Aloha, Basel! Die Geburtsstunde der Schweizer Rockmusik
Nicht die Halbstarken aus dem Zürcher Niederdorf oder die Blumenkinder aus Bern legten den Grundstein für die Schweizer E-Gitarren-Revolution. Sondern vier Chemielaboranten im Hawaii-Hemd aus Basel.
Wo und wann und vor allem: mit welchem Song begann in der Schweiz die Geschichte der Rockmusik? Um an den Anfang zu gehen, müssen wir vorbei an Bands wie Rumpelstilz und Krokodil. Auch Les Sauterelles und The Shiver wurden zwar später zum nationalen Inbegriff des Genres, standen aber nicht an deren Wiege. Um ganz, ganz an den Anfang der Schweizer Rockmusik zu gehen, müssen wir an einen Ort, in dessen Sprache es gar keinen Begriff für «Musik» gibt: Hawaii.
Tikimania bis nach Basel
Hawaiianische Folklore erlangte bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts internationale Popularität. Die Heimkehr amerikanischer Soldaten aus der Pazifikregion löste nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch einen fulminanten Boom der Tiki- und Hula-Kultur aus. Auch Europa flüchtete sich in der Nachkriegstristesse gedanklich an exotische Strände. Den Soundtrack dazu lieferten unter anderem auch The Kilima Hawaiians, ein Ukulele und Pedal-Steel-Guitar schrummendes Quartett aus den Niederlanden. Für deren Hits drehte auch in Basel ein junger Mann sein Radio lauter: Walter Roost, 1945 ein 18-jähriger Angestellter bei der Chemiefirma Geigy AG.
Fasziniert vom gemütlichen und doch nach fernen Abenteuer klingenden Sound, gründete Roost mit drei Kollegen eine eigene Band, die Hula Hawaiians. Durch erfolgreiche Radio- und Liveauftritte machten sich die vier Herren schnell einen Namen und schon bald blühten in der Stadt ähnliche Gruppierungen auf: die Tahiti Hawaiians und die Okinawa Hawaiians. Mit den Honolulu Girls entstand gar die allererste Frauenband der Schweiz.
Die Hula Super-Fusion
Warum ausgerechnet Basilea zum neuen Waikiki wurde? Eine Befragung um den Zürcher Letzigrund würde wahrscheinlich ergeben, dass sich jeder aus der Stadt ohnehin so weit weg wie möglich wünscht. Vielleicht fällt es den Menschen am Ufer des Rheins aber auch einfach leichter, sich in ferne Seefahrtsträume einzubetten. 1954 schien es jedoch, als müssten die Hula Hawaiians ihre Blumenketten in den Kompost legen. Gleich drei Gründungsmitglieder stiegen aus privaten und beruflichen Gründen aus der Combo. Auch die Okinawa Hawaiians hatten zur gleichen Zeit den Abgang eines Gitarristen zu beklagen. Also schlug Walter Roost eine Fusion der beiden Formationen vor. Die Schweiz hatte ihre erste Hula-Supergroup.
Die drei wesentlich jüngeren Mitglieder der Okinawa Hawaiians brachten nicht nur frisches Blut, sondern auch ein breiteres Sound-Spektrum in die neuen Hula Hawaiians. Dies mündete 1957 in den Aufnahmen eines Instrumentals, in dem musikalisch auch das Echo von Bill Haley mitklingt. Der Amerikaner und seine Band The Comets liessen einige Jahre zuvor mit Songs wie «Rock Around the Clock» und «Shake, Rattle and Roll» aufhorchen und bescherten dem frisch geborenen Rock'n'Roll-Genre dessen erste Charts-Hits.
Mit «The Chimpanzee Rock» veröffentlichten die Hula Hawaiians als erste Band der Schweiz einen Song, der diese aufregenden Strömungen wiedergab – wenn auch in weitaus relaxterem Gewand. Als der Rock in die helvetischen Stuben rollte, trug er weder Lederjacke noch Jeanskutte, sondern Hawaii-Hemd und Blumenkette.
Honolulu Underground bis heute
In den folgenden zwei Jahrzehnten zog die Sonne langsam gen Horizont für die Hula Hawaiians. Beat-, dann Rock-, dann Punk-Bands gaben nun den Ton an. An der Basler Sperrstrasse 97 schuf die Band ein bleibendes Vermächtnis und eröffnete im Jahr 1979 den Hula Club. Dort finden bis heute jeden Dienstag die «Hawaiian Memories»-Konzertabende statt. Mit einer Strandtapete und Wänden voller Memorabilia als Kulisse greifen ehemalige Mitglieder der Rheinhafen-Hawaiianer und Gast-Acts noch immer gekonnt in die Saiten und lassen uns glauben, im Kellerlokal den Südseesand zwischen den Zehen zu spüren.