Als Green Day reif für die Klapse waren
Do you have the time to listen to us why «Basket Case» jener Song war, den Green Day auf den Weg zur Spitze des Rocks befördert hat?
Als Billie Joe Armstrongs Drogen-High abklang, lag der peinlichste Song vor ihm, den er je geschrieben hatte. Im Rausch von Speed (oder Crystal Meth, so genau scheint sich der Green-Day-Frontmann in Interviews nicht mehr daran erinnern zu können) brachte er den ersten Textentwurf von «Basket Case» zu Papier. Das daraus resultierende Liebeslied wurde zwar als Demo aufgezeichnet, landete jedoch im bin basket – und wurde erst kürzlich für die «30th Anniversary Deluxe Edition» vom Album «Dookie» wieder ausgegraben.
Im zweiten Anlauf schüttete Armstrong nicht sein Herz aus, sondern lüftete den Kopf durch. Und thematisierte seine Paranoia und Panikattacken, die ihn bereits als Kind quälten. Weder Psychologin noch Sex Worker helfen dem Sänger in den Lyrics weiter, also klagt er seine Gefühle der Beklemmung uns, den Zuhörenden.
Rockmusik als explizite Therapiecouch war spätestens seit der Post-Punk-Bewegung kein Tabu mehr. Doch mit Bands wie Nirvana und Radiohead erreichte in den frühen 1990er Jahren der von Stromgitarren begleitete Seelenstrip als Gesamtkunstwerk endgültig den Mainstream. Bis zum Release von «Dookie» und dem dazugehörenden Song «Basket Case» im Jahr 1994 war Green Day eine aufstrebende Punkband aus Kalifornien. Für ihren dritten Longplayer unterzeichnete das Trio bei einem Major Label – und landete zunächst zwischen den Stühlen. Der Underground maulte «Ausverkauf!», doch weder die erste Single «Longview» noch das Album selbst zündeten zunächst in höchste Chartsregionen.
Erst, als das Musikvideo von «Basket Case» (gedreht in einer tatsächlichen Psychiatrischen Klinik) zum Dauerbrenner auf MTV wurde und die Band unter anderem einen legendären Gig im Schlamm vom Woodstock 94 Festival spielte, standen auf den Kalendern der Welt plötzlich alle Tage auf Grün.
Mit «Basket Case» gelang Billie Joe Armstrong ein erstaunliches Kunststück, das bis dahin vielleicht noch niemand so gut aufgeführt hatte: Er sang über seine mental issues – doch klang so, als hätte er doch irgendwie Spass dabei? War das Thema bislang insbesondere im Grunge an Wut und Verzweiflung gekettet, befreite es Green Day mit einer (gut)launigen Pop-Punk-Performance. (Bis es später wieder vom Nu Metal an Wut und Verzweiflung gekettet wurde. Oh well.) Trug die Band damit einen massgeblichen Anteil bei, die Herausforderungen geistiger Gesundheit für ein grosses – insbesondere jugendliches – Musik-Publikum zu enttabuisieren? Und zehren noch heute Künstlerinnen und Künstler wie Billie Eilish oder Yungblud davon? Keine Ahnung, es hätte zu lange gedauert, der Psychologischen Fakultät am Telefon für eine Stellungnahme unsere Theorie zu erklären.
Fest steht, «Basket Case» ist bis heute einer der grössten Hits der Band – und gealtert wie ein guter Wein. Wenn dieser Wein wie Coca-Cola mit Himbeersirup schmeckt und beim Pogen durch die Luft spritzt.
Green Day spielen am Greenfield Festival, das vom 13. bis 15. Juni in Interlaken stattfindet. Weitere Infos und Tickets gibt es hier.