Veröffentlicht am 16. Juli 2022

Die Toten Hosen: 5 Szenen einer erstaunlichen Karriere

In 40 Jahren vom Deutschpunk-Urknall zur Oktoberfest-kompatiblen Rock-Institution: Das ist der Weg von Campino und Die Toten Hosen. Vor ihren Schweiz-Gigs schauen wir auf erstaunliche Szenen einer erstaunlichen Karriere.

Journalist
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Die Toten Hosen bei #wirsindmehr in Chemnitz 2018

Wie gross die Arenen, Stadien, Festivalbühnen oder Touren auch werden: Campino und seine Bandkollegen kommen aus dem Punkrock – und der ist im Kern natürlich hochpolitisch und traditionell antirassistisch. Die Toten Hosen scheuen trotz oder wegen ihres guten Standings nie davor zurück, politisch Stellung zu beziehen. Das mögen einige Campino-Hater störend finden, aber drauf geschissen. Auf Die Toten Hosen kann man zählen, wenn es ein Statement mit grosser Aussenwirkung braucht. 2018 spielten sie zum Beispiel ein Gratis-Konzert im Rahmen der #wirsindmehr-Demonstration in Chemnitz. Nach gewaltsamen Aufmärschen rechtsdrehender Wutbürger, Kategorie-C-Hooligans und rechten Scharfmachern aus Parteien wie Der dritte Weg oder der AfD versammelten sich im Herzen der Stadt zehntausende junge und alte Menschen aus Chemnitz und Umgebung für ein Konzert, das mehr sein wollte, als bloss das. Nach Bands wie Feine Sahne Fischfilet und K.I.Z waren Die Toten Hosen die Headliner. Der stärkste Moment des Abends war dieser: Campino hält eine pointierte Rede zur Aktion, man spielt «Willkommen in Deutschland», bittet Arnim von den Beatsteaks und Rod von Die Ärzte auf die Bühne – und spielt: «Schrei nach Liebe».

Die im Text genannte Stelle beginnt bei 03:56:00.

Ostern 1982 – im Herzen der DDR

Vor einigen Wochen erschien die tolle, mehrteilige Dokumentation «Auswärtsspiel - Die Toten Hosen in Ost-Berlin» über einen legendären Gig im ersten Jahr jener Band, die aus ZK entstanden ist und im Düsseldorfer Ratinger Hof gegründet wurde. Auf Einladung der Punkszene in Ost-Berlin reisten Campino und Co. undercover über die Grenze. Die Hosen haben sich allerdings niemals angemasst, der DDR Punkrock «beibringen» zu wollen. Im Gegenteil: Die Doku und die Statements der Band darin zeigen sehr schön, dass die Hosen grossen Respekt vor einer Subkultur hatten, die in der ehemaligen DDR tatsächlich noch extrem gefährlich lebte: Andreas von Holst, besser bekannt als Kuddel, sagt zum Beispiel: «Wir dachten: Gucken wir mal, ob wir den Punkrock da hinbringen können. Und der war eigentlich schon längst da.» Die Toten Hosen spielten an diesem denkwürdigen Abend mit der Band Planlos bei einer «kirchlichen Veranstaltung mit musikalischer Untermalung». Ein grenzübergreifender Schulterschluss und ein Treffen auf Augenhöhe, das auch der Punkszene in der DDR Kraft gab.

«An Tagen wie diesen» auf dem Oktoberfest im Jahr 2012

Wer Fan der Toten Hosen ist und sich noch als Punker:in definiert, muss – sagen wir mal so – Ambivalenzen aushalten. Denn DTH sind inzwischen allgemeines Kulturgut bzw. Mainstream und haben eben auch ein paar Songs, die wirklich überall funktionieren: In ranzigen Partykellern, auf riesigen Festivals oder dort, wo das Bier in Masskrügen gebechert wird. «An Tagen wie diesen» kann man tatsächlich bei fast allen Promillewerten fühlen und mitgrölen. Kein Auftritt hat das besser bewiesen als jener im Jahr 2012, als Campino im Hackerzelt auf dem Oktoberfest, nun ja, grölte – aber immerhin gab es an diesem Tag auch mal Crowdsurfing im Bierzelt. Der Song wurde übrigens so gross, dass angeblich selbst einmal die deutsche Bundeskanzlerin angerufen hat, um der Band zum Erfolg zu gratulieren.

Campino liest dem ECHO Musikpreis (und Kollegah und Farid Bang) die Leviten

Die Toten Hosen und vor allem Campino standen schon oft im Feuer, wurden kritisiert für politische Äusserungen oder von prominenten TV-Satirikerin im deutschen Fernsehen als Gutmenschen vorgeführt. Tatsächlich gibt es einige Talkshow-Auftritte, bei denen der Staatsmann in Campino etwas mit ihm durchgeht, aber eines muss man ihm lassen: Er macht auch das Maul auf, wenn es kein anderer tut und er eigentlich nur verlieren kann. Das beste Beispiel dafür: Die Verleihungsshow des einst grössten Musikpreises in Deutschland – dem «Echo» . Die Rapper Kollegah und Farid Bang erhielten an diesem Abend Preise für ein Album, das auf harte, antisemitische Lines setzte. Der «Echo» tat, was er schon all die Jahre vorher getan hatte, wenn es brenzlig wurde: Er ignorierte den Elefanten im Raum. Der Einzige, der sich auf die Bühne traute mit massvollen aber klaren Worten war mal wieder Campino. Der Dank: Unmittelbar nach der Show wurde er von Kollegah als «Zitteraal» verlacht, weil er bei seinem Statement zitterte, und bei Twitter als Moralapostel gedisst. Dann schnallte allerdings auch der Rest der Musikbranche, was an diesem Abend passiert war und merkte fast reumütig, dass Campino an diesem Abend mal wieder den Job gemacht hat, den keiner machen wollte. Der «Echo» zerlegte sich im Anschluss, Kollegah disqualifizierte sich mit fragwürdigen «Alpha»-Business-Ideen, Verschwörungs-Lines und schlechtem Rap. Und Campino? Kann sich immer noch im Spiegel anschauen – was nicht für alle gilt, die an diesem Abend in Berlin dabei waren.

Die Toten Hosen in deinem Wohnzimmer – die Magical Mystery Tour

Die Tour zum 30. Jubiläum sah in Teilen ein wenig anders aus, als das, was uns bald in Zürich und beim Moon&Stars in Locarno erwartet. 2012 gingen DTH auf die «Magical Mystery Tour», benannt nach dem Film der Beatles. Dabei spielten die Hosen direkt bei ihren Fans im Wohnzimmer, reisten durch ganz Deutschland – und pennten meistens sogar bei den Gastgeber:innen. So viel Fan-Nähe gibt es bei einer Stadionband selten. Der Abschluss der Tour führte sie natürlich in ihre geliebte Heimatstadt: Ins Wohnzimmer von Ingo in der Düsseldorfer Altstadt. Allein für dieses Video muss man diese Band einfach lieben.

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