Pubblicato il 07. ottobre 2022

Hitzone: «Oft gefragt» von AnnenMayKantereit

Am 25. März 2023 werden AnnenMayKantereit im Zürcher Hallenstadion spielen. Wir schauen in unserer Rubrik Hitzone auf einen frühen Song der Band, der wie kein anderer deutlich machte, dass man es bei Henning May mit einem Ausnahmesänger und -Texter zu tun hat. «Oft gefragt» ist eine liebevolle Ballade über Hennings alleinerziehenden Vater.

Journalist
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Hamburg. Reeperbahnfestival 2014. Dort erlebte ich zum ersten Mal live, warum schon damals viele Kolleg:innen raunten, DIESE Band mit dem komischen Namen AnnenMayKantereit müsse man sich merken. Ich war damals gerade Chefredakteur des Intro Magazins geworden und wir richteten in dem Hostel Superbude in Hamburg eine intime Newcomer-Show aus. Talks und kurze Live-Sets, in einem Raum, in den gut 40 Menschen passten. Schon ab dem ersten Ton, der aus Henning Mays Kehle drang, war Ruhe im Raum – und die Leute fanden erst wieder ihre eigene Stimme, als sie nach dem ersten Song laut jubelten. Unser Magazin sollte später, als 2016 endlich das Debütalbum «Alles Nix Konkretes» erschien das erste sein, dass die damals noch vier jungen Herren auf das Cover nahm. Zu dem Zeitpunkt hatten schon alle eine Meinung von dieser Band – ihre Konzerte waren in der Regel ausverkauft und die Presse arbeitete sich entweder jubelnd oder lästernd an ihnen ab.

Bei der oben beschriebenen Show 2014 ahnte man bereits, dass es so weitergehen wird. AnnenMayKantereit waren da gerade mal um die 20, spielten aber schon seit 2011 in der Kölner Innenstadt und in diversen Proberäumen zusammen. Henning May schulte sein sehr eigenes Organ mit Cover-Version bekannter Songs und ließ schon damals den ein oder anderen im Vorbeigehen aufhorchen. Ab der ersten EP erkannte man zumindest Henning schon hin und wieder auf der Straße. Was auch an diversen YouTube-Clips lag – wie diesem zum Beispiel, die nach und nach die Runde machten:

Normalerweise schreiben wir in dieser Rubrik immer viel über Charts-Platzierungen und Airplays und Streaming-Zahlen, weil das eben oft die messbarsten Koordinaten für den Erfolg eines Songs, bzw. eines Hits sind. Bei AnnenMayKantereit funktioniert das ein wenig anders: Ihre Lieder werden durch Live-Shows und YouTube-Live-Sessions zu Hits – was sich dann auch, aber eben nicht nur, an Streaming-Zahlen messen lässt. Für «Oft gefragt» in der Hitzone habe ich mich entschieden, weil das der Song war, der den meisten bei diesen frühen Shows eine Gänsehaut über den Körper jagte – und über den am meisten gesprochen wurde. Und, auch das sollte ich zugeben: Der in Streaming-Zahlen gemessen erfolgreichste Song «Pocahontas» ist meiner Meinung nach ein wenig blöde und einer ihrer schwächsten.

In «Oft gefragt» geht es um die besondere Verbindung zwischen Henning May und seinem Vater, der den Sohn allein großgezogen hat. Eine Verbindung voller Liebe, aber auch geprägt von Pubertät und Streit, vom Fehlen einer Mutterfigur und den emotionalen Achterbahnfahrten, die man als junger Mann durchlebt. Als ich das erste Mal diesen Refrain gehört habe, bekam ich ihn eine ganze Weile nicht mehr aus dem Kopf. Wie Henning May dabei die Stimme laut werden lässt, und mit diesem heiseren Raspeln diese zärtliche Zeilen nicht brüllt, aber zumindest ruft: «Zu Hause bist immer nur du!» Das war für mich der magische AnnenMayKantereit-Effekt in a nutshell. Maximale Verletzlichkeit – oft in maximaler Lautstärke. Auch die Art und Weise, wie er seinem Vater Verständnis entgegenbringt, in dem er sich lyrisch in dessen Rolle einfühlt, ist große Songwriterkunst in simplen Worten: «Du warst allein zu Haus', hast mich vermisst / Und dich gefragt, was du noch für mich bist / Und dich gefragt, was du noch für mich bist.» Man muss nur bei einem ihrer Konzerte in die Gesichter anderer Fans schauen, um zu merken, wie intensiv dieser Song die Menschen berührt.

Im Interview mit dem Magazin, das ich damals leitete (das man hier noch lesen kann), erzählte Henning May, wie es sich anfühlt, «Oft gefragt» live zu singen und wie er mit der maximalen Verletzlichkeit umgeht, die man da auf der Bühne zeigt, wenn man so intim über eine so enge familiäre Bindung singt: «Man kann es nicht verhindern, dass man angreifbar ist, wenn man so was singt. Natürlich bin ich angreifbarer als meine drei Bandkollegen, aber letztlich bin ich weniger angreifbar, weil wir zu viert sind.» Ihm sei es unbegreiflich, «wie Leute allein und nicht in einer Band Musik machen können, denn würde ich allein auf einer Bühne stehend ein Lied wie ‚Oft gefragt‘ singen müssen, würde ich wahnsinnig werden. Du hast niemanden, der das ironisieren kann. Ich kann aber rüber gucken zu Malte und weiß, der sieht auch diesen Typen in der ersten Reihe, der die Bierflasche schwenkt, und wir können dann beide mit dem Kopf schütteln, und das beruhigt, weil es etwas Teilendes hat.»

Dass er den Song inzwischen seit Jahren immer wieder spielen muss, habe übrigens keine Auswirkung auf die Emotionalität des Liedes. «Ich glaube, ich kriege es immer noch gut hin ‚Oft gefragt‘ zu spielen und zu fühlen, weil ich weiterhin der Meinung bin, dass mein Vater nicht oft genug gehört hat, wie dankbar ich bin. Und solange ich das Gefühl habe, dass ihm das guttut und er sich darüber freut, so lange habe ich Bock, das Lied zu spielen. Weil es ein wütendes und kraftvolles Lied ist, das mich beim beim Spielen auch jedes Mal ein klein wenig befreit, auch von der anderen Stimmung. Dass es nämlich auch blöd sein kann, wenn man einen alleinerziehenden Vater hat. Durch das Spielen und Abfeiern wird es immer noch ein Stück besser.» Darum habe er auch nach hunderten Malen spielen immer noch regelmäßig emotionale Momente. «Als ich den Song nach der Aufnahme im Studio zum ersten Mal gehört habe, musste ich sogar heulen, weil das für mich einfach zu heftig war. » Jetzt kann ich es ja sagen: Mir ging es mit dem ersten Hören damals ähnlich. Und mal ehrlich, welcher Hit schafft das schon? Da ist es doch völlig egal, wenn er keine Single-Veröffentlichung hatte und deshalb keine Charts-Platzierung.

AnnenMayKantereit werden mit ihrem kommenden Tour auch in der Schweiz Station machen. Am 25. März spielen sie im Hallenstadion in Zürich. Hier gibt's alle Infos zu Tickets und Co.

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