John Carpenter im Interview: «Ich habe die Regie gegen das Musikmachen getauscht.»

Was wäre passender als kurz vor Halloween den Mann zu interviewen, der die Filmreihe gleichen Namens in die Welt gebracht hat? Wir haben per Zoom mit Regisseur und Komponist John Carpenter über seine Liebe zur Musik, «Halloween Ends» und seinen Abschied vom Filmemachen gesprochen.

Journalist

Zugegeben: Auch als erfahrener Musikjournalist mit ein paar Dutzend Interviews auf dem Buckel hat man vor einem Gespräch mit John Carpenter ein wenig Angst. Im Internet findet man einige Podcasts und Artikel, in denen der Regisseur und Komponist eine unoriginelle Frage auch schon mal mit drei Worten abwatscht. Wenn er aber Bock hat, antwortet er pointiert und druckreif.

John Carpenter hat einst mit Filmen wie «The Thing – Das Ding aus einer anderen Welt», «Die Klapperschlange», «The Fog – Nebel des Grauens», «They Live – Sie leben!» und natürlich «Halloween – Die Nacht des Grauens» Filmgeschichte geschrieben. Ebenso wichtig wie die Bilder und Geschichten war ihm stets auch die Musik. Carpenter zeichnet sich für die Scores zu zahlreichen seiner Filme verantwortlich und hat dabei erstaunliche Instrumentalstücke geschaffen. Der Titelsong zu «Die Klapperschlange» (im Orginal: «Escape From New York»), das stoische, furchteinflössende «Halloween Theme – Main Title», das bedrohliche «Assault On Precinct 13», oder das Goth-Grauen des «Prince Of Darkness» aus «Vampire» – allesamt atmosphärische Synthesizer-Sinfonien, die auch ohne Horrorfilm drumrum Angst machen. Diese Musik hat, ähnlich wie seine Filme, eine jüngere Generation an Künstler:innen inspiriert – das amerikanische Duo Boy Harsher zum Beispiel, das auch einen Song im gerade im Kino laufenden «Halloween Ends» hat, die grossartige Zola Jesus, oder aber den Franzosen Franck Hueso, der sich Carpenter Brut nennt.

Mit «Halloween Ends» endet jetzt (erst einmal) die Filmreihe über die Masken tragende Killermaschine Michael Myers, die Carpenter 1978 zum ersten Mal auf die fiktive Kleinstadt Haddonfield los lies. Jamie Lee Curtis schlüpft dafür zum letzten Mal in die Rolle der Laurie Strode. Regie führte, wie schon bei den letzten zwei Teilen der Reihe, David Gordon Green. Der hatte auch die clevere Idee, John Carpenter bei seinen Filmen für die Musik an Bord zu holen. Der offizielle Soundtrack, den Carpenter wieder mit seinem Sohn Cody Carpenter und seinem Patenkind Daniel Davies aufgenommen hat, war auch der Grund, warum er uns eine seiner seltenen Audienzen gewährt hat.

Mr. Carpenter, Sie haben mal gesagt, Sie hassen es, alte Filme von Ihnen zu schauen. Gilt das auch für Ihre Soundtracks? Für «Halloween Ends» haben Sie ja einige alte Motive neu aufgearbeitet.

Ich hasse es nicht, meine alten Soundtracks zu hören. Wobei ich schon der Meinung bin, dass die neueren interessanter sind, weil sie komplexer und die Sounds besser sind. Wenn ich mir die alten anhöre, denke ich eher immer so was wie: Wie zum Henker habe ich denn diesen Sound hinbekommen? Und dann scheitere ich daran, diesen heute zu rekonstruieren.

Wie schon seit Jahren haben Sie die Musik mit ihrem Sohn Cody Carpenter und ihrem Patenkind Daniel Davis aufgenommen. Sie haben diese familiäre Zusammenarbeit mal als «sehr funktionalen Deal» bezeichnet. Können Sie das ein wenig ausführen?

Wenn ich mit den beiden zusammenarbeite, bringt jeder von uns seine Stärken mit an den Tisch. Das ergänzt sich prima. Daniel ist ein sehr neugieriger, ungemein kreativer Klangforscher und ein Gitarren-Virtuose. Cody ist ein Keyboard-Virtuose. Und ich bringe meine Erfahrung mit.

Nur Erfahrung? Mehr nicht?

Im Grunde: Ja.

Das nennt man wohl Understatement. Wie war es nun für Sie, noch ein letztes Mal in die Klangwelt von «Halloween» einzutauchen?

Wissen Sie, wenn Cody, Daniel und ich Musik machen, geht es immer um Geschmack. Was bedeutet: unseren Geschmack. Wir schauen uns an, was benötigt wird und dann entscheiden wir: Was halten wir für angemessen? Welche Melodie soll in dieser Sequenz im Mittelpunkt stehen? Welche Art von Sounds wollen wir verwenden? Das ist alles. Wir haben gemeinsam den alten «Halloween»-Soundtrack noch einmal ausgegraben, uns ein paar Themes und Elemente gegriffen, sie entstaubt, poliert und wiederverwendet. Das ist alles.

Wie darf man sich den Arbeitsprozess konkret vorstellen im Falle von «Halloween Ends»? Gibt’s eine Bestellung des Regisseurs? Schauen Sie den Film und entscheiden, wo es was braucht?

Auch das ist ein sehr simpler Prozess. Wir sprechen erst mit David Gordon Green. Dann schauen wir den Film und er sagt uns, wo er Musik haben will und worauf es ihm in einer bestimmten Sequenz ankommt. Und dann fangen Cody, Daniel und ich an – wir improvisieren dabei viel, nehmen alles auf und entscheiden uns dann, was reinkommt. Ganz einfach. Unser Job ist es, da zu sein und den Film zu supporten, die Themen zu supporten, die Szenen zu supporten, Themes für bestimmte Charaktere zu finden. Wir sind im musikalischen Sinne Storyteller. Für den Film. Das ist unser Job.

Ich habe Ihren Soundtrack schon ein paar Wochen lang hören können, bevor ich den Film sehen durfte und muss jetzt, wo ich ihn gesehen haben, sagen: Ich finde Ihren Soundtrack gruseliger als den Film.

Danke. Dann habe ich ja meine Aufgabe erfüllt. Das ist ja eh anscheinend meine einzige Aufgabe im Leben: die Menschen zu erschrecken. Entweder mit Bildern oder mit Musik.

Wie fühlen Sie sich, jetzt wo die von ihnen gestartete Reihe «Halloween Ends» ein Ende findet?

Ich fühle mich super. Und damit meine ich: Das damals, 1978, war mein Film. Ich habe da Regie geführt. Jetzt ist es David Gordon Greens Film und es sind seine Ideen. Ich unterstütze seine Ideen. Ich habe keine Besitzansprüche oder Gefühle, die mich umtreiben. Alles super. Jeder will von mir wissen: «Was denkst du über den Film? Bist du verärgert?» Nein. Da kümmere ich mich gar nicht drum. Ich mache meinen Job.

Ich wollte jetzt auch gar nicht auf einen Diss hinaus. Ich meinte eher, wie es für Sie ist, zum vermeintlich letzten Mal Michael Myers und Jamie Lee Curtis’ als Laurie zu sehen.

Vor Jamie Lee Curtis habe ich den grössten Respekt. Sie ist wirklich eine aussergewöhnliche Schauspielerin geworden. Sie ist in vielerlei Hinsicht gewachsen, seitdem wir damals zusammen gearbeitet haben. Sie war damals noch ein Kind – aber wir waren ja alle Kids. Jetzt sind wir alt. Mit Michael Myers verbinde ich in erster Linie unseren «Halloween Theme»-Song. Das ist ein Stück Musik, das explizit für eine Killermaschine geschrieben wurde. Und das ist Michael. SO fühle ich über ihn.

Lassen Sie uns mal ein paar Schritte zurück gehen in Ihrer Biografie. Was hat Ihre Liebe zur Musik einst geweckt?

Ich bin mit Musik aufgewachsen. Mein Vater hatte einen Doktortitel in Musik. Er war ein Virtuose auf der Geige. Als ich acht Jahre alt war, beschloss mein Vater, dass es ein guter Zeitpunkt wäre, mich zum Geigenunterricht zu schicken. Dabei gab es nur ein Problem. Ich hatte überhaupt kein Talent. Und die Geige ist das schwierigste Instrument, auf dem man gut klingen kann. Sie ist gnadenlos. Unversöhnlich. Wie auch immer. Aber ich machte trotzdem weiter, lernte das Keyboard und die Gitarre. Mein Musikgeschmack tendierte eher zum Rock'n'Roll und ich erlag natürlich den Beatles, als die ihre ersten Alben herausbrachten. Meine Liebe zur Musik hat sich also von Anfang an weiterentwickelt, aber sie war immer ein Teil meines Lebens. In meinem Leben, in meinem Kopf, läuft immer Musik.

Wie ist es passiert, dass Sie nicht nur Filme, sondern auch die Soundtracks dazu machen wollten und dabei diesen elektronischen Sound wählten, der damals ja noch gar nicht so en vogue war?

Ich erinnere mich noch genau, wie meine Liebe zu diesen Soundtracks und diesem Sound geweckt wurde. Es war ein Film aus dem Jahr 1956 mit dem Titel «Forbidden Planet», der einen Soundtrack hatte, der ausschliesslich aus elektronischer Musik bestand. Es gab überhaupt keine Orchestermusik. Damals gab es noch keine Synthesizer, also hat man andere Methoden verwendet. Die Musik kam von den Barrons – ein Ehepaar, das gemeinsam komponiert hat. Ich höre mir diesen Soundtrack immer noch oft an. Er war wirklich einflussreich für mich, vor allem in Verbindung mit den Filmbildern. Dieser Film hat mich in jeder Hinsicht verändert. Er brachte mich dazu, Regisseur werden zu wollen. Nachdem ich den Film gesehen hatte, beschloss ich, dass ich Filmregisseur werden wollte, und der Soundtrack hat mich dazu inspiriert, in diese Richtung zu gehen, was die Musik angeht.

Inzwischen hat sich Ihr Arbeitsbereich ausschliesslich auf das Musikmachen verlegt. Das wurde mir besonders deutlich, als 2015 das erste Album Ihrer «Lost Themes»-Reihe rauskam – darauf hört man quasi Filmmusik zu Filmen, die man sich selbst ausdenken muss. Das finde ich fast aufregender. Ich dachte mir so: Wenn schon kein neuer Carpenter-Film, dann kann er mich wenigstens in meine eigenen Alpträume schicken …

Dann haben Sie es genau richtig gemacht. Das war meine Intention.

Aber wie fühlen Sie sich denn in dieser Rolle des musikalischen Storytellers, wie Sie es vorhin nannten?

Ich denke da nicht gross drüber nach. Aber ich glaube, es fühlt sich grossartig an. Ich meine, alles fühlt sich grossartig an. Ich habe einfach das Regie-Führen gegen das Aufnehmen von Film-Soundtracks und meinen eigenen Alben eingetauscht. Ich habe nicht mehr diesen fürchterlichen Druck. Filme zu machen ist ein enorm harter Job. Als würde man in einer Braunkohle-Mine schuften. So hart ist es. Es frisst Zeit. Geld. Da ist der Druck, der auf dir lastet. In jeder einzelnen Sekunde. Das hat mich zermürbt. In meinem Fall war es auch noch so, dass ich manchmal das Drehbuch schrieb, den Film inszenierte und am Ende auch noch die Filmmusik machen musste. Ich war also völlig ausgebrannt von der Regiearbeit und habe jahrelang pausiert. Jetzt geht es mir besser. Sehr viel besser.

Dann haben Sie es auch schon fast geschafft mit mir. Eine Frage hätte ich noch: Haben Sie heutzutage eigentlich noch Lust darauf, Interviews zu geben? Sie machen das ja nur noch sehr ausgewählt und Ihr Label musste Sie glaube ich auch diesmal ein klein wenig überreden …

Ach, in einem reduzierten Masse mag ich das noch ganz gerne. Ich muss nur die Zeit massiv reduzieren, die ich damit verbringe, weil mein Gehirn dabei nach einer Weile etwas matschig wird. Vor allem, wenn alle das gleiche fragen. Aber Ihre Fragen waren natürlich grossartig. (lacht).

Natürlich.

Aber nichts für ungut: Ich freue mich trotzdem drauf, dass ich den Rest der Woche fast nur Basketball schauen werde. Wissen Sie, die NBA-Liga hat gestern begonnen.

Dann wünsch ich Ihnen viel Spass dabei – und Ihren Milwaukee Bucks und den Golden State Warriors viel Erfolg.

Ti è piaciuto l'articolo?