Veröffentlicht am 31. Januar 2023

Warum sich nicht alle ein Surprise-Album leisten können

Beyoncé sagte 2013: «They don't make albums anymore. They just try to sell a bunch of lil quick singles.» Kurze Zeit später veröffentlicht sie ein Album ohne jegliche Vorankündigung und stellt die Musikwelt komplett auf den Kopf. Warum diese Surprise-Album-Strategie längst nicht für alle aufgeht, lest ihr hier.

Journalist

Früher wurde in der Regel eine Pre-Single in den Monaten vor dem Album-Release gedroppt. Man bekam einen leisen Vorgeschmack auf die neue Musik und wartete geduldig und voller Vorfreude auf das neue Werk seiner Lieblingsband. Dann war das Album endlich da und man konnte es sich in voller Länge anhören, in die ganze Album-Story eintauchen und abschalten. Heute wird meistens eine andere Strategie verfolgt. Künstler:innen wie Camilla Cabello veröffentlichen bis zu sechs Pre-Singles und verraten uns die halbe Geschichte schon vorab.

Das Gesprächsthema bleiben

Den Künstler:innen bringt diese Strategie viele Vorteile. Durch die ständigen Single-Drops bleiben sie im Gespräch. «Heutzutage versuchen wir, die Dinge im Fluss zu halten, sodass die Künstler:innen fast nie von der Bildfläche verschwinden. Die Fans wollen mit den Künstler:innen, die sie mögen, ständig in Kontakt bleiben», erklärt Robbie Snow, SVP of Global Marketing bei Hollywood Records gegenüber dem Magazin RollingStone. Gerade in der heutigen Zeit, wo Streaming an erster Stelle steht und wir Zugang zu Abermillionen von Songs haben, scheint diese Taktik aufzugehen. «Unsere Erwartung, alles sofort und überall konsumieren zu können, wird immer grösser und demzufolge unsere Geduld, auf etwas zu warten, geringer» so Narayan Janakiraman, Professor für Marketing, gegenüber der Boston Globe.

Für den Grossteil der Künstler:innen funktioniert also die Taktik «das Süppchen stets am Kochen zu halten» gut. Nicht so für Beyoncé: «Die Leute machen keine Alben mehr. Sie versuchen nur noch, einen Haufen kleiner, schneller Singles zu verkaufen – dann lassen sie die ausklingen, dann bringen sie eine neue Single heraus, lassen die ausklingen, und dann bringen sie eine neue heraus», erklärt die Popikone in ihrer HBO-Doku «Life Is But a Dream» von 2013. Dass Künstler:innen keine zusammenhängenden Werke mehr erschaffen, sondern Single um Single raushauen, frustrierte sie schon damals. 11 Monate später veröffentlichte Beyoncé ihr fünftes Studioalbum «Beyoncé» völlig unerwartet quasi über Nacht, und setzt ein klares Statement gegen den Wandel. Zu jedem einzelnen Song postete sie ein Musikvideo. «Ich wollte, dass die Leute die Songs mit der Geschichte in meinem Kopf hören, denn das ist es, was sie zu meiner macht. Diese Vision in meinem Kopf ist das, was die Leute beim ersten Mal hören erleben sollen», sagte sie in einem YouTube-Video, welches kurz darauf erschien.

Surprise, Surprise

Das Album stieg schnell auf Platz 1 der Billboard 200 auf. So setzte die Popikone nicht nur ein Statement. Sie ist auch die Vorläuferin einer Erfolgsstrategie, der viele Künstler:innen wie Drake, Taylor Swift oder J. Cole folgen. Beyoncé hat das «surprise-release»-Format erfunden.

Das muss man sich erst mal leisten können

Ohne Vorankündigung ein Album raushauen? Dieser Plan geht nicht für alle auf. Für weltweit erfolgreiche Pop-Queens wie Beyoncé passt dieses Vorgehen. Sie kann es sich leisten, monatelang von der Bildfläche zu verschwinden und unerwartet neue Musik zu droppen. Die Medien spielen verrückt, das ist klar. Für die kleine Indie-Rock Band mit 20’000 Streams sieht das anders aus. Manager und Labels versuchen oft jahrelang, Künstler:innen aufzubauen – ohne grossen Erfolg. Da kann man nicht einfach mal so ein Surpise-Album veröffentlichen, von dem letzten Endes keiner mitbekommt. Beyoncé kritisiert Musiker:innen für ihre Strategie, aber es ist ein Leichtes, vom Thron herab zu urteilen.

Single-Drops am Laufband oder Surprise-Album auf einen Schlag

Es ist nachvollziehbar, dass die meisten Künstler:innen die Single-Drop-Taktik verfolgen und damit besser fahren. Ob für die Konsument:innen die dauernde Single-Berieselung wirklich spannender ist als ein Suprise-Album aus dem Nichts, darüber lässt sich streiten. Das Schöne an einem neuen Album ist eigentlich auch heute noch das Darauf-Warten, die Vorfreude, die Spannung bis der erste Song erklingt und das Eintauchen und Durchhören bis zum Schluss. Erscheint so ein Album dann als Überraschung an einem Freitag, hat man plötzlich einen Abend mit seiner Lieblingsband vor sich. Was will man mehr?

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