Veröffentlicht am 05. September 2022

Was finden die Kids bloss am Sound der 80er?

Immer mehr 80er-Hits erfreuen sich bei TikTok grösster Beliebtheit, sehr junge Indiebands klingen auf einmal wie tieftraurige New Wave Bands aus West-Berlin und aktuelle Serien machen alte Übersongs noch einmal gross. Was ist da los? Wir wagen einen Erklärungsversuch.

Journalist
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Natürlich ist ein Text wie dieser eigentlich ein Sachbuch-Thema – aber wir wollen trotzdem auf einige Entwicklungen schauen, die dafür sorgen, dass die 80er momentan wieder aus allen Boxen schallen. Wobei die Popwelt gerade so gepolt ist, dass man ebensolche Texte auch über die 90er (das Pop-Punk-Revival!) und die Nullerjahre (Bands wie Giant Rooks, die nach Nullerjahre-Indie klingen!) schreiben könnte. Aber die 80er haben in den letzten Monaten vermehrt Schlagzeilen geschrieben und das liegt viel am …

«Stranger Things»-Effekt

Den hatten wir ja bereits in diesem Artikel erläutert. Ein paar Folgen später kam neben Kate Bushs «Running Up That Hill (A Deal With God)» noch ein zweiter Song aus der Serie weltweit in die Charts. Was wieder an einer spektakulären Szene lag, die den betreffenden Song geradezu zelebriert. Als Publikums-Darling und Metalhead Eddie Munson in der finsteren Parallelwelt in den Krieg gegen fiese Riesenfledermäuse zieht, tut er das, in dem er «Master of Puppets» von Metallica aus dem Jahr 1986 auf Gitarre spielt. Wenn ein Song dermassen prominent in einem Serien-Phänomen platziert wird, hat das natürlich einen Impact.

«Stranger Things» gelingt das immer wieder, weil die 80er-Nostalgie ja auch ein Trademark der Serie ist. Nach der ersten Staffel waren da auf einmal sogar kurz wieder die Scorpions cool. Anderen Produktionen mag das nicht im gleichen Masse gelingen, aber auch zum Beispiel der «Karate Kid»-Ableger «Cobra Kai» spülte Survivors «Burning Heart» von 1985 ins Bewusstsein einer jungen Zielgruppe. Im Kino feierte «Top Gun: Maverick» die 80s-Vibes: Obwohl der Film in der Jetztzeit spielt, verwies man mit «Danger Zone» von Kenny Loggins (1986) auf das Jahrzehnt, in dem der Vorgänger zur Kino-Sensation wurde. Lady Gagas neuer Titelsong «Hold My Hand» klang dann ebenfalls wie eine reine 80er-Pop-Ballade. Zum Schluss noch ein letztes Beispiel aus der sehr guten Serie «The Umbrella Academy» in der zwei Superheld:innen-Familie ein Dance-off zum Titelsong des «Footloose»-Musicals haben, der 1984 veröffentlicht wurde und übrigens auch von Kenny Loggins stammt.

«The Umbrella Academy» trifft auf «Footloose»

Neue Neue Deutsche Welle oder New New Wave?

Wer eines der gerne mal ausverkauften Konzerte von Edwin Rosen besucht, könnte schnell den Eindruck gewinnen, er sei aus Versehen in einen Zeitstrudel geraten und auf einem Grauzone-Konzert gelandet. Ganz abwegig ist das nicht, denn der junge deutsche Sänger und Songwriter ist tatsächlich grosser Fan der Schweizer und ihrem einzigen Album. Edwin fährt sogar ein Skateboard, auf dem er eine Zeile aus «Marmelade und Himbeereis» gesprayt hat. Edwin Rosens Musik klingt wie eine dezent polierte Neuauflage des Post-Punks, der den Weg für die NDW ebnete. Er war ausserdem der erste, der diese Musik eher ironisch aber treffend Neue Neue Deutsche Welle nannte. Mittlerweile macht diese Bezeichnung immer mehr Sinn, denn tatsächlich gibt es im deutschsprachigen Indie und Underground zahlreiche spannende Bands, die man unter diesem Label versammeln könnte. Die tragen so illustre Namen wie Temmis, Carlo Caracho, SERPENTIN, Leuchtstoff, Steintor Herrenchor, Die Verlierer oder Seltsame Zustände. Mittlerweile hat das hippe deutsche Indie-Musikmagazin DIFFUS dem «Genre», wenn man es denn so nennen will, eine eigene Playlist gewidmet, die einen sehr guten Überblick liefert, was da so geht. Und beim Hören bitte nicht vergessen: All diese Songs stammen aus diesem Jahrzehnt!

Auch das gerade durch Bands wie Fontaines D.C., Molchat Doma, Idles, Dry Cleaning, Yard Act und Shame befeuerte Post-Punk-Revival bezieht sich recht eindeutig auf Spät-70er- und 80er-Helden wie Gang Of Four, Bauhaus, die Cocteau Twins oder eben The Cure. Vor allem die belarussische Band Molchat Doma hat es parallel dazu auch noch geschafft zum TikTok-Hype zu werden, weil ihr russisch gesungener New Wave millionenfach zum Einsatz kommt, wenn ein TikTok-Creator mal auf Sowjet-Romantik stösst – was im Angesicht der aktuellen Weltlage auch manchmal etwas daneben wirkt. Gerade wenn man bedenkt, dass Molchat Doma seit einigen Jahren in Berlin im Exil wohnen, weil sie Repressalien des belarussischen Diktators Lukaschenka und seines Regimes fürchten – aber das ist eine andere Geschichte.

Molchat Doma live auf dem Ment Festival in Slowenien.

TikTok, Instagram-Storys, Hipgnosis und Primary Wave

Natürlich müssen wir in diesem Text auch noch einmal über TikTok sprechen: Die heutige Art des Musikfindens – nämlich durch Streaming, über TikToks, beim Suchen des passenden Songs für die Insta-Story oder durch Filme und Serien – blendet Aktualität oft aus. Gerade TikTok schafft es dabei immer wieder, alte Songs ins Bewusstsein und in die Streaming Charts zu bringen. Da wird so mancher Klassiker plötzlich für eine sehr junge Zielgruppe zugänglich – die dann auf einmal doch diese angestaubte Fleeetwood Mac-Platte «Rumours» mit dem cringy Cover vom Vater oder gar Opa ausleihen will. Im Herbst 2020 stiegen zum Beispiel die digitalen Verkäufe des Songs «Dreams» (in der 2004 Remaster Version) von Fleetwood Mac um satte 374 Prozent und die Streams um 89 Prozent. «Schuld» daran war Nathan Apodaca, der als @420doggface208 ein recht erfolgreicher Creator bei TikTok ist. Als er am 25. September 2020 einen Autopanne hat, lässt er den Wagen stehen, steigt auf sein Skateboard, weil er noch einen Termin hat und rauscht eine Küstenstrasse hinunter. Dazu trinkt er immer wieder einen Schluck «Ocean Spray»-Limo und vibed zu «Dreams» von Fleetwood Mac. Das Video wurde dermassen gefeiert, zitiert und verbreitet, das sich selbst Mick Fleetwood ein TikTok-Profil zulegte und das Video nachstellte.

In diesem Zusammenhang ist es spannend, mal auf die britische Investmentgesellschaft Hipgnosis Songs Capital und die New Yorker Firma Primary Wave zu schauen. Die kaufen gerade im grossen Stil Songrechte von internationalen Riesen-Acts und hab im letzten Jahr auch Deals mit den Hauptsongwriter:innen von Fleetwood Mac abgeschlossen. Ausserdem besitzen sie die Rechte zahlreicher Songs von Justin Timberlake, Leonard Cohen, Bob Dylan, Neil Young, Shakira, The Beach Boys, Mark Ronson und vielen mehr. Diese Firmen geben nicht nur ein Heidengeld dafür aus, sie werben auch um Investor:innen mit dem Versprechen, diese Klassiker aktiv zu vermarkten, um so höhere Erlöse rauszuholen. Zum Beispiel für Werbespots, Serien- und Film-Soundtracks oder aber eben für gezieltes Pushen bei TikTok und Instagram. Es gibt also auch ein starkes, wirtschaftliches Interesse, jüngere Zielgruppen immer wieder mit den guten wie schlechten Superhits der 80er vertraut zu machen – und dass dieses Interesse beim 80er-Hype ganz konkret am Wirken ist, steht wohl außer Frage.

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