Pubblicato il 31. ottobre 2022

Life Of Agony feiern 30 Jahre «River Runs Red» in Zürich

Die Limmat wird sich hoffentlich nicht blutrot färben, wenn die Alternative-Harcore-Band Life Of Agony am 25. Januar im Dynamo das Jubiläum ihres Debütalbums «River Runs Red» mit einem Konzert feiern wird. Unser Autor schaut auf dieses erstaunliche Album, das 1993 eine Brücke vom Hardcore zu Grunge und Alternative Rock schlug und ihm als Teenager eine Menge bedeutete.

Journalist
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Es gibt nicht viele Bands, bei denen ich mich exakt an den Moment erinnere, als ich sie zum ersten Mal hörte. Life Of Agony zählen zu diesem übersichtlichen Kreis. 1993 war das, ich war auf Klassenfahrt in Berlin, in der zehnten Klasse und aus reiner Neugierde hatte ich mir bei «City Music» am Breitscheidplatz die Maxi-CD «This Time» von Life Of Agony gekauft. Der Song sollte später der Opener ihres Debütalbums «River Runs Red» werden und erschien schon einige Monate vorher. Ich glaube, es war der Bandname, der mich damals so ansprach. Das Cover kann es nicht gewesen sein, denn das war ziemlich trashig.

Irgendwo zwischen Metal, Hardcore und Grunge unterwegs

Da ich keinen tragbaren CD-Player hatte, musste ich tatsächlich bis zu Hause warten, bevor ich reinhören konnte. Und da traf es mich: Ich war damals irgendwo zwischen Metal, Hardcore und Grunge unterwegs und diese drei Lieder auf der Maxi klangen, als hätte man genau das zusammengepackt. «This Time» beginnt mit einer aggressiven, sägenden E-Gitarre, dann bolzt die Band für einige Sekunden in hohem Brooklyn-Hardcore-Tempo los, hält kurz inne, verfällt in ein tonnenschweres Grunge-Riff, wie sie Alice In Chains so gut beherrschten – und dann, tja, dann erklang eine Stimme, die eine Kraft, einen Schmerz, eine Trauer und eine Klangfülle transportierte, die mich erstarren ließ. DAS sollte aus diesem kleinen Mann auf dem Cover kommen, der als Keith Caputo ausgewiesen war? Nie im Leben! Die zwei weiteren Songs waren sogar noch besser: «Through And Through» beginnt mit einem kurzen Nicken zu Type O Negative und wird dann zu einem theatralischen Hardcore-Bolzer, der im Refrain plötzlich zutiefst traurig wird. Der dritte Track war eine Live-Aufnahme von «Underground», die nur mit Caputos Stimme beginnt, die da singt: «If you don’t walk with me / I will walk alone, yeah!» – der zweite Part wird zu einem Jaulen und Bellen, wie ich es noch nie gehört hatte.

«I got the razor at my wrist 'cause I can't resist»

Die Band aus Brooklyn bestand damals aus Mina Caputo (bis 2011 unter dem Namen Keith Caputo), Gitarrist Joey Z., und Bassist Alan Robert. Später stieß Schlagzeuger Sal Abruscato dazu – der auch bei Type O Negative am Start war. Caputo, die seit 2011 als trans*-Künstlerin die Pronomen sie / ihr bevorzugt (und deshalb auch in diesem Text so angesprochen werden soll, obwohl sie damals noch als Mann gelesen wurde), war es, die mich so für diese Band begeisterte. Ihre dramatische Stimme, die Texte, die von Einsamkeit, Suizidgedanken und dem Gefühl unverstanden zu sein, handeln – sie trafen mich ins Mark. Vor allem, weil sie so explizit schmerzvoll waren. Im Titelstück des Albums heißt es zum Beispiel: «I got the razor at my wrist 'cause I can't resist / I've got this fever burnin' fist that does as I wish / But when I get downtown and see what's around / I just know there's got to be a better place to be found / Ooh, God help me / The river runs red and I think I'm dyin' .»

«Keith war eine Lüge, ein soziales Konstrukt.»

Vor allem mit Blick auf Minas späteres Coming-out entwickeln viele dieser Texte heute eine noch intensivere Wirkung. Und sie waren wirklich einem schmerzhaften Leben abgerungen, wie man in der Dokumentation «The Sound Of Scars» erfährt. Caputo und Joey Z. waren Cousins, Caputos Eltern waren Herion-süchtig und eine seiner frühesten Erinnerungen war, wie er als Baby in Panik geriet, weil seine Eltern eine Überdosis hatten. Minas Mutter starb an diesem Abend. Auch häusliche Gewalt musste sie durchleiden. In dem Film sagt Caputo: «Es gab keinen Keith. Ich spürte, wie meine Weiblichkeit in mir wütete und raus wollte. Keith war eine Lüge, ein soziales Konstrukt. Eine Idee, um mich aus der missbräuchlichen häuslichen Situation herauszuholen, in der ich mich damals befand.» Life Of Agony sei für sie «ein Ort, um diese Dämonen auszutreiben» und «ein persönliches Tagebuch, das der Öffentlichkeit zugänglich ist».

«Diese Platte hat Fans auf einer tiefen emotionalen Ebene erreicht.»

Alan Robert sagte zum 25. Jubiläum des Albums: «Der Erfolg unseres Debüts war ein absoluter Segen. Dieses Album gab uns ein starkes Fundament, auf dem wir seit Jahrzehnten aufbauen. Diese Platte hat Fans auf einer tiefen emotionalen Ebene erreicht und bleibt immer noch emotional bei ihnen. Was das Erbe betrifft, haben wir immer gute Absichten gehabt. Diese Band ist für uns alle so wichtig, deshalb behandeln wir sie und alles, was wir tun, mit größter Sorgfalt.» Tatsächlich kann ich bestätigen, dass Life Of Agony diese Songs noch immer mit ähnlicher Intensität wie damals in die Welt singen. Vor allem Mina Caputo ist eine charismatische Frontfrau – und es ist äußerst interessant, wie diese der ultra-männlichen Brooklyn-Hardcore-Szene der Neunziger entsprungene Band nun auf der Bühne wirkt, wenn Mina ihr wahres Wesen zeigen kann und der Rest der Band noch immer das Testosteron-Level der Neunziger erkennen lässt.

Deshalb sollte man die vielleicht letzte Chance, alle Songs dieses grandiosen Albums noch einmal live zu hören, nicht verstreichen lassen. Mich wird man jedenfalls in den ersten Reihen finden, laut die Zeilen «I’m empty! Empty through and through!» brüllend – vielleicht sogar mit meiner Life-of-Agony-Kapuzenjacke, die ich gefühlt von meinem 16 bis zu meinem 19 Lebensjahr als einzige Jacke getragen habe.

Life of Agony werden am 25. Januar im Großen Saal im Dynamo in Zürich spielen. Hier geht’s zu allen Infos und zu unseren Sunrise Moments Priority Tickets.

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