Veröffentlicht am 18. Dezember 2022

2ManyDJs: 20 Jahre Bastard Pop

Es ist kaum möglich, den Einfluss, den die Brüder David und Stephen Dewaele auf die elektronische Musik der Nullerjahre hatten, zu überschätzen. Sie haben zusammenpackt, was nicht zusammengehörte, den Indie-Kids das Tanzen beigebracht und ganz nebenbei ein neues Genre etabliert. Vor 20 Jahren erschien ihr wegweisendes Mashup-Mixtape, Zeit für einen Blick zurück.

Journalist
1337

Auf Papier klingt es erstmal absolut grauenhaft: Dolly Parton gemixt mit dem trancigen Electro-Pop von Röyksopp? Für so ein Gemetzel, muss man sonst schon die Red Wedding-Episode von «Game of Thrones schauen». Und dennoch, nach anfänglicher Skepsis, zünden Mashups, in den frühen Nullerjahren, ihren klebstoff-schnüffelnden Wahnsinn unter so ziemlich jeder Discokugel von London bis Leimbach.

Verantwortlich dafür sind Stephen und David Dewaele. Zwei Brüder aus Belgien und zum damaligen Zeitpunkt vor allem als Frontmänner von Soulwax bekannt. Soulwax ist ein semi-loses Kollektiv an Musiker:innen, zu denen über die Jahre hinweg auch Sepultura-Gründer Igor Cavalera und dEUS-Drummer Stephane Misseghers gehören. Die Band hat ihre Wurzeln im Desert Rock. Wer mit dem Genre vertraut ist, braucht nur die ersten paar Takte von deren Debüt «Leave the Story» zu hören, um rückzuschliessen, dass die Dewaele-Brüder in ihrer Jugend wahrscheinlich zu Kyuss und Fu Manchu gekifft haben.

Rave N' Roll

Soulwax wagen auf den ersten beiden Alben keine grossen Experimente. Sobald Stephen und David aber die Gitarren abstreifen und sich hinter die DJ Decks stellen, lassen sie den staubigen Sound ihrer Band hinter sich. Das beginnt zuerst unauffällig: Nach den Soulwax-Shows wechseln die Brüder an die Plattenteller und sorgen für die Afterparty. Dem minimalistischen Techno, der zu dieser Zeit die Szene dominiert, können sie nur wenig abgewinnen. Stattdessen mixen sie die Beats von News Orders «Blue Monday» mit obskuren Hip Hop-Vocals.

Bastard Pop, nennen sie ihre hybride Form der Clubmusik, die ihnen schon bald eine eigene Radio-Show verschafft. Während in den Feuilletons noch darüber gerätselt wird, ob das nun Kunst oder Kacke ist, packen David und Stephen ihre erste Compilation zusammen. «2manyDJs – As heard on Radio Soulwax» erscheint im Frühjahr 2002 und wummert sämtliche Kritiker an die Wand.

Mit dem Erfolg kommen die Remix-Anfragen. Einerseits von Stadion-Füller wie The Rolling Stones und Robbie Williams, vor allem aber aus der Indie-Szene. Soulwax remixen von MGMT, über die Klaxons bis hin zu Gossip alles, was enge Hosen trägt und irgendwann mal auf dem Cover des NME zu sehen war. In Rock Clubs steigen plötzlich Raves und der Kajal läuft in schwarzen Sturzbächen über die Wangen der tanzenden Meute. 2005 wird daraus die New Rave-Bewegung, deren neonfarbenen Fangarme sich um die Pop- und Fashion-Kultur schlingt. Soulwax näheren sich unterdessen stilistisch den 2ManyDJs an, spätestens mit dem 2005er Album «Nite Version» verschwimmen die Grenzen dann komplett.

Die Mash-Up-Maschinerie läuft dabei ungebremst weiter, auf kommerzieller Ebene aber ohne deren Wegbereiter. Stephen erklärte kürzlich in einem Interview mit dem Guardian warum: «Plötzlich standen die Labels bei uns auf der Matte und wollten Mash-Ups von ihren Back-Katalogen. Aber das ist nicht unser Ding. Und ausserdem waren es genau die Labels, die uns noch vor kurzem deren Tracks verweigert hatten. Das Ganze widersprach unserer Ethik und so richtig lustig war es auch nicht mehr, nachdem es den Überraschungseffekt verloren hatte.»

Kannibalen am Werk

Der Allgemeinheit war dies egal. Mashups wurde zur Silberkugel für jeden ideenlosen Club, der zu faul war, um sich ein eigenes Musikkonzept zu überlegen. Auch in Sachen Qualität ging es steil bergab. Die DIY-Arbeit von David und Stephen war kreativ, musikalisch und überraschend. Nachfolgende Produktion collagierten häufig einfach zwei gleichgültig zusammengewürfelte Songs, die irgendwann mal in den Charts vertreten waren. Trends kommen und gehen. Oder sie fressen sich selbst auf.

Rebecca Black x Justin Bieber x One Direction - wir mussten im Anschluss fünf Stunden David Bowie hören, um die grausigen Töne wieder aus unseren Ohren zu waschen.

Und heute so?

Soulwax/2ManyDJs hatten über die letzten 20 Jahre einen kontinuierlichen Output an guten bis hervorragenden Alben, Remixes und Compilations. Auch zwei Film-Sountracks finden sich darunter. Die frühen Mashups lassen sie zwar gelegentlich in ihre Livesets miteinfliessen, lieber schauen die Brüder aber nach vorne: «Wir sind nicht sehr anfällig für Nostalgie.», gibt David kürzlich in einem Interview mit Dazed zur Kenntnis. «Hätte uns das Label nicht darauf aufmerksam gemacht, wäre das Jubiläum der Platte wohl an uns vorbei gegangen. Und dennoch, wenn wir heute zurückblicken, können wir doch sagen: Das ist immer noch cool, immer noch aufregend.». Recht hat er.

2ManyMixtapes

Auf Apple Music finden sich zehn Mixtapes der Dewaele-Brüder. Allesamt ideales Futter für hippe WG-Partys, den Catwalk und alles dazwischen.

Gefällt dir der Artikel?