs pro Tag. Und dann haben wir einfach die besten genommen und sie in unsere drei EPs gebündelt. Ich finde, all diese Songs haben eine sehr bemerkenswerte, bluesige, gefühlvolle Seite.

Habt ihr diesen Ansatz gewählt, weil er beim ersten Mal so gut funktioniert hat, oder musstet ihr über andere Wege nachdenken, um eine neue Energie oder eine neue Richtung als Band zu finden?

B: Man kann nicht so einfach im Vorfeld sagen, was für uns selbst funktioniert oder wie das Publikum reagieren wird. Wir hatten einfach eine gute Stimmung in der Band mit diesen Songs und dieser Arbeitsweise. Es dauerte ungefähr sieben Tage, um alle Songs im Kasten zu haben.

Das klingt wahnsinnig effektiv. Werdet ihr das jetzt immer so machen?

CJ: Wir werden nie etwas immer auf eine bestimmte Weise tun. Wir werden immer vorausdenken und nach vorne gehen. Wer weiss, vielleicht machen wir demnächst ein Album, auf dem man nur Akustikgitarren und Bongos hört. Was auch immer in der Zukunft für uns funktionieren wird, wir werden es tun. Das ist es, worauf wir uns stützen, auf das, worauf wir im Moment Lust haben.

B: Wir fragen niemanden, welche Art von Musik wir machen sollen. Wir bewegen uns einfach auf einem bestimmten Level. Wir kommunizieren miteinander und sehen, welche Musik sich ergibt. Das sind die Regeln von Mando Diao: Auf diese Weise Musik zu machen.

CJ: Wir lieben es, auf diese Weise unsere Fans zu erschrecken und ein wenig herauszufordern. Es ist auch ein bisschen gefährlich. Ein Spiel mit dem Feuer. Wären wir in einem anderen Genre unterwegs, wäre es eine Karriere-Suizid. Stell dir vor, eine Metal-Band wie Arch Enemy würde auf einmal eine Balladen-Platte machen. Das würde nicht funktionieren.

Ihr habt allerdings schon mal sehr viel polierter geklungen. Viele tanzen und knutschen immer noch am liebsten zu «Dance With Somebody».

B: Den Sound können wir immer noch ganz gut. Aber wir wollten diesmal räudig klingen. Gerade ist alles so posh, fast schon wie in den 80ern. Wir wollten schmutzig klingen. Mando Diao waren schon immer dirty.

Das erinnert mich an das erste Mal, als ich von euch hörte. Ein Kumpel sah euch auf der ersten Deutschlandtournee – in Münster im Club Gleis 22. Er meinte, er wusste danach nicht, ob ihr Genies oder arrogante Pisser seid. Oder beides. Ihr standet wohl bei 40 Grad Raumtemperatur in Lederjacken-Outfits auf der Bühne und spieltet räudig und melodisch zugleich.

B: Das kann gut sein. Aber die Attitüde bringen wir heute nicht mehr.

CJ: Yeah.

B: Davon sind wir geheilt.

Hatte diese unmittelbare Arbeitsweise im Studio vielleicht auch damit zu tun, dass ihr nicht wie sonst touren konntet und die Energie dann anderweitig rausmusste?

CJ: Ja. Wir hatten plötzlich viel Zeit, um gemeinsam im Studio zu sein. Was wir genauso lieben, wie das Live-Spielen. Aber wir haben das Publikum während der Pandemie natürlich sehr vermisst. Das Studio hat uns aber gut bei Laune gehalten. Es gibt jetzt eine Menge Dinge, die wir dort gemacht haben und bald veröffentlichen werden. Es sind nicht nur die EPs. Wir haben noch ein weiteres Album geschrieben. Und noch eines. Wir haben da sicher die fehlende Show-Energie kompensiert.

Erstaunlich, dass sich da so viele Songs angesammelt hatten.

B: Die mussten raus, um aus dem langweiligen Alltag, den wir während der Pandemie hatten, auszubrechen. Wir haben immer brav Tests gemacht und uns immer wieder getroffen. Wir mussten nichts anderes tun, weil wir allein waren und nirgendwo sonst spielen konnten. Und dann haben wir einfach gegenseitig unsere Musikfähigkeiten getestet. Die verdammte Corona-Pandemie hat uns eine Zeit geschenkt, die dann doch irgendwie super für unsere Energie und Kreativität war.

Ich fand es immer interessant, wie gut eure Musik in der Schweiz und in Deutschland funktioniert – manchmal fast besser als in Schweden. Aber ihr habt ja auch wirklich viel Zeit darin investiert. Ihr wart viel auf Tournee bei uns. Was denkt ihr: Woran liegt es, dass es in der Schweiz und in Deutschland in einer besonderen Art und Weise Klick gemacht hat?

B: Ich glaube, das liegt alles an unserer Königin. Die hat eine Menge Fans bei euch.

CJ: Ich schätze, es liegt eher daran, dass man in Österreich, der Schweiz und in Deutschland Rock'n'Roll-Musik mag. Und wir machen gerne Rock'n'Roll-Musik. So entsteht eine Art Beziehung zwischen den Leuten, die Rock'n'Roll mögen, und den Leuten, die ihn gerne machen. In gewisser Weise war es dasselbe, als wir im Jahr 2000 in Japan den Durchbruch schafften. Wir hatten keine Ahnung, warum wir den Durchbruch schafften. Ich meine, wir wussten, dass unsere Musik gut war, das eine hat ja nicht immer was mit dem anderen zu tun.

Und in Schweden mag man also keinen Rock'n'Roll mehr?

CJ: Nun, es ist es ein sehr kleines, ziemlich prätentiöses Land im Gegensatz zu Deutschland und der Schweiz. In Schweden sind die Leute ein bisschen too cool for school. Sie zeigen nicht, dass sie dich mögen, zumindest nicht zu 100 Prozent. Deshalb macht es auch viel mehr Spass, in Europa auf Festivals zu spielen. In Schweden gibt es ausserdem kaum noch junge Menschen, die Exzess und Rock'n'Roll mögen.

Ihr feiert bald euer 20. Bandjubiläum. Hasst ihr mich jetzt dafür, dass ich das noch anspreche?

CJ: Das ist schon okay. Über unsere 20 Jahre on the road zu reden, macht ebenso viel Spass wie über die Zukunft zu sprechen. Und es ist ja auch eine ziemlich lange Zeit für Künstler wie uns, die es immer geschafft haben, auf der Spitze des Eisbergs zu tanzen …

B: Die Leute sagen uns «Oh, ich bin schon seit 20 Jahren Fan von euch !» Aber für uns fühlt es sich wie zwei Jahre an. Aber dafür haben wir ja Journalist:innen wie dich, die uns dabei helfen, unser Dienstalter nicht zu vergessen …

Habt ihr zum Schluss noch paar, über 20 Jahre gereifte Weisheiten, die ihr jüngeren Bands mit auf den Weg geben möchtet?

CJ: Mir wäre vor allem wichtig, dass die Kids, die Musik machen, das aus einer Leidenschaft für die Musik heraus tun – und nicht weil sie eine Leidenschaft für Geld und Ruhm haben. Dann sollte man besser gleich aufhören.

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