Warum Loyle Carner einer der spannendsten Rapper Englands ist

Diesen Freitag erscheint sein drittes Album «hugo», im Februar 2023 kommt der Londoner Rapper Loyle Carner für eine Show nach Zürich. Ein ausführlicher Blick auf einen Künstler, der wie kein Zweiter Politisches und Privates in smoothe, haltungsstarke Rap-Songs übersetzt.

Journalist

Wer ein wenig Zeit mit Loyle Carner verbringen darf, kann sich kaum dagegen wehren, seinem wachen, nervösen Charisma zu erliegen. Als der Autor dieses Textes zum letzten Album «Not Waving, But Drowning» ein gut einstündiges Interview mit dem Londoner Rapper führte, ging es natürlich auch um seine von ihm früh kommunizierte ADHS-Diagnose, die ein Grund für seine besondere Energie ist. Als Erkrankung wolle er diese nicht verstanden wissen, eher im Gegenteil. «Ich fühle mich eher wie Spiderman», sagte Carner. «Weißt du? Dieses ‘mit großer Macht kommt große Verantwortung’-Zeugs. Als ich jünger war, hat mir meine Mutter schon sehr früh erklärt, was das ist – schon lange bevor ich in die Schule musste. Ich verstand mich also selbst in dem Sinne, dass ich ein wenig anders war, aber gleichzeitig auch nicht SO anders. Als ich dann zur Schule ging, traf ich viele Menschen, die sich in einer ähnlichen Situation befanden, wie ich, was ADHS anging, und sie hatten nicht das gleiche Selbstverständnis. Ich habe mich also sehr früh daran gewöhnt, darüber zu sprechen, weil ich es verstehe und davon fasziniert bin. Ich denke mit der psychischen Gesundheit so ist: Je mehr man versteht, je mehr man darauf zugeht, desto kleiner, desto unwichtiger wird es – desto weniger macht es einem Sorgen.» Er gehe lieber direkt auf so eine Sache zu und starre ihr in die Augen.

«Let me tell you what I hate»

Man könnte diesen Satz auch als Motto für sein drittes Album «hugo» lesen, das am 21. Oktober erscheint und nicht weniger als eine DER Rap-Platten des Jahres ist. Der auf der Bühne oft so freundlich einnehmende Carner beginnt «hugo» mit einem Song namens «Hate», der auch das erste Lebenszeichen nach längerer Kreativpause war. Zu einem ungemein breitkreuzigen Beat, rappt Carner: «Yeah, listen, oh / Let me tell you what I hate / Everything I ain't / Everything I've done / Everything I break / I hate the way that you were saying I'd be great, straight.» Zwar rappt Carner mit ähnlichem Biss wenig später auch über die Dinge, die er liebt, aber trotzdem waren viele Fans positiv überrascht von diesem wütenden Einstieg. Wobei Carner wichtig ist, dass dieser Song kein Aufruf zum Hass sei, sondern eher das Gegenteil. «Hass basiert auf Angst. Die sich in die Dinge verwandelt, über die man nicht spricht. Die dann zu den Dingen werden, die dich innerlich verletzen.» Auch hier wählt Carner wieder den direkten Weg und zwingt sich und seine Hörer:innen, dem Hass mit ausgestreckter Hand zu begegnen, um ihn zu mildern und zu überwinden. Am Anfang der Arbeit habe für ihn die Frage und Feststellung gestanden: «Ich bin jung, schwarz, wohlhabend und habe eine Plattform – aber was fange ich jetzt damit an?» Seine Antwort: Diese Plattform mit «hugo» zu nutzen, um all die Dinge zu sagen, die er vielleicht nur jetzt so lautstark sagen könne – im Guten wie im Schlechten.

«I told the black man he didn’t understand I reached the white man he wouldn’t take my hand»

Eines dieser Dinge ist die Zerrissenheit, die er als «mixed-race kid» spürt. In «Nobody Knows» beschreibt Loyle Carner sehr eindringlich, wie er einerseits den Rassismus, der ihm entgegengebracht wird, ertragen muss, auf der anderen Seite aber auch nicht die volle Solidarität der Black Community als Gegenpol hat. «I told the black man he didn’t understand / I reached the white man he wouldn’t take my hand», heißt es darin. Später nimmt er Bezug auf Malcom X’s berühmte «Roots of the Tree»-Rede: «You can’t hate the roots of a tree, and not hate the tree. So how can I hate my father without hating me?» Dass er mit diesem intimen, aber hochpolitischen Themen Diskussionen auslösen kann, ist ihm bewusst. Dem britischen «The Guardian» sagte Carner kürzlich: «Die Leute haben Angst zu sagen, was sie wirklich fühlen, weil man in der heutigen Zeit dafür schnell ans Kreuz genagelt werden kann. Ich versuche, das Stück für Stück zu verlernen und mehr ich selbst zu sein.»

«Explain yuself wha yu mean when yu say half-caste / Ah listening to yu wid de keen half of mih ear»

Wie nah Carners Rap an Lyrik und Poesie ist, macht sich auch und vor allem im von Madlib produzierten Track «Georgetown» bemerkbar. Er beginnt mit dem Afro-Guyaner John Agard und dessen Gedicht «Half-caste». Agard proklamiert Zeilen wie: «Explain yuself wha yu mean when yu say half-caste / Ah listening to yu wid de keen half of mih ear». Loyle Carner erklärt dazu: «Das Gedicht von John Agard hatte einen großen Einfluss auf mich. Jemanden zu sehen, der älter war, der aussah wie ich und der eine ähnliche Lebenserfahrung mit mir teilte, gab mir das Gefühl, dass ich mich wohlfühlte und stolz darauf war, nicht so ganz dazu zu gehören. Das gab mir die Erlaubnis, endlich explizit darüber zu schreiben, dass ich mixed-race bin. Es gibt so viel Schönheit in den Lücken dazwischen, und in gewisser Weise berührt dieses Lied das.» Es sei «eine Darstellung des Gefühls, endlich eine ganze Person zu sein, anstatt bloß zwei Hälften. Und es ist ein weiteres Teil des ‘MADloyle-Puzzles’, wie ich es immer nenne.»

No more Mr. «UK hip-hop’s nice guy»!

«hugo» ist ein kraftvolles Album, musikalisch zwischen Rap und Neo-Soul, eingespielt mit komplettem Band-Instrumentarium. Produziert hat es bis auf das Madlib-Stück Kwes, der vor allem für seine Arbeit mit Solange und Kelela gefeiert wird. Wer Carners weichen, oft versöhnlichen Flow schätzt, wird «hugo» ebenso lieben wie seine älteren Alben – aber man merkt eben auch, dass Carner sich noch mehr an die Themen traut, die schmerzhaft sind. Und auf dem Weg dahin auch ganz gut austeilen kann. Und das, obwohl er immer wieder als «UK hip-hop’s nice guy» bezeichnet wurde. Dem «Guardian» sagte Carner dazu: «Wo ich auch hingehe, höre ich das! Als lästig empfinde ich es nicht unbedingt, aber es entspricht nicht immer den Tatsachen.» Es gäbe eine Seite von ihm, die weitaus «darker» sei. Außerdem gehört seit jeher eine gewisse Stärke dazu, wenn man im gerne auf tough spielenden Rap-Game so offen über seine Gefühle rappt. Dazu sagte Carner dem Autor dieser Zeilen im persönlichen Interview damals: «Es ist manchmal schwierig, wenn ich andere Rapper treffe. Ich weiß schließlich, was für ein Rapper ich bin, und ich weiß nicht, was für ein Rapper sie sind. Normalerweise bin ich ein Fan von ihnen, aber ich bin immer überrascht, dass sie ein Fan von mir sein könnten. Denn weißt du ... du gibst mit diesem und jenem an, und weil ich ein Fan von Rap bin, mag ich diese Flexen natürlich, aber so bin ich eben nicht. Darüber kann ich nicht rappen. Also ja, ich weiß nicht. Für mich ist es ... ich dachte zuerst nicht, dass es mutig ist, über meine Gefühle zu rappen, aber das ist es wohl. Sehr mutig, weißt du? Auf einer Bühne vor Leuten zu stehen und du selbst zu sein. Ich denke, das ist der Kern von guter Musik, und es ist eine große Sache. Ich möchte nicht auf einer Bühne stehen und die Leute wegstoßen. Es geht darum, die Leute hereinzulassen, was eine beängstigende Sache ist, weil sie sagen könnten: ‘Wir mögen dich nicht’ oder ‘Wir mögen nicht, wie du dich fühlst, so fühlen wir uns nicht’ - aber das ist nie passiert.» Auf die Frage, ob er manchmal als «emo rapper» gedisst wird, lachte er dann sein helles Lachen und sagte: «Das machen nur meine Freunde, wenn sie mich so richtig ärgern wollen.»

Loyle Carner wird sein neues Album «hugo» und natürlich auch andere Stücke wie seinen Hit über den Starkoch «Ottolenghi» oder das melancholische «Damselfly» Anfang nächsten Jahres live in Europa vorstellen. Seine Tour führt ihn auch nach Zürich, wo er am ersten Februar im X-tra aufreten wird. Alle Infos dazu gibt es hier.

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