Veröffentlicht am 23. Februar 2023

Gojira: «Wir lieben die Balance zwischen Chaos und absoluter Kontrolle»

Die bekannteste französische Metal-Band der Welt ist derzeit auf Tournee und wird im Juni auch in Genf vorbeischauen. Eine gute Gelegenheit, um über ihr Album «Fortitude», die Motivation der Band und die Verbindung des Schlagzeugers Mario Duplantier zur Schweiz zu sprechen.

Journalist
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Seit über 20 Jahren verbessern und erfinden sich Gojira (deren Namen der japanische Originaltitel des 50er-Klassikers «Godzilla» ist) regelmäßig neu. Die französische Metal-Band wurde 1996 von den Brüdern Joe und Mario Duplantier (Gitarre-Gesang und Schlagzeug) sowie von Christian Andreu (Gitarre) und Jean-Michel Labadie (Bass) gegründet. Nominiert für zahlreiche Preise, darunter auch Grammy Awards, hat es die Band aus Les Landes geschafft, den französischen Metal wie niemand zuvor zum Strahlen zu bringen. Vor allem dank ihrer Texte, die sich oft um Umweltthemen und soziale Gerechtigkeit drehen und ihrer stets anspruchsvollen Musik ein zusätzlichen Reiz verleihen. Ihre Live-Auftritte sind also nicht nur Demonstrationen musikalischer Virtuosität, sondern auch Ausdruck der tiefen Überzeugungen von Gojira.

Anlässlich ihres Besuchs in der Schweiz sprachen wir mit Mario, dem Drummer der Band, über Schlagzeuge, die Schweiz und das politische Engagement von Gojira.

Ihr seid gerade auf Tournee in England. Wie läuft es?

Es ist der Beginn der Tournee und wir haben schon fünf bis sechs Konzerte gespielt. Wir fühlen uns super in Form. Das Feedback des Publikums ist gut und wir sind sehr zufrieden mit der Show. Es läuft richtig gut.

Vor diesem Ausflug habt ihr auch eine grosse USA-Tour gespielt. Wie fühlt man sich als französische Band, die international gut funktioniert?

Wir stellen uns diese Frage nicht allzu sehr, weil das alles ziemlich subjektiv ist. Wenn man sich die Netzwerke von Künstler:innen wie Rihanna oder Beyoncé ansieht, ist man noch weit davon entfernt! Wir fühlen uns nicht wirklich als Träger der französischen Flagge auf internationaler Ebene, ehrlich gesagt sprechen wir nicht einmal darüber. Aber es ist klar, dass es toll ist, was uns alles passiert. Es ist wirklich eine Leistung und ich kann nur sagen, dass wir wirklich hart dafür arbeiten.

Apropos Bühne: Dein Bruder Joe hat kürzlich in einem Interview darüber gescherzt, dass du auf Tournee ausser Kontrolle geraten bist. Stimmt das?

Nein (lacht)! Joe hat das in einem Interview gesagt, aber er hat nur Spass gemacht! Ich habe zwar eine lustige Seite, aber in Wirklichkeit bin ich sehr weise, vielleicht sogar ein bisschen zu ernst. Manchmal denke ich, dass ich zu diesem etwas euphorischeren Zustand zurückkehren sollte.

Ihr behandelt in Ihren Liedern ja auch ernste Themen.

Ja, meiner Meinung nach ist es wichtig, als Mensch ein Gleichgewicht zu haben. Wir sprechen über Dinge, die sehr wichtig sind, aber das ändert nichts daran, dass es in der Band viel Humor gibt und dass wir die einfachen Dinge zu schätzen wissen. Wenn es um unsere Kunst geht, könnte man sagen, dass wir ein bisschen wie Apollo sind. Streng und kontrolliert. Aber was uns fasziniert, ist es, das Chaos zu beherrschen. Das ist unsere Verbindung zu Dionysos. Man könnte also sagen, dass wir die Balance zwischen Chaos und absoluter Kontrolle lieben.

Das ist übrigens auch das, was Gojira mit «Fortitude» erreichen wollten, oder? Eine Art Hymne, um in grösseren Hallen laut zu spielen ...

Ja, auf jeden Fall. Wir haben viel Zeit auf der Bühne verbracht und wollten das Songwriting von «Fortitude» in diese Richtung lenken. Wir hatten den Wunsch, Dinge zu schaffen, die die Leute packen oder sogar mit uns mitsingen lassen. Wir hatten Lust auf diese etwas zeremonielle Sache.

Für Leute, die nicht an Metal gewöhnt sind, ist es eine Musikrichtung, die man eher erleben als hören kann. Denkst du das auch?

Ja, ich stimme dir vollkommen zu. Es ist wirklich fast wie ein Trancezustand, bei dem die Leute zu einem Konzert kommen, um sich etwas Gutes zu tun, um ihren Frust loszuwerden. Es gibt etwas sehr Mächtiges in dieser Musik. Man kann aus der Kontrolle, dem Alltag und all den Regeln, die man ständig hat, ausbrechen. Das heisst nicht, dass unsere Musik ohne Regeln ist, aber es ist klar, dass die Kraft der Riffs und die Struktur des Sounds gut tun!

Diese Kraft ist auch in Ihrem letzten Track «Our time is now» zu spüren, den sie für das Spiel «NHL 2023» veröffentlicht haben. Wie kam es dazu?

Da wir bei Warner USA sind, bekamen wir diese grosse Chance und haben sie genutzt, obwohl keiner von uns wirklich Videospiele spielt oder Eishockeyfan ist (lacht). Wir spielen das Stück übrigens live. Eine Minute vor Beginn dieses Interviews haben wir mit meinem Bruder darüber diskutiert, wie wir das Stück produktionstechnisch aufpeppen können, um eine Botschaft zu vermitteln. Vielleicht einen Satz auf einen Bildschirm zu schreiben, um die Leute zu ermutigen, an sich selbst zu glauben, ihre Träume nicht aufzugeben und zu handeln.

Cool, wenn ihr euch bis zum Konzert in Genf entschieden habt, dann freuen wir uns schon darauf!

(Lachen!) Ja, das ist es! Es ist eine grosse Sache für uns, in Genf in dieser grossen Halle aufzutreten. Wir werden eine grosse Show abliefern.

Nun komme ich auf eure engagierte Seite zurück. Wie weit seid ihr mit den Einnahmen aus dem Song «Amazonia» gekommen, die ihr an NGOs spenden wolltet?

Wir haben ungefähr 300.000 Dollar zusammen bekommen und alles an eine NGO namens «APIB (The Articulation of Indigenous Peoples Of Brazil)» gespendet. Ich selbst habe keine direkte Verbindung zu ihnen, aber mein Bruder ist nach Brasilien gereist und hat dort Leute von der Organisation und Indigene getroffen. Er wurde dort mit viel Respekt empfangen, denn für sie war es aussergewöhnlich, dass eine französische Metal-Band so etwas macht. Mein Bruder hat dort eine Taufe erlebt und das war ein sehr emotionaler Moment für ihn. Er hat diesen Moment dokumentiert, und auch wenn ich noch nicht weiss, was er mit diesen Bildern machen wird, wäre es schön, wenn wir das eines Tages zeigen könnten. Ich würde es sehr toll finden, wenn wir noch mehr solcher Aktionen machen würden. Wenn wir unsere Bekanntheit noch mehr nutzen könnten. Das ist etwas, worüber wir in der Band viel reden, wir stellen unsere eigene Existenz in Frage. Ich will nicht pessimistisch sein und sagen, dass wir gegen die Wand fahren, aber selbst wir tragen dazu bei, indem wir touren, reisen und in Bussen sitzen. Also würden wir uns wirklich wünschen, dass das, was wir tun, etwas bewegt.

Bezüglich eines zukünftigen Albums. Dein Bruder hat gesagt, dass du Feuer und Flamme bist und schon 1000 Riffs parat hast, und dass er hinterherhinkt. Wie weit seid ihr?

(Lachen) Also ja, wir haben Schlagzeugriffs, aber nicht nur! Ich singe auch. Ich bin weder Gitarrist noch Bassist. Seit wir mit Gojira angefangen haben, gibt es sehr viele Riffs, die ich gesungen habe, zum Beispiel bei «Backbone» bin ich der Sänger, das Gleiche gilt für das Stück «Magma». Aber ja, ich habe im Moment viel Material, wir spielen uns gegenseitig unsere Ideen vor, manchmal lachen wir, manchmal finden wir es scheisse. Es ist viel Arbeit nötig, bevor man etwas erreicht. Ich bin hyperaktiv, selbst wenn ich versuche zu meditieren, kommen mir Riffs in den Kopf, aber ich kann mich organisieren und dann müssen wir uns alle vier in einem Raum treffen und jammen. Ich glaube, so entsteht ein gutes Album: im Voraus planen und ausprobieren. Vielleicht werden einige der Sachen, die ich habe, auf unserem nächsten Album erscheinen.

Entschuldigung, aber wie sieht es aus, wenn eine Metal-Band jammt?

Es gibt nicht wirklich Regeln. Es kann sein, dass der Gitarrist ein Riff spielt, ich lege Schlagzeug Beats drauf und so geht es weiter, vielleicht kommen wir irgendwann zu etwas, das wie ein Vers oder ein Chorus klingt. Man kann auch von einem Schlagzeugriff ausgehen, das schon viel Charakter hat, denn es ist klar, dass das Schlagzeug bei Gojira ein Markenzeichen ist, also spiele ich gerne um bestimmte Rhythmen herum, finde etwas, das allein durch das Schlagzeug tödlich ist, dann legt mein Bruder eine Gitarre darauf und es kann zu einem Riff werden. So war es zum Beispiel bei «Into the Storm».

Was für ein Schlagzeug spielst du hier gerade?

Da ist ein Tama Starclassic.

Hat es einen Spitznamen, wie dein letztes Schlagzeug, das Babar hiess?

Nein, ich bin ehrlich gesagt nicht sehr emotional mit dem Instrument. Ich bin nicht der Typ, der sich wirklich dafür interessiert. Ich bin wohl einer der wenigen Schlagzeuger, der nicht wirklich ein Hardware-Geek ist. Für mich ist das nicht das Wichtigste. Für mich ist es wichtig, was dich antreibt, welche Energie du hast, wenn du deine Sticks hältst. Wenn du deinen Stick fest umklammerst hast, wie viel Schwung du hineinbringst, wie du mit deinem Rebound spielst. Man kann also noch so viel über das Material reden, den Zipper, das Tama, für mich ist das Wichtigste, wer die Sticks hält und wie er sie hält. Die Handgelenke, die Arme, der Rücken, wenn du zu steif hinter dem Schlagzeug bist, wird der Klang steif sein. Ich lebe seit langem so. Also ist mir die Ausrüstung ehrlich gesagt egal, auch wenn ich das Glück habe, mit Top-Material zu arbeiten.

Ihr habt hier schon oft gespielt, was habt ihr mit der Schweiz zu tun?

Ich liebe die Schweiz, ich habe sogar eine Deutschschweizerin geheiratet. Die Mutter meiner Frau heisst Suzie und wohnt in Zürich, ich lasse sie grüssen! Obwohl ich mich mit den Deutschschweizern verbunden fühle, liebe ich Genf, die französischsprachige Seite. Wir wurden immer sehr freundlich aufgenommen, und das Schweizer Publikum ist super. Früher habe ich übrigens Schweizer Bands gehört, die waren echt gut.

Ah cool, welche Schweizer Band mochtest du?

«Unfold», ich bin mit ihnen aufgewachsen. Mit Kruger und all diesen Bands haben wir getourt, haben mit ihnen gespielt und waren begeistert von der Qualität ihrer Sounds. Sie waren sogar den Franzosen weit voraus.

Und zum Schluss: Wir lieben eure Malereien auf den Schlagzeugfellen! Welche Methode verwendest du dafür?

Ich benutze Tusche und Wasser, die in der Sonne trocknet. Das ist eine spielerische und einfache Technik, die ich im Moment anwende. Ich mache das auf Tournee, also gebe ich einfach Wasser und Tinte auf die Haut, ziehe mich für ein paar Stunden zurück und wenn ich zurückkomme und es getrocknet ist, bekomme ich diese Textur, die ziemlich faszinierend ist, und daraus kreiere ich diese kleinen Figuren und die Berge.

Gojira, deren letztes Album «Fortitude» 2021 veröffentlicht wurde, werden am 20. Juni 2023 in der Arena in Genf auftreten. Die Tickets sind über Ticketcorner erhältlich.

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