Veröffentlicht am 08. Dezember 2022

Die Emanzipation des Popstars Sam Smith

2014 spielte Sam Smith auf dem wichtigen Showcase Festival Eurosonic / Noorderslag vor der versammelten Musikpresse – und überzeugte nicht wirklich. Seitdem konnte man diesen erstaunlichen Menschen mit jedem Jahr mehr wachsen sehen. Bis Sam zum genderqueeren non-binären Pop-Superstar wurde, der Smith heute ist.

Journalist

Die Sache mit den hohen Erwartungen ist Fluch und Segen zugleich. Das musste auch Sam Smith spüren, als Sam 2014 einen sehr wichtigen Gig irgendwie, nun ja, versemmelte. Smith spielte auf dem Eurosonic / Noorderslag Festival – eines der wichtigsten Events der europäischen Livebranche. Alle Jahre wieder treffen sich Mitte Januar Booker:innen, Musikjournalist:innen und Label-A&Rs, um in der schmucken niederländischen Uni-Stadt Groningen Bands und Künstler:innen live zu erleben, die in den nächsten Jahren die Bühnen der Welt erobern sollen. Viele Festivals, vor allem die, deren Line-ups in die Zukunft blicken, rekrutieren dort ihre Acts. Sam Smith war 2014 DER Hot Shot im Line-up. Alles drängelte in das Theater in der Innenstadt, in dem Smith im großen Saal spielen sollte. Wer rein wollte, musste entweder sehr pünktlich sein, den wichtigsten Pass des Festivals haben – oder wie der Autor dieser Zeilen: Mit dem Booker eines etablierten Festivals in Deutschland unterwegs sein, der zuvor schon ein Date mit Smiths Agenten hatte. Sam Smith war damals schon in der renommierten «Sound of…»-Liste der BBC gelistet, man kannte unter anderem die schon ziemlich toll gesungenen Songs der «Nirvana»-EP.

Auch Smiths Stil wirkte zunächst einmal interessant: mal souliger, mal poppiger Gesang traf auf Gospel-Chöre und verwaschene, fast new-wavige Gitarren. So stand man also vor der Bühne in Groningen und hoffte, Großes zu erleben. Was auf diesem Festival gar nicht so selten passiert: Hier konnte man George Ezra beim Durchstarten erleben, frühe Gigs von Ed Sheeran und Franz Ferdinand erleben oder einen magischen Abend mit Benjamin Clementine, der schon damals vor 80 Leuten immenses Star-Potential hatte. Bei Sam Smith wiederum – wollte man nach drei Songs gehen. Der junge Smith war sichtbar aufgeregt, die Songs wirkten im Live-Vortrag schwammig, mal klangen sie wie ein müdes Cure-Rip-off, mal wie generischer Soulpop der mediokren Sorte. Eine Kritik schrieb später: «Obwohl auch sein Stimmorgan durchaus beeindruckend ist, machte der Auftritt in keinster Weise Lust auf mehr. Die soulige Pop-Musik klingt schlicht zu wenig originell.» Auch der Booking-Kollege sagte: «Nu ja, der heiße Scheiß ist das ja nicht gerade.» Tja, wie so oft – sollten wir uns alle irren. Oder besser gesagt: Sam Smith zog die Lehren daraus, arbeitete an der Musik und der Show und wurde mit jedem Jahr besser.

Schon ein Jahr später sah man einen völlig neue Sam Smith: Selbstbewusst, stimmgewaltig, smart gekleidet, ein ruhiges sympathisches Charisma ausstrahlend. So stand Smith 2015 auf der Bühne des Lollapalooza Festivals in Berlin im Spätsommer. Der maue Gig hatte Smith nicht geschadet – zu groß war schon das Investment der Plattenfirma. Aber eben auch das Talent. Sam Smith veröffentlichte in diesem Jahr mit «Writing’s On The Wall» einen der besseren Bond-Tracks eines der besseren Bond-Filme der letzten Jahre – nämlich für «Spectre». Außerdem entwickelte sich «I’m Not The Only One» vom Konsens-Radio-Hit zum Superhit. Video und Audiostream haben bis heute jeweils über eine Milliarde Streams gesammelt.

Der entscheidende Schritt der Emanzipation zur genderqueeren Ikone und zum Weltstar vollzog sich jedoch im März 2019. Mit den Alben «In The Loneley Hour» und «The Thrill Of It All», die zahlreiche Nummer-1-Platzierungen einsammelten – u. a. in seiner Heimat England und in den U.S.A. – war musikalisch da schon alles klar. Aber Sam Smith entschied bewusst, die Themen, die sein Leben prägten, deutlicher in die Welt zu tragen. 2019 nutzte Smith ein BBC-Interview mit der Schauspielerin Jameela Jamil, um über das persönliche Gender- und Körperbewusstsein zu sprechen. Smith, der 2014 ein erstes öffentliches Coming-out mit seinem damaligen Freund hatte, sagt dort: «Ich bin nicht männlich oder weiblich», so Smith. «Ich denke, ich schwebe irgendwo dazwischen.» Außerdem sagte Smith: «In meinem Körper und in meinem Kopf gab es immer ein bisschen Krieg. Manchmal habe ich mir die Frage gestellt: 'Möchte ich mein Geschlecht angleichen?’» Smith denke noch immer darüber nach. Sam Smith will deshalb als non-binär gelesen werden, was auch der Grund ist, warum in diesem Text statt der Pronomen «er» und «ihr» immer von Sam, Smith oder Sam Smith die Rede ist.

All das führt zum aktuellen Hype um Sam Smith, ausgelöst vom Duett der Transgender-Sängerin Kim Petras. «Unholy» ist einer der Hits des Jahres, eine faszinierende, sündenvolle Hymne gegen (christliche) Doppelmoral und für die Gender-Grenzen überwindende körperliche Liebe. «Mummy don't know daddy's getting hot / At the body shop, doing something unholy / He's sat back while she's dropping it, she be popping it / Yeah, she put it down slowly.» Auf der ganzen Welt singt man diese Zeilen. Weil die ganze Welt ein schweinischer Sündenpfuhl sein will und sich oft hinter Moralfassaden versteckt. Man darf also schon jetzt gespannt sein, was für eine bunte und wundervolle Crowd Sam Smith am 16. Mail im Hallenstadion in Zürich versammeln wird, wenn Smith dort das einzige Schweiz-Konzert der Europatournee spielen wird. Bis dahin wird auch das neue Album «Gloria» draußen

Alle Infos zur Show von Sam Smith am 16. Mai im Hallenstadion und zur Ticketlage gibt es hier.

Gefällt dir der Artikel?