Pubblicato il 28. febbraio 2023

Über das Phänomen Måneskin

Rock ist nun eigentlich nichts neues. Dass jedes Jahr jemand den Eurovision Song Contest gewinnt, auch nicht. Nun waren die vier Römer*innen mit den Strapsen, Heels und schwarz-schimmernden Augen für einen Grammy in der Kategorie «Best New Artist» nominiert, im April füllen sie das Zürcher Hallenstadion. Die Welt liegt ihnen zu Füssen. Aber warum eigentlich?

Journalist
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ABBA gewann 1974. Douze points für Udo Jürgens 1964. Bis 1988 kannte man Celine Dion nur in Kanada. Ja, der Eurovision Song Contest hat Strahlkraft. Nicht oft, aber manchmal. Als 2021 vier Zwanzigjährige aus Rom mit dem Song «Zitti e buoni» gewinnen, klingt das erstmal richtig: Die vertreten das Land Italien, sind übersetzt leise und brav. Aber was man sieht, sind schöne in weinrotes Leder gekleidete Geschöpfe. Der Sänger trägt eine hochgeschnittene, die Brust freilegende Latzhose mit Schlag, unter der Plateau-Heels herausragen. Er bewegt sich lasziv, die schwarz-schimmernden Augen blicken arrogant-gelangweilt in die Kamera, während er brüllt: «Siamo fuori di testa, ma diversi da loro» – wir sind verrückt, aber auf andere Art als sie. Die Gitarrenriffs brettern in Lordi-Manier. Rock für eine neue Generation. Musik für TikToker also, deren Leben nichts als exakt nachchoreografiert ist? Nochmal: Sie sind verrückt, aber anders. Macht mal ne Dance Challenge zu Rock. Eben. Stichwort: anders.

Måneskin beim ECS mit «Zitti e buoni».

Sex, Thugs & Rock-'n'-Roll

Inzwischen wurde im Januar diesen Jahres das dritte Studioalbum namens «Rush!» veröffentlicht, Måneskin waren für einen Grammy nominiert und haben bei den MTV Video Music Awards den Preis in der Kategorie «Best Alternative Video» abgeräumt. Da ist eine Band, die zwar poppig angehauchten, aber doch eher harten Rock macht, kommerziell erfolgreich. Und dennoch: «Eine junge Rock-Szene gibt es nicht wirklich, was wir sehr schade finden. Aber seit wir bekannter geworden sind, schreiben uns viele Menschen, dass sie unseretwegen angefangen haben Rock zu hören oder Gitarre zu spielen oder so. Das ist unglaublich schön» so Bassistin Victoria De Angelis in einem Interview mit dem Rolling Stone. Seit sie 13 ist, probt sie mit Frontmann Damiano David, Schlagzeuger Ethan Torchio und Gitarrist Thomas Raggi. Ohne dass es je ein Publikum gab.

Sich durchsetzen. Gegen alle Widerstände. Exakt das scheint das Leitmotiv der Italiener:innen zu sein. Weit weg vom Dolce Vita unter der Sonne des Südens. In «Nel nome del padre» erweitert Damiano das Spektrum und rappt wütend über die kreischenden Gitarren – mit Referenz auf die heilige Dreifaltigkeit. «In nome del padre, del figlio, spirito santo» schreit er im Refrain: Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Das sollte man so vielleicht als Mann nicht sagen, wenn man aus der Stadt kommt, in der der Papst wohnt und selbst geschminkte Augen hat und nichts als einen Leder-Harness trägt. Aber hey, wir sagten es bereits: Måneskin sind anders. «Gerade was Fragen von Aussehen und Sexualität betrifft, ist Italien auch ein bisschen rückständiger als andere Länder. Das ist bestimmt auch von der Kirche beeinflusst. Die sind da natürlich sehr konservativ eingestellt und das hat viele Menschen geprägt, die mit diesem Bild aufgewachsen sind», erklärt De Angelis – optisch eigentlich auch eher Engel im Teufelsgewande.

Måneskin live mit «Nel nome del padre».

Der Kajal verwischt wie die Geschlechtergrenzen

So liest man aus den meisten Songs den unbedingten Willen heraus, gegen alle Widerstände man selbst zu sein – auch oder gerade weil man anders ist. Das passt zum provokativen Sex-Appeal, mit der die Band bei jeder Gelegenheit ihre Unabhängigkeit von jeglichen Geschlechterkonventionen inszeniert. Vielleicht erklärt sich auch eben hier das Genre: Rockmusik war schon immer das Versprechen auf grenzenlose Freiheit. «Das ist alles Teil der positiven Message, die wir senden wollen. Wir möchten unseren Hörer*innen das Gefühl geben, dass sie frei sind. Dass sie sich anziehen können, wie sie wollen und lieben können, wen sie wollen», bestätigt die Bassistin. So ist es also eine schillernde Vereinigung des aktuellen Zeitgeistes: zwischen TikTok-Wahn und allgegenwärtiger Politisierung, aber mit der Musik und den Schlaghosen vorheriger Generationen.

«Die Tatsache, dass die Jungs sich schminken, sagt doch überhaupt nichts darüber aus, zu welchem Geschlecht sie sich hingezogen fühlen. Das sollte von Vornherein nicht miteinander assoziiert werden», fährt Victoria De Angelis fort. Und doch kommt man nicht umhin, dem Ganzen eine gewisse Strategie zu unterstellen: Das Debüt-Album von Måneskin «Il ballo della vita» wurde bereits drei Jahre vor der ESC-Teilnahme mit Platin ausgezeichnet, die Band war also nicht ganz unbekannt. Der ESC wiederum, den jährlich fast 20 Millionen Menschen verfolgen, ist eine Ikone der queeren Szene. Sich dort nackt und möglichst geschlechter-unspezifisch zu geben, ruft Vorwürfe des Queerbaitings aufs von Gucci durchkomonierte Menü. Denn: zwei von vier Mitgliedern wagen es, heterosexuell zu sein.

Sex(uality) sells, richtig?

Die Ragazzi von Måneskin stellten sich den Anschuldigungen kürzlich in einem Interview mit The Guardian: «Es ist dumm von queeren Menschen, die diese Stereotypen bekämpfen sollten, noch mehr Hass zu erzeugen», so Bassistin Victoria de Angelis. Sie und Schlagzeuger Ethan Torchio gehören der LGBTQ+-Gemeinschaft an. Immerhin! De Angelis fügt hinzu: «Wir glauben nicht, dass es bei echter Rockmusik um diese Stereotypen von Sex und Drogen und Rock’n’Roll-Lifestyle geht. Es geht um Ausdruck und kreative Freiheit.» Da haben wirs wieder. Sie sind einfach anders, um Himmels Willen. Und das ist es, wonach der junge GenZ-Mensch ebenso dürstet wie die Vogue.

Am 26. April 2023 spielen Måneskin im Hallenstadion in Zürich.
Infos und Tickets gibts HIER.

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