Die Serie «The Idol» wird ein chauvinistischer Unfall

Bei den Filmfestspielen in Cannes feierten die ersten zwei Folgen der neuen HBO-Serie «The Idol» Premiere. Die Reaktionen sind verheerend. Popstar The Weeknd, Produzent und Hauptdarsteller, und «Euphoria»-Macher Sam Levinson kickten Showrunnerin Amy Seimetz vorzeitig raus – und liessen anscheinend ihren Männerfantasien freien Lauf.

Journalist

Es klang wie ein fiebriger Traum: Eine Serie über eine Popsängerin (Lily-Rose Depp als Jocelyn), die um ihre künstlerische Freiheit kämpft. Ein abgründiger Guru, gespielt von Superstar The Weeknd. In den Nebenrollen grossen Namen wie Regisseur und Schauspieler Eli Roth und Sänger Troye Sivan. Jennie Kim von Blackpink in ihrer ersten Rolle. Sam Levinson, das Mastermind hinter «Euphoria» am Ruder – gemeinsam mit Schauspielerin, Regisseurin, Drehbuchautorin und Produzentin Amy Seimetz, die massgeblich an den ersten zwei Staffeln der Serie «The Girlfriend Experience» beteiligt war und für die «female perspective» bei «The Idol» sorgen sollte.

Auch der erste Trailer weckte (zum Beispiel bei uns) grosse Erwartungen. Aber dann wurde es nicht aufregender, sondern zunehmend unangenehmer. Den Anfang machte eine grosse Reportage im amerikanischen «Rolling Stone», in der zahlreiche am Dreh beteiligte Menschen anonym abkotzten. So erfuhr man, dass The Weeknd und Sam Levinson Amy Seimetz aus dem Team gekickt hatten – mutmasslich, weil The Weeknd ihren feministischen Spin nicht wollte. Auch die mit Seimetz geschrieben Drehbücher wurden verändert – von Levinson, The Weeknd und Reza Fahim – The Weeknds Kreativ-Buddy, der zuvor eher als Entrepreneur und Produzent aktiv war und vor «The Idol» nicht einen Drehbuch-Credit hatte. The Weeknd reagierte dezent angepisst auf die Story und twitterte diese Szene:

In einer Reportage des «W Magazine», die vor einer Woche erschien, wurde dann gross angekündigt, Depp und The Weeknd würden das machen, was die Amerikaner «setting the record straigth» nennen. Der mit glamourösen High-Fashion-Shots garnierte Story bot dann jedoch kaum Reaktionen auf die Anschuldigungen. Stattdessen erzählte Lily-Rose Depp, dass sie sich für das Vorsprechen ein Kleid ihrer Mutter Vanessa Paradis geborgt hatte und The Weeknd machte Schlagzeilen, weil er laut darüber nachdenkt, nicht mehr The Weeknd zu sein und vielleicht bald unter einem anderen Namen andere Dinge zu machen. Aber man erfuhr, dass grosse Teile der Serie neu gedreht wurden – was zu einem kleineren Budget passieren musste. Also drehte man viele Szenen in der Privat-Villa von The Weeknd. Auf die Kontroversen angesprochen, gab er sich kämpferisch: «Es war eine Herausforderung, ‘The Idol’ noch einmal neu anzugehen, und um ehrlich zu sein, habe ich meine Gesundheit und mein Zuhause geopfert, um es zu schaffen. Sagen wir also, die Serie kommt raus und alle finden sie schrecklich, dann weiss immer noch, dass ich mein absolut Bestes gegeben habe.» Dass The Weeknd überhaupt mal ein Interview gibt, ist allerdings auch schon eine Sensation – und zeigt vielleicht, dass er den Druck spürt.

Sam Levinson erzählt in der Story den Ursprung von «The Idol»: ein Pitch von The Weeknd, Auch dieses Statement machte Kritiker:innen eher nervös: «Er sagte etwas, an das ich mich immer erinnern werde: 'Wenn ich eine Sekte gründen wollte, könnte ich das.’ Er meinte damit, dass seine Fans so loyal und treu seien, dass sie ihm überall hin folgen würden. Das war der Keim für die Idee zu ‘The Idol’: was passiert, wenn ein Popstar sich in den falschen Mann verliebt und niemand etwas sagt.»

Was passiert, wenn man daraus unter Männern eine Serie macht und die Frau, die etwas sagt, gefeuert wird, scheinen nun die ersten zwei Folgen zu zeigen, die am Montag ausserhalb des Wettbewerbs bei den Filmfestspielen in Cannes gezeigt wurden. Obwohl es im Kino stehenden Applaus gab, waren die renommierten Kritiker:innen von Medien wie «Vanity Fair» oder «New York Times» eher entsetzt bis zynisch amüsiert. Hier eine kleine Auswahl:

Selbst für eine HBO-Serie sei der Nacktheits- und Porno-Faktor erstaunlich – vor allem Depp zeige mehr Haut als bekleidete Stellen. Die Kamera sei vom «Male Gaze» geführt. Ausserdem wirken viele Szenen – zum Beispiel eine Masturbations-Sequenz, bei der Jocelyne sich selbst stranguliert – wie glossy Torture Porn. Die «Vanity Fair» kommt dabei zu einem Urteil, das gerade viel Zustimmung findet: «Das Problem ist, dass Levinsons Weltanschauung korrupt zu sein scheint. Es sollte keine Erniedrigung und kein Leiden nötig sein, um Jocelyn stärker zu machen. Das Publikum von ‘Euphoria’ wird nicht allzu überrascht sein von der schändlichen Art, wie er Depps Figur behandelt, denn sowohl sie als auch die Serie scheinen unter der Fuchtel von The Weeknd gefangen zu sein.»

«The Idol» startet im deutschsprachigen Raum am 5. Juni und wird in der Schweiz bei Sky zu sehen sein.

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