Publié le 03. avril 2024

Okean Elzy kämpfen auf der Bühne für die Ukraine

Swjatoslaw «Slawa» Wakartschuk ist ein seiner Heimat ein politischer Popstar – dabei wollte er mit seiner Band eigentlich vor allem Liebeslieder singen. Seit Mitte der 90er machen Okean Elzy Musik und füllen in ihrer Heimat Stadien. Nun singen sie zum ersten Mal auf Englisch. Wir trafen Slawa in Berlin zu einem Gespräch über Musik und Krieg.

Journalist
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Als Musikjournalist in Ländern wie der Schweiz oder Deutschland passiert es nicht oft, dass man mit Menschen spricht, die sich nicht im metaphorischen, sondern im wörtlichen Sinne im Krieg befinden. Man kann sich also kaum dagegen wehren, dass man ein wenig unsicher zu einem Interview mit Swjatoslaw «Slawa» Wakartschuk geht – dem Frontmann der ukrainischen, 1994 in Lwiw gegründeten Rockband Okean Elzy.

Zwischen Frontbesuchen und Studiotagen

Beim Wort «Frontmann» geht’s ja schon los – wenn man mit Slawa und seinem Team kommuniziert, kann es nämlich passieren, dass man eine Mail bekommt, in der steht: «Geht auch Donnerstag? Montag und Dienstag ist Slawa an der Front.» Da bekommt dieses so oft benutzte Wort auf einmal einen ganz anderen Klang.

Dass Slawa an diesem Berliner Winterabend überhaupt in Ruhe Interviews geben darf, ist dabei gar nicht so selbstverständlich. In der Ukraine herrscht Wehrpflicht, seitdem Russland im Februar 2022 das Nachbarland auf brutale Weise überfiel.

Dass Slawa mit Okean Elzy auf der ganzen Welt «Help For Ukraine»-Konzerte spielen, 2022 beim Coldplay-Gig in Brüssel mit Chris Martin singen, in den letzten Monaten ein englischsprachiges Album aufnehmen und jetzt drüber reden kann, liegt vor allem daran, dass es er all das quasi mit der offiziellen Zustimmung der ukrainischen Regierung tut.

Rockstar und Leutnant der Armee

«Es ist paradox», sagt Slawa über die prägenden Erfahrungen der letzten Jahre. «Als Musiker glaubte ich immer an die Macht der Liebe. Aber wenn der Krieg im eigenen Land wütet und die Menschen bedroht, die man liebt, muss man zum Kämpfer werden.» Als der russische Angriff am 24. Februar 2022 begann, sammelte Slava mit seinen Freunden und seinem jüngeren Bruder zunächst die Frauen und Kinder aus seinem Umfeld und seinem Team ein und brachte sie in den etwas sichereren Westen der Ukraine.

Dann beschloss er, das zu tun, was den Ukrainer:innen schon immer wichtig war: Er spielte seine Lieder für sie – an Orten, an denen es für lange Zeit keine normalen Konzerte mehr geben würde. Später gingen Slava und sein Bruder zum Militär. «Damit sind wir wieder bei dem Paradoxon, von dem ich spreche: Ich bin in meinem Land gleichzeitig Rockstar und Leutnant der Armee.»

Wie Musik die Identität der Ukraine bewahrt | ZUM ARTIKEL

Die nächsten Tage reiste Slawa durch das Land entlang der Frontlinie. Seinen ersten Auftritt hatte er in Saporischschja, wo er vor Sanitäter:innen und verwundeten Soldaten a cappella sang. Es gibt Bilder, auf denen Slawa mit Helm in einem Schützengraben steht und singt. Einige Auftritte mussten abgebrochen werden, weil in der Nähe wieder gekämpft wurde. «Für mich fühlt sich der 24. Februar heute wie ein einziger, sehr langer Tag an», sagt er.

«Ich habe es immer gehasst, ‚politischer Künstler‘ genannt zu werden.»

Die Musik, die Slawa für Okean Elzy schriebt, wollte nie explizit politisch sein – wurde es dann aber doch. «Ich habe es immer gehasst, ‚politischer Künstler‘ genannt zu werden», gesteht Slawa. «Aber wir hatten in der Ukraine diese zwei großen Revolutionen – die Orange Revolution 2004 und die Maidan-Revolution 2014. Die Menschen haben damals auf den Barrikaden und auf der Straße ständig unsere Songs gesungen. Lieder, die nie als politisches Statement gedacht waren.»

Er habe in seinem Leben fast 200 Lieder geschrieben und davon seien höchstens drei oder vier sozialkritisch – der Rest besteht aus Liebesliedern. «Aber die Ukrainer:innen haben zum Beispiel den Song ‚Без бою‘ (Bez boyu) genommen und sich die Zeilen angeeignet. Eigentlich geht es um einen Jungen, der ein Mädchen liebt und für sie kämpfen will, aber der Titel heißt übersetzt ‚Ich werde nicht aufgeben, ohne zu kämpfen‘ und das passte natürlich gut als Schlachtruf.»

Der erste englischsprachige Song der Band: «Voices Are Rising»

Auch die erste englischsprachige Okean-Elzy-Single «Voices Are Rising» wird dieses Schicksal ereilen. Man kann den Text zwar als persönliche Erbauungshymne oder als Ruf nach Zusammenhalt lesen – aber sie funktioniert ebenso gut als Mission Statement einer Band, die mit ihrer Kunst dafür kämpfen will, dass die Unterstützung für die Ukraine nicht nachlässt.

«Ich bin ganz ehrlich: Für uns alle ist das Neuland», gibt Slawa zu. «Wir haben zwar schon unser gar nicht so kleines Publikum – aber mit diesen Songs wollen wir vor allem darüber hinaus wirken. Ich wünsche mir, dass viele Menschen unsere Musik hören und bin allen dankbar, die uns dabei helfen können.»

Trotz allem: der Spirit ist ungebrochen

Slawa arbeitete deshalb in den letzten Monaten eng mit verschiedenen Songwriterin und Produzenten zusammen – für die wuchtige Produktion von «Voices Are Rising» zeichnet sich zum Beispiel der Grammy-nominierte Gregg Wattenberg verantwortlich, der schon mit John Legend, Daughtry, Train und den Goo Goo Dolls arbeitete. Für den Release der Single und des geplanten Albums unterzeichneten Okean Elzy einen internationalen Deal mit der Warner Music Group.

Damit ist man bei einem weiteren Paradox, das ihn beschäftig: «Irgendwie fühlen wir uns wie damals, Mitte der Neunziger, als wir Okan Elzy in Lwiw gründeten und einfach die Musik machen wollten, die wir lieben. Der Spirit, die Abenteuerlust, die Energie sind ähnlich – obwohl so vieles andere gerade viel schlimmer ist.»

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