Alle hassen Country
Wir entschuldigen uns für den reisserischen Titel, aber die Superlativen sind für einmal angebracht: Eine kürzlich publizierte Reddit-Umfrage erkundigte sich bei den User:innen nach derem meistgehassten Musik-Genre. 5000 Personen antworteten. Die Erkenntnis: Fast niemand mag Country.
Gleich vorweg: Ein Reddit-Post erfüllt natürlich keinerlei Parameter für eine repräsentative Umfrage. Weiterhin darf deren Ergebnis durchaus in Frage gestellt werden. Herrscht auf der Plattform doch ein eher elitäres Mindset, was mutmasslich nicht das beste Ökosystem für einen unvoreingenommenen Diskurs darstellt. Trotz alldem ist es aber bezeichnend, wie viele Stimmen sich gegen Country-Musik ausgesprochen haben, zumal Genres wie Mumblerap oder Dubstep gefühlt auf weit mehr Unverständnis und Abneigung stossen.
Viele User:innen wollen das Genre aber nicht per se als Trash abtun, sondern äussern sich mitunter auch differenziert. Wobei sich die meisten dieser Aussagen auf «Früher war alles besser.» reduzieren lassen. Für gewöhnlich ist das ein go-to-Statement von irgendwelchen Ewiggestrigen, deren musikalische Neugier auf Augenhöhe mit Leonardo DiCaprios Begeisterung für Frauen über 25 ist. In diesem Fall lässt sich der stilistische Umbruch und der qualitative Wandel des Genres aber relativ genau zurückverfolgen und dabei zeigt sich: Früher war tatsächlich einiges besser.
9/11 und seine Folgen
Am 11. September 2001 steuerten Terroristen zwei Flugzeuge in die beiden Türme des World Trade Centers in New York. Über 2700 Menschen starben und die Welt veränderte sich für immer. Die Vereinigten Staaten begegneten der Tragödie mit einem brennenden Patriotismus, der sich kurz danach die komplette Popkultur einverleibte. Der (oftmals fehlgeleitete) Nationalstolz war an sich nicht neu für Amerika, zuvor war dieser aber eher in konservativen Kreisen daheim. Mit den Anschlägen erreichte er den Mainstream und plötzlich liess sich damit einen Haufen Geld verdienen.
Country, dieses ur-amerikanische Musik-Genre, ist bereits seit den 1920er-Jahren eine der wichtigsten Ausdrucksformen für Liebeserklärungen an das Land und damit der perfekte Nährboden für die Propaganda. Das Songwriting musste sich dafür aber verändern. Country wurde poppiger, dicker produziert und mit einem politischen Narrativ versehen. Wo früher noch über die Schönheit der Natur, nicht erwiderte Liebe oder das simple Leben in der Prärie gesungen wurde, fanden sich plötzlich Lyrics, die einer Kriegserklärung gleichkamen. So singt Toby Keith in dem spektakulär dumm genannten «Courtesy of the Red, White and Blue (The Angry American)» zum Beispiel die folgenden Zeilen:
Justice will be served and the battle will rage
This big dog will fight when you rattle his cage
And you’ll be sorry that you messed with
The US of A
Cause we’ll put a boot in your ass
It’s the American way
Der Song erreichte 2002 die Spitzenposition in den Country-Billboard-Charts. Keith ist heute einer der erfolgreichsten Country-Sänger des Landes und längst nicht der einzige Interpret, der sich einer aggressiven Rhetorik bedient. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Country in den vergangenen Jahren nicht nur konservativer sondern auch sexistischer wurde.
Und heute so?
Die Welt ist im Wandel. Das wusste schon Galadriel in «Der Herr der Ringe» und Musik ist es ebenso. Pop klingt heute auch nicht mehr wie 2005. Es wäre also zu kurz gegriffen, wenn man den Status Quo des Country einzig 9/11 zuschreiben würde. Die Anschläge waren aber definitiv ein Brandbeschleuniger für die Veränderungen in dem Genre. Ob zum Positiven oder Negativen muss jeder für sich entscheiden.
Der aktuelle Nummer 1 der Country-Charts heisst «Wait in the Truck» kommt von Hardy feat. Lainey Wilson und erzählt die Story einer misshandelten Frau mit anschliessender Selbstjustiz. Mörderballaden dieser Art existieren schon lange, im zuvor erwähnten Kontext lässt der Song und die Platzierung aber einen fahlen Beigeschmack zurück.
Alte und neue Gitarrenhelden
Wer der aktuellen Country-Szene nichts abgewinnen kann, findet Zuflucht bei den Helden der Vergangenheit. Zur allgemeinen Überraschung ist Willie Nelson immer noch am Leben und bringt mit zuverlässiger Regelmässigkeit neue Alben heraus. Dasselbe gilt für Lucinda Williams und Neil Young. Dazu zeichnete sich in den vergangenen Jahren auch eine Rückbesinnung zum traditionellen Country ab. Jüngere Künstler wie Cody Jinks gehen bewusst auf Abstand zu ihren Branchen-Kollegen und tun dies durchaus erfolgreich. Geht die Entwicklung so weiter, können sich die Reddit-User in ein paar Jahren wieder auf den richtigen Feind konzentrieren: Crunkcore, ugh.