Früher war's selten besser

Die neueste Clubbing-Generation feiert zu hartem Techno, was das Zeug hält und lässt dabei sämtliche Hemmungen fallen, aber auch alle Vorurteile und Genderbarrieren. Dennoch muss sie sich von ihren Vorgängern den Vorwurf anhören, nur Altes aufzuwärmen, das sie selbst früher besser gemacht hätten.

«Wir nannten das früher Gabber oder Hardcore. Und Fetischpartys hatten wir ebenfalls." Der erste Satz bezieht sich auf den Sound, zu dem die neue, knapp um die 20 Jahre alte Clubberschaft tanzt: Techno ab 140 bpm. Der zweite um ihren Exhibitionismus, dem sie an den entsprechenden Partys bisweilen mit viel Lack und Leder und einer mit freier Sexualität aufgeladenen Atmosphäre Ausdruck verleiht.

Was die Ehemaligen und die grauen Panther der clubbenden Welt damit sagen wollen: «Wir haben’s erstens erfunden und zweitens hatten wir’s besser drauf». Mit dem ersten Teil mögen sie richtig liegen (zumindest was Gabber und elektronischen Hardcore anbelangt), aber da hatten sie nur das Glück der technischen Revolution, die Gabber und Hardcore erst möglich gemacht hat. Das mit dem ‘besser drauf haben' stimmt hingegen mit allerletzter Sicherheit nicht: Gabber war in den 90er Jahren etwas für Freaks, das auf XL-Raves wie der Energy nach der Street Parade auf kleinen Nebenfloors abgehandelt wurde. Hardcore wiederum war damals zudem meist eine Angelegenheit für Glatzköpfe, mit denen man gescheiter nicht über Politik sprach, wenn man nicht den Glauben an die Menschheit verlieren wollte. Und Fetischpartys waren überaus Mutigen vorbehalten, die sich an (in der Schweiz vorwiegend von good old Alfred Kanzler organisierten) Feten in abgelegenen Schlössern vergnügten und dort, so dachten zumindest viele, überaus verwerflichen, fleischlichen Gelüsten nachgingen.

Nein: Wir bereits in den Rave-90ern Aktiven hatten das keineswegs so gut drauf, wie die heute Zappelnden. Gabber und HC waren keine Massenbeweger und zum Fetisch hatten wir nicht annähernd ein so entspanntes Verhältnis.

Zur allgemeinen und zwischenzeitlichen Beruhigung: Nicht nur die Altvorderen des Clubbings nehmen den Satz «früher war’s besser» gerne mal in den Mund, das tun Seniorinnen und Senioren aus sämtlichen gesellschaftlichen und kulturellen Ecken. Und sie alle liegen falsch, denn früher war es nur selten besser und in den allermeisten Fällen bloss anders.

Denn: Wäre es nicht so und früher tatsächlich immer alles besser gewesen, dann könnten wir heute nicht mit einem kurzen Handgriff mit Menschen auf anderen Kontinenten kommunizieren, unsere durchschnittliche Lebenserwartung würde so circa 25 Jahre betragen, wir würden Menschen, die sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen noch immer wegen Sodomie ins Gefängnis stecken und wir hätten auch keine Toiletten mit Spülung.

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