Kaufmann: The Songs That Made Me
Musik entsteht selten in einer Blase. Der Weg zur ersten eigenen Komposition ist gepflastert mit Inspirationen, Ideen oder den Methoden anderer Künstler:innen. Wir fragen Schweizer Musiker:innen, welche Acts sie beeinflusst und welche Songs ihren Stil geformt haben oder kurz: Welche Musik hat sie dahin gebracht, wo sie heute stehen. Diese Woche mit Kaufmann.
Neben «Gibt es wirklich Leute, die Lakritze mögen?» und «Wer zur Hölle hat den Y2K-Style zurückgebracht?» gehört «Warum ist Kaufmann nicht wahnsinnig viel berühmter?» zu den Fragen, die uns nachts wachhalten. Reto Kaufmann und seine gleichnamige Band hätten eigentlich alles was es braucht, um sich als eine der ganz grossen lokalen Bands zu etablieren: Einen Dialekt auf den sich das ganze Land einigen kann, klassische Hits und eine Bühnenpräsenz mit Mainact-Energie, egal um welche Zeit die Show gerade stattfindet.
Den Geheimtipp-Status hat der Churer zwar bereits mit dem 2018 erschienen Debüt «König vu dr Nacht» hinter sich gelassen, warum aber klever getextete Nummern wie «Schön gsi do» oder das kürzlich erschienene «Liachtigkeit» nicht täglich in den Formatradios wummern, verstehen wir trotzdem nicht ganz. Dafür verstehen wir, wie es zu den Songs gekommen ist, dank Kaufmanns Playlist, die den musikalischen Weg des Chansonniers aufzeigt.
Nirvana – «Drain You»
Als ich 2003 in die Oberstufe kam, kannte ich ausserhalb der «Bravo Hits»-CDs und was sonst im Radio lief keine Musik. Ein Mitschüler hat dann im Musikunterricht Nirvana vorgestellt. Ich ging nach Hause, lud Limewire herunter und dann gleich Nevermind, was ungefähr eine Nacht lang dauerte. Am nächsten Tag habe ich dann festgestellt, dass ich einen Porno heruntergeladen habe. Nach einem erneutem Versuch hat es dann geklappt mit dem Album. Ich habe mir es angehört, fing an Gitarre zu spielen und lief fortan nur noch mit Löchern in meiner Kleidung herum.
Rage Against The Machine – «Bulls on Parade»
Das Album «Evil Empire» lief bei mir rauf und runter. Als ich 2005 Youtube für mich entdeckt habe und die ersten Livevideos dieser Band sah, wollte ich so sein wie Zack de la Rocha. Das Problem war, dass ich auch Kurt Cobain sein wollte, das war ein ernstzunehmender Konflikt. Meine Musik ist heute kaum von dieser Band beeinflusst. Trotzdem war Rage Against The Machine wichtig für mich, weil sie mir zeigten, dass ich meinen Frust und meinen Ärger über Missstände mit der Musik ausdrücken kann.
Tocotronic – «Ich hab 23 Jahre mit mir verbracht»
In dieser Zeit entdeckte ich auch Tocotronic. Sie haben genau das gesagt, was ich damals fühlte. Nie mehr war ich einer Band so zugeneigt: Ich lernte alle Songs auf der Gitarre und am Lagerfeuer spielte ich nur noch Tocotronic-Covers, was eigentlich gar nicht so gut ankam. Am Openair St. Gallen 2010 sah ich sie zum ersten Mal live und es ist bis heute emotional mein wichtigstes Konzert, das ich je sah.
The Subways – «I Want To Hear What You Have Got To Say»
Natürlich hat mich die Indie Rock-Welle voll erwischt. Ende den 00er-Jahr montierte ich die Röhrli-Jeans und entdeckte The Subways, The Strokes, The Wombats, The Vines, The Hives, Arctic Monkeys uvm. Das war nicht einfach Musik, sondern ein Lebensgefühl.
Neutral Milk Hotel – «Two Headed Boy Pt. 2»
«In The Aeroplane Over The Sea» ist wohl mein meistgehörtes Album ever. In der Zeit, als ich die Lieder für mein Debütalbum "König vu dr Nacht" schrieb, hat mich diese traurigen Folk-Musik beeinflusst.
Bright Eyes – «Method Acting»
Bright Eyes war stets ein treuer Begleiter und widerspiegelt meine Gefühle perfekt. Die traurige, zittrige Stimme von Conor Oberst hat mich sofort in den Bann gezogen.
Mothers – «It Hurts Until It Doesn't»
Amerikanischer Indie-Folk (vor allem Weiblicher) hat es mir sehr angetan. Ich sah mir tagelang Sessions von KEXP und Audiotree an, weil da gab immer wieder neue Sachen zu entdecken gibt. Bands wie The Beths, Forth, Remember Sports und viele mehr haben einen grossen Einfluss auf mein Songwriting.
Lonely The Brave – «The Blue, The Green»
«The Day's War» von Lonely The Brave ist ein Album, das mich auf eine Art berührt hat, wie ich es noch nie erlebt habe. Diese Stimme von Dave Jakes, die Gitarren, die Songs – schlicht alles daran.
Jets To Brazil – «Chinatown»
Den Alternative Rock der 90er entdeckte ich erst relativ spät für mich.
Title Fight – «Shed»
Title Fight hat es mir so richtig angetan. Die Melodic-Hardcore Band aus den Staaten schreibt perfekte Songs, spielt noch perfekter Gitarre und schreit am perfektesten. Ein Hochgenuss.
Superheaven – «Last October»
Zum Schluss meine Neuentdeckung. Ich habe ein Flair dafür, Bands zu entdecken, die ihr letztes Album 2015 herausgebracht und sich danach aufgelöst haben. Das Album "Jar" von Superheaven läuft in meinen Kopfhörern rauf und runter. Rockmusik vom Feinsten.
Kaufmanns 2. Album «En liaba Gruass» erscheint am 1. September.
Live Daten
5. August 2023, Openair Malans
6. August 2023, Green Garden Frauenfeld
6. Oktober 2023, Grabenhalle, St. Gallen