Veröffentlicht am 23. Oktober 2022

Eine Liebeserklärung an das Clubkonzert

Viele Bands kämpfen gerade mit mauen Ticketvorverkäufen, verlegen ihre Touren auf das nächste Jahr oder sagen sie gleich ganz ab. Trauriges, aber perfektes Timing für ein kleines Hohelied auf das Clubkonzert.

Journalist
802
Paula Hartmann bei ihrem Konzert auf der c/o pop in Köln

Manchmal beginnt ein perfekter Konzertabend so wie bei mir am letzten Freitag: Langer Arbeitstag, leicht kränkelnd nach Hause gegangen, um die Tasche wegzubringen, eher Bock auf eine gute Platte, kurz aufs Sofa gesetzt, ein spannendes Buch gegriffen – und dann die Überlegung: Puh, gehe ich wirklich noch auf das Konzert dieser deutschen Post-Punk-Band? Ich musste mich wirklich rausprügeln, um doch noch in Richtung Club zu laufen – und als wäre das alles nicht schon wackelig genug, fing es gerade dann auch noch zu regnen. Ich muss an dieser Stelle zugeben: Als ich mich direkt vor dem Mischpult platzierte, fünf Minuten bevor die Vorband auf die Bühne kam, fühlte ich mich eher erschöpft als begeistert. Obwohl ich die Band, die ich sehen wollte – Die Nerven heißen sie übrigens – wirklich sehr mag. Fast forward: zweieinhalb Stunden später. Ich stehe mit guten Bekannten am Merch-Tisch, buhle freundlich-bestimmt um die Aufmerksamkeit der Verkäuferin, schwärme mit dem Nebenmann über die grandiose Show und nehme natürlich noch das Tour-Shirt mit nach Hause. Auf dem Rückweg bin ich euphorisch, verschwitzt, selig – und ich weiß endlich, wie dieser Text beginnen sollte. Nämlich genauso.

Wir sollten nicht vergessen, was wir an der Clublandschaft haben

Ich wollte schon länger eine Liebeserklärung an das Clubkonzert schreiben. Irgendwie kommt es mir so vor, als brauche es das gerade. In den letzten Wochen haben Künstler:innen wie Antje Schomaker, SOHN oder sogar Tocotronic ihre Herbsttourneen abgesagt, weil sich nicht genug Tickets im Vorfeld verkaufen konnte. Und man muss ja auch zugeben: Die politische Weltlage, die noch immer schwelende Pandemie, die steigenden Lebenshaltungskosten, die Hand in Hand mit der Inflation gehen – all das sind nachvollziehbare Gründe, warum man keinen Bock oder auch einfach kein Geld für einen Konzertbesuch haben könnte. Trotzdem scheint es mir, als habe die Konzertwelt auch ein paar Menschen an Netflix & Co. und das Sofa daheim verloren. Vielleicht ist dieser Text für diese Fraktion. Als kleine Erinnerung, was man an einer gesunden Live-Landschaft hat, die auch und vor allem Platz für kleinere Acts und Newcomer:innen hat.

Es gibt vieles, was man an einem (guten) Konzert lieben kann

Mein Freitagabend mit Die Nerven hat mir wieder einmal gezeigt, wie sehr ich das alles liebe. Das Radar Festival in Zürich, wo ich ein paar Wochen zuvor für starzone.ch unterwegs war, ebenso. Ich liebe es, neue oder vertraute Clubs zu besuchen. Liebe es, mich umzuschauen, ob ich bekannte Gesichter sehe. Liebe es, schon vor der Show das Merch abzuchecken. Liebe es, mir einen Drink zu holen und mir das Publikum anzuschauen. Liebe es, von guten Vorbands überrascht zu werden. Liebe es, mit anderen Fans oder Kolleg:innen oder Freund:innen über Musik zu sprechen. Liebe es, Bands zum ersten Mal live sehen zu dürfen. Liebe es aber ebenso, Lieder, die mich schon lange im Leben begleiten, live vorgespielt zu bekommen. Ich liebe die kleinen Pannen auf der Bühne. Liebe gute Ansagen, lustige Zwischenrufe, spontane Tanz- und Pogo-Ausbrüche. Liebe es, wenn die Songdramaturgie Melancholie und Euphorie gleichermäßen zulässt. Liebe die kitschigen Momente, wenn bei der Ballade alle ihre Smartphones aufleuchten lassen. Liebe selbst die nervenden Leute: die Lückenbrüller, die in der letzten Reihe pogenden, die sich nicht nach vorne trauen, die Alles-Mitfilmen-Wollenden, die Schief-Mitsingenden, die Besoffkskis, selbst die Gestalten, die heimlich einen Furz rausdrücken und alle umstehenden rätseln lassen, wer denn für diesen Todeshauch verantwortlich ist.

«Es ist schön, hier so viele Menschen zu sehen. Und das schon bei der Vorband! Danke dafür. Gar nicht so selbstverständlich gerade.»

Am Freitag traf ich zufällig sehr nette Bekannte, denen es genau wie mir ergangen war. Auch sie stellten sich früher am Abend die Frage, ob man wirklich noch rauswolle. Und, mein Gott, wie haben wir alles es NICHT bereut, gekommen zu sein! Die Nerven sind eine mitreißende, urgewaltige Liveband, der Club war pickepackevoll und es gab gleich Dutzende Bühnenmomente, die so besonders waren, dass ich sie noch lange in Erinnerung behalten werde. Aber auch die Vorband Voodoo Beach sorgte für eine Szene, die mir das Herz wärmte und die perfekt an das Ende dieses Textes passt. Nach dem zweiten oder dritten Song blickte Sängerin und Gitarristin Verita Vi in den schon gut gefüllten Club und sagte: «Es ist schön, hier so viele Menschen zu sehen. Und das schon bei der Vorband! Danke dafür. Gar nicht so selbstverständlich gerade.» Recht hat sie.

Ich will hier nicht schwarzmalen: Ich glaube fest daran, dass es im Frühling vielleicht wieder etwas rosiger aussieht in der Livebranche. Aber auch in den nächsten Wochen gibt es in vielen Städten in der Schweiz noch zahlreiche Acts und Clubs, die das alles weiterhin am Leben halten wollen. Gebt euch einen Ruck, schaut mal, was die Location eures Vertrauens im Programm hat, lasst euch vielleicht gar mal überraschen von einem Act, den ihr noch nicht kennt, tauscht das eine Arena-Konzert gegen drei kleine Clubshows und zeigt all den Menschen, die diese Abende für euch über die Bühnen bringen, dass ihr weiterhin am Start sein werdet.

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