Veröffentlicht am 08. Juli 2024

5 Dinge, die auf dem Roskilde Festival etwas anders laufen

Am Wochenende fand bereits zum 52. Mal das Roskilde Festival statt. Obwohl hier Riesen-Acts wie Doja Cat (Foto), Foo Fighters, Charli XCX und Skrillex auf der Bühne stehen, ist das Riesen-Event im Kern fast eine Hippie-Veranstaltung. Unser Autor war vor Ort und erklärt in fünf Punkten, warum das Roskilde ein wenig anders ist.

Journalist
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1. Man ist „Non-Profit since 1972“

Diese Headline wird auf dem Roskilde durchaus mit Stolz benutzt. Man findet den Satz auf dem Festivalmerch, an Bannern auf dem Gelände und aufs Wesentliche gekürzt auch auf dem Einlassbändchen.

Wer die Geschichte des 1972 gegründeten Festivals nicht kennt, mag nun stutzen, wie ein Event „non-profit“ sein kann, das in diesem Jahr sündhaft teure Acts wie Doja Cat oder die Foo Fighters auf die Bühne stellt und Ticketpreise von rund 300 Franken abruft. Können die etwa nicht ordentlich wirtschaften?

Doch, doch! Es ist nämlich so: Die Ursprünge des Roskilde liegen in der seit den 30ern aktiven lokalen Organisation Foreningen Roskildefonden, die sich in der Umgebung von Roskilde dafür einsetzte, Kindern und Jugendlichen Kultur, Sport und Bildung zu ermöglichen. Das führt zur grossen Besonderheit des Festivals, die der Pressesprecher mal so auf den Punkt brachte: «Niemand von uns verdient Geld.»

Roskilde wird von einem Verein betrieben, der weiterhin in der Satzung stehen hat, jungen Menschen Kultur und Musik nahezubringen. Zwar hat der Verein ein paar Angestellte, die das ganze Jahr über jeden Tag für das Festival arbeiten, aber selbst der technische Leiter der recht legendären «Orange Stage» (die übrigens 1987 den Rolling Stones nach einer Welttournee abgekauft wurde) zum Beispiel nimmt für das Festival seinen Jahresurlaub.

Vor und hinter den Bühnen des 50. Roskilde Festivals | ZUM ARTIKEL

Gleiches gilt aber auch für alle anderen Kräfte: Die Zapfer:innen kommen oft mit Sportvereinen oder Jugendorganisationen, die mit Essens-Ständen und Bars Geld für ihre Belange sammeln. Die ausgebildeten Securities werden verstärkt von tausenden Student:innen oder anderer Kids, die für ein paar Stunden Arbeit am Tag das Festival erleben können. Neben den knapp 90.000 zahlenden Gästen, kommen also noch zehntausende Volunteers dazu, die einen sehr grossen Einfluss auf den guten Vibe des Festivals haben.

Allein vom Festival wurden über die Jahre 429 Millionen dänische Kronen gespendet – das sind fast 56 Millionen Schweizer Franken.

2. Es gibt kein Matsch, sondern «Smatten»

Mit dem Roskilde verhält es sich wie mit dem Glastonbury: die seltenen, sonnigen Jahre kann jede:r. So richtig erlebt man Roskilde nur, wenn man noch Tage danach das Geräusch eines Stiefels im Ohr hat, der in einen feuchten Batzen «Smatten» tritt, einsinkt und das Wasser neben dem Schuh nach oben suppen lässt.

Smatten, so weit das Auge reicht (Foto: Christian Hedel)  - Christian Hedel
Smatten, so weit das Auge reicht (Foto: Christian Hedel) - Christian Hedel

So, oder auch «mudder», «smat» oder – wenn es schon ein wenig getrocknet ist – «Mudderklumpen» nennt man diese herrliche Mischung aus verschüttetem Bier, viel dänischem Regen und einem Schuss Pisse, die von 260.000 Füssen in seine dünnpiff- oder kuhfladen-artige Konsistenz gewalkt wird. In diesem Jahr sorgten die 2 bis 5 «ergiebigen Regenfälle» pro Tag für einen besonders «schönes» «Smatten»-Fest.

3. Die Rockbands sind auf den Hauptbühnen im Hintertreffen

Die Headliner in diesem Jahr überzeugen fast allesamt: Skrillex liess die Bässe furzen und brachte auch die allerletzte Reihe vor der Orange Stage zum Tanzen. SZA gewann die Fans mit ihrer tollen Stimme. Doja Cat zog ihren Sound mit Band in ganz andere Stilgefilde und war charming und dominant zugleich. 21 Savage rappte live und eher oldschool inszeniert. Jungle zeigten, dass man Dance-Musik auch fast komplett live spielen kann, PJ Harvey lieferte den stilvollen Abend der hohen Songwriting-Kunst, Sexyy Red könnte es bald mit Cardi B aufnehmen, wenn sie so weiter macht und die Foo Figthers spielten ein leidenschaftliches Best-of.

Was in dieser Liste auffällt? Rockbands gab es auf den grossen Bühnen weitaus seltener als spannenden Rap, Indie oder Electro. Und selbst als die Foo Fighters auf der Orange Stage spielten, ging zeitgleich Charli XCX auf der zweitgrössten Bühne an den Start und brachte das offene Zelt erst zum Platzen und dann zum kollektiven Ausrasten. Während bei Dave Grohl schunkelnd mitgesungen wurde, sprang und sang man bei Charli zu einem Auftritt im «Wham! Bam! Thank you! Damn»-Style. 40 Minuten Hyperpop aufs Maul, viel Playpack, aber eine Attitude, die schon fast punkig wirkte.

Auf den Nebenbühnen merkt man dann aber schnell: Rockmusik ist putzmunter. Da finden sich dänischer Avantgarde-Noise-Rock (Selvhenter), marokkanischer Riot-Grrl-Punk (Taqbir), Hole-artiger Grunge (Blondshell), japanischer Melodic-Metal (Lovebites), New-York-Noise-Indie (Kim Gordon) oder Glamrock-Alternative-Helden wie Jane’s Addiction.

4. Man ist ein Traditionsfestival – für junge Leute

Dass das Line-up so ist, wie es ist, liegt zu einem grossen Teil an einer Grundsatzentscheidung: Viele dänische, langjährige Gäste oder Volunteers sind als junger Mensch zum ersten Mal zum Festival gekommen: Weil man das nach dem Abi oder während dem Studium so macht mit seiner Clique. Oder weil man sich als Volunteer meldet, weil man ein paar Bands sehen will, aber kein Geld fürs Ticket hat. Oder weil der Judo-Verein, bei dem man trainiert, hier eine Bar betreibt, um Geld für die Vereinskasse zu sammeln.

Hier sehen die Macher:innen noch immer die Kernaufgabe des Festivals: Zwar freut man sich über alle jene, die teilweise seit Jahrzehnten dabei sind und immer wieder kommen, aber in erster Linie will man auf dem Roskilde das junge Publikum für sich gewinnen. Man will ihm zeigen, dass Aktivismus Spass machen kann. Man will Musik aus aller Welt feiern. Man will mit politischer Kunst inspirieren. Aber man will eben auch die Möglichkeit bieten, einfach ein alternatives «Spring Break» für Dänemark zu sein.

Auf dem Roskilde bahnt jede:r für sich seinen oder ihren Weg: Man kann zu den fettesten Acts der Pop- und Rapwelt eskalieren, aber man kann auch viel über Politik und Gesellschaft lernen, Musik aus Subkulturen entdecken, die man bisher nicht auf dem Schirm hatte, oder mal spüren, was es heisst, in Marokko eine feministische Punkband wie Taqbir zu sein, die für uns eines der Highlights des Wochenendes war.

5. Das Roskilde ist manchmal Vorbild für ganz Dänemark

Wer die Macher:innen des Festivals trifft, spürt schnell, wie sehr sie für dieses Festival und die gute Sache dahinter brennen. Als wir zum Beispiel eine Pfandstation gezeigt bekommen, können wir uns nur knapp beherrschen, nicht auch selbst mit dem Pfand-Sortieren zu beginnen – dermassen enthusiastisch ist der Vortrag der jungen Frau, die uns erzählt, wie man es geschafft hat, einen Grossteil des Mülls zu recyclen oder wiederzuverwenden.

Dazu muss man wissen: Es gibt auf dem Roskilde viele, sagen wir mal Wanderarbeiter:innen, die sich Tickets kaufen, um im grossen Stil Pfand zu sammeln. Das sind manchmal Geflüchtete, die noch keinen Zugang zum regulären Arbeitsmarkt haben, mal Sinti und Roma, mal aber auch findige Kids, die ein wenig Geld verdienen wollen.

Das Roskilde hat in den letzten Jahren erkannt, dass hier Konflikt-Potential entstehen kann, wenn die Sammler:innen nicht ausgiebig betreut werden, oder wenn zu aggressiv gesammelt wird, oder aber auch wenn mal ein betrunkener Däne gegemüber einen Sammler rassistisch ausfällig wird. Also hat man Anlaufstellen errichtet, die Sammler:innen angesprochen, um ihre Bedürfnisse zu erfahren und ein faires Auszahlungsmodell konstruiert, das überwiegend digital funktioniert.

Der Clou an der Sache: Die Art und Weise, wie hier Pfand getrennt, verarbeitet und recyclet wird, wurde zum Vorbild für das aktuelle dänischen Pfandsystem. Tja, da soll noch einer sagen, Festivals könnten nicht auch ein Stückweit die Welt verändern. Dazu passt auch das Motto des Roskilde Festivals, das sie schon im letzten Jahr wählten: «Utopia». Man wolle die kleinen und grossen Utopien feiern, sagen die Veranstalter:innen – und das klingt nur so lange anmassend, bis man einmal selbst auf dem Roskilde gewesen ist.

Wo man hinschaut glückliche Gesichter. (Foto: Christian Hedel)  - Christian Hedel
Wo man hinschaut glückliche Gesichter. (Foto: Christian Hedel) - Christian Hedel

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(Artikelfoto von Christian Hedel. Weitere Roskilde-Fotos von ihm findet ihr hier auf Instagram.)